Europäische Zentralbank:Währungsexperten als Leiharbeiter

Zeitverträge und intransparente Beförderungen frustrieren die EZB-Mitarbeiter.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Es gibt Ereignisse, die dem Berufsleben neuen Schwung verleihen. Bei Carlos Bowles, 44, Betriebsratsvorsitzender der Europäischen Zentralbank (EZB), geschah dies mit dem Anruf eines Kollegen. Der Manager berichtete im Sommer von einem ungeheuerlichen Vorfall. Das Zentralbank-Direktorium habe dem Berater von EZB-Chefvolkswirt Peter Praet, der selbst eines der sechs Mitglieder im Gremium ist, einen hochdotierten Job in Brüssel zugeschanzt. Ohne Ausschreibung, ohne Bewerbungsverfahren - dafür aber mit einem gewaltigen Gehaltssprung.

"Die EZB ist doch keine Privatfirma, sie ist eine öffentliche Institution."

Bowles war alarmiert und schrieb einen geharnischten Brief an EZB-Präsident Mario Draghi, in dem er die "Konsternierung" der Belegschaft über "einen weiteren eindrucksvollen Fall von Günstlingswirtschaft" zum Ausdruck brachte. Bowles und seine Gewerkschaftskollegen verteilten ein freches Flugblatt. Darauf die Bitte um ein "Gehalts-Upgrade", adressiert an EZB-Direktor Praet ("Dear Saint-Peter"), mit der Begründung: "Weil Sie mich kennen, und ich ihr Freund bin".

Der kühne Vorstoß erzielte die gewünschte Wirkung. Die Berufung des Praet-Vertrauten wurde im Oktober zurückgenommen, der Job in Brüssel wird jetzt ausgeschrieben. Das war ein Novum in der Geschichte der EZB: Die Chefetage knickte vor dem Betriebsrat ein. Selbst Manager, die mit Arbeitnehmervertretern wenig gemein haben, zollten für die forsche Intervention Respekt.

Ein Freitagabend. Bowles sitzt an seinem Schreibtisch im 5. Stock des nördlichen EZB-Towers. Durch das Fenster sieht er die Lichter der Großstadt. Der Mann mit den kurzen Haaren wirkt kämpferisch, nicht nur, weil er seine Hemdsärmel hochgekrempelt hat. An der Wand hängt ein Bild. Es zeigt ihn mit Gewerkschaftskollegen bei einem Weiterbildungsprogramm an der Universität Harvard. Er arbeitet seit 2004 bei der EZB, seit 2008 ist er Betriebsrat. Bowles hat vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die EZB geklagt. Der Vorwurf: Man wird als Betriebsrat nicht befördert, obwohl es einem zusteht. Das Gericht habe ihm jetzt recht gegeben. Doch die EZB habe den Fehler bislang nicht korrigiert.

EZB-Zentrale in Frankfurt/Main

Die EZB in Frankfurt gilt als guter Arbeitgeber, die Gehälter sind ordentlich. Doch die Stimmung der Truppe ist schlecht.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)

Bowles hat einen britischen Vater und eine spanische Mutter. Aufgewachsen ist er in Paris. Er besuchte dort die Eliteschule HEC, wo künftige Führungskräfte der französischen Wirtschaft ausgebildet werden. Später promovierte er. Jetzt kämpft er für die Belegschaft. "Ich habe als Kind erlebt, wie hart meine Mutter als Alleinerziehende arbeiten musste", erinnert sich der zweifache Familienvater. "Ich möchte, dass Arbeitnehmer, die gut arbeiten, auch gut behandelt werden."

Dabei gilt die EZB als guter Arbeitgeber. Die Gehälter sind in Ordnung, es gibt viele Zuschüsse und Vergünstigungen. Doch die Stimmung in der Truppe ist vielerorts schlecht. Es gibt wenig Aufstiegschancen für die vielen ehrgeizigen und gut ausgebildeten Fachleute. Der Vorwurf der Vetternwirtschaft grassiert schon lange. Das hat der Chefetage nie behagt. EZB-Chefvolkswirt Peter Praet soll sich gegenüber Managern einmal sehr empört über den Vorwurf geäußert haben. Wer sich benachteiligt fühle, so soll der Belgier bei einem Treffen gesagt haben, solle sich bei ihm melden. Das war vor dem Vorfall.

Die aktuelle Mitarbeiterumfrage des Betriebsrats bestätigt das Misstrauen. Etwa 80 Prozent der Mitarbeiter gaben an, dass Vetternwirtschaft und Transparