Experten-Umfrage:Ist die Euro-Krise jetzt vorbei?

Griechenland bekommt wieder Milliarden am Kapitalmarkt - was bedeutet das für Europas Wirtschaft? Vom Ex-Deutsche-Bank-Chef Ackermann bis zur Linken Wagenknecht: Die SZ hat sieben Experten um eine Einschätzung gebeten.

EU-Sorgenkind Griechenland nimmt drei Milliarden Euro am Kapitalmarkt ein. Ist die Euro-Krise jetzt vorbei? Eine Umfrage.

"Dies ist die schwierigste Phase"

Marcel Fratzscher, 43, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung: "Die Krise ist nicht vorbei - sie ist lediglich in eine neue Phase übergegangen. Dies ist die schwierigste Phase, denn sie erfordert weitere Strukturreformen aller Länder, auch Deutschlands, und eine veränderte Architektur der Eurozone. Die schwierigsten Reformen liegen also noch vor uns, denn die Gefahr ist, dass die trügerische Beruhigung zu einer Reformmüdigkeit führt.

Stagnation, Deflation und hohe Arbeitslosigkeit sind die größten Risiken dieser Phase, in der wir noch viele Jahre verharren könnten, wenn wir nicht entschiedener handeln. Griechenland mag Anleihen auf den Markt bringen - aber von einem vollen Marktzugang ist das Land noch weit entfernt, so lange seine Staatsverschuldung nicht nachhaltig ist. Dies erfordert eine weitere Umstrukturierung seiner Staatsschulden plus ein drittes Rettungsprogramm. Das größte ungelöste Problem ist das fehlende Funktionieren seiner staatlichen Institutionen. Deshalb wird Griechenland für viele Jahre das Sorgenland Europas bleiben."

"Der Strukturwandel ist schmerzhaft und braucht Zeit"

Jahresrückblick 2013 - Wechsel in der Chefetage

Der ehemalige Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann

(Foto: dpa)

Josef Ackermann, 66, ehemaliger Vorstandschef der Deutschen Bank: "Die sogenannte Euro-Krise ist eine Staatsschuldenkrise in einigen Ländern an der Peripherie der Eurozone. Diese Schuldenkrise ist mit der Rückkehr Griechenlands an die Kapitalmärkte noch nicht vorbei. Der Strukturwandel, der notwendig ist, um die erforderliche Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, ist schmerzhaft und braucht Zeit. Die Krisenländer haben ihn zwar eingeleitet, aber noch lange nicht vollendet.

Dass Griechenland jetzt wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren kann, zeigt jedoch, wie richtig es war, das Land seinerzeit nicht einfach abzuschreiben und aus der Euro-Zone zu drängen, sondern ihm Hilfe zur Selbsthilfe zu gewähren. Als ehemaligem Banker und Chef des internationalen Bankenverbands IIF sei mir der Hinweis erlaubt, dass die Banken auf 70 Prozent ihrer Forderungen gegenüber Griechenland verzichtet und fast 140 Milliarden Euro zum Abbau der Staatsschulden des Landes beigetragen haben. Ein entscheidender Beitrag zur finanziellen Wiedergenesung des Landes."

Rundum-sorglos-Paket für Hedgefonds und Banken

Pressekonferenz der Alternative für Deutschland

AfD-Parteichef Bernd Lucke

(Foto: dpa)

Bernd Lucke, 50, Vorstandssprecher der Alternative für Deutschland (AfD): "Die Finanzanleger kehren nach Griechenland zurück, weil sie keine Risiken mehr fürchten müssen. Aber die Risiken sind nicht weg, sie sind nur auf die Steuerzahler der Euro-Zone verlagert worden. Denn Europäischer Stabilitätsmechanismus und Europäische Zentralbank haben ja klargemacht, dass sie für die griechischen Staatsschulden gerade stehen werden. Die Verluste trägt der Steuerzahler. Weil das so ist, können die Finanzanleger nahezu unbesorgt sein.

Da stört es nicht, dass die griechische Schuldenquote viel höher ist als 2010 und dass die Wirtschaftsleistung um 25 Prozent gesunken ist. Hedgefonds und Banken können griechische Anleihen als Rundum-sorglos-Paket erwerben. Weil sie dabei sogar fünf Prozent Zinsen kriegen, machen sie vor Freude Luftsprünge. Auch diese Zinsen zahlt der Steuerzahler, während seine eigenen, risikobehafteten Kredite an Griechenland nur mit knapp über ein Prozent verzinst werden. Der Gang Griechenlands an den Kapitalmarkt ist ein Potemkinsches Dorf."

"Rückkehr zur Diktatur der Finanzmärkte"

Regierungserklärung zu Europapolitik

Stellvertretende Linke-Parteivorsitzende, Sahra Wagenknecht

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Sahra Wagenknecht, 44, stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke und der Linksfraktion im Bundestag: "Die griechische Wirtschaft liegt am Boden, zwei von drei Jugendlichen sind arbeitslos, die Staatsverschuldung ist höher denn je, Investitionen finden kaum noch statt und Kredite sind für Unternehmen erst recht nicht mehr zu bekommen. Die Situation in anderen Krisenländern ist nur unwesentlich besser. Wer in dieser Situation von einem Ende der Krise redet, verwechselt die Welt der Spekulanten mit der realen Wirtschaft.

Mario Draghi, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), hat die Finanzmärkte mit seinem billigen Geld in Hochstimmung gebracht, außerdem gibt es eine faktische Garantie der EZB für die Kurse der Staatsanleihen. Kein Wunder, dass Banken und Finanzinvestoren wieder zugreifen. Gelöst ist dadurch aber nichts. Die Krise ist erst vorbei, wenn es den Menschen besser geht und die Massenkaufkraft deutlich gestärkt wird. Die jetzige Rückkehr des griechischen Staates unter die Diktatur der Finanzmärkte bedeutet das Gegenteil."

"Wiederholung derselben Fehler"

Peter Gauweiler im Bundestag

CSU-Politiker Peter Gauweiler

(Foto: dpa)

Peter Gauweiler, 64, CSU-Politiker: "Griechenland ist nach wie vor strukturell überschuldet. Wenn jetzt die Emission griechischer Staatsanleihen am Kapitalmarkt auf großes Interesse stößt, dann liegt das einzig und allein daran, dass die privaten Investoren sich darauf verlassen können, dass ESM und EZB für die Risiken geradestehen. Dafür streichen sie jetzt risikolose 4,75 Prozent Zinsen ein, während die Euro-Staaten sich mit durchschnittlich 1,5 Prozent Zinsen für ihre Hilfskredite begnügen.

Finanzpolitisch ist das ein Alarmsignal: Die Marktteilnehmer haben schon wieder jedes Risikobewusstsein verloren. Die Investoren wiederholen exakt die Fehler, die die Krise verursacht haben: Sie finanzieren einen Schuldner, der zur Rückzahlung definitiv nicht in der Lage sein wird. Bezahlen müssen diesen Wahnsinn die Steuerzahler der Geberländer. Profiteure sind allein die Investoren. Die Banken holen sich bei der EZB für 0,5 Prozent Zinsen Geld und kaufen damit griechische Staatsanleihen, für die sie viel höhere Zinsen bekommen. Die Euro-Krise wird durch diese Politik verschärft."

"Unbeherrschbares Systemrisiko"

Pk des ifo Instituts zur aktuellen Wirtschaftslage

Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn

(Foto: dpa)

Hans-Werner Sinn, 66, Präsident des Ifo-Instituts: "Nein, die Krise ist nicht vorüber. Sie schwelt weiter und wird in ein langes Siechtum der Realwirtschaft münden. Das Land ist meilenweit vom Zustand der Wettbewerbsfähigkeit entfernt. Jetzt wieder mehr Schulden zu machen, ist keine Lösung. Dass Griechenlands Gläubiger das mitmachen, liegt nur an den Rettungsschirmen.

Normalerweise ist es doch so: Wenn ein Staat immer mehr Schulden aufnimmt, kriegen die Gläubiger kalte Füße und verlangen höhere Zinsen, aber die höheren Zinsen schrecken die Schuldner ab, sich weiter zu verschulden. Dieser Mechanismus ist in Europa durch die Kollektivierung der Haftungsrisiken außer Kraft gesetzt. Die Kollektivierung der Risiken veranlasst die Gläubiger, sich mit niedrigen Zinsen zufrieden zu geben, und die Schuldner, sich immer mehr zu verschulden, woraus schließlich ein unbeherrschbares Systemrisiko entsteht. Griechenland und seine Gläubiger demonstrieren gerade einen Missbrauch von Versicherungssystemen, den Ökonomen moralisches Risiko nennen."

"Euro-Zone seit längerem wieder auf der Erfolgsspur"

Andreas Rees, Deutschland-Chefvolkswirt der Hypovereinsbank/Unicredit: "Die Rückkehr Griechenlands an die Kapitalmärkte mag spektakulär erscheinen. Nur allzu gut sind einem der Beginn der Euro-Krise 2010 und die danach einsetzenden Turbulenzen in Erinnerung geblieben. Das erstmalige Anzapfen der Kapitalmärkte wird natürlich nichts daran ändern, dass der Weg Griechenlands in den nächsten Jahren steinig bleiben wird.

Fakt ist aber auch: Die Eurozone insgesamt befindet sich schon seit längerem wieder auf der Erfolgsspur. In vielen Ländern sind Strukturreformen eingeleitet worden. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen ist gestiegen, Arbeitsmärkte wurden dereguliert und die öffentlichen Ausgaben gekürzt. Kritiker haben die Reformanstrengungen lange Zeit belächelt oder gar als kontraproduktiv empfunden. Natürlich bleibt noch viel zu tun, nicht nur in Griechenland. Die Staatsverschuldung hat sehr hohe Niveaus erreicht. Mehr Wachstum und weitere strukturelle Ausgabenkürzungen sind notwendig. Das wird alles andere als einfach. Die Euro-Krise hat aber gezeigt, dass die Europäer ihre Probleme in den Griff kriegen können."

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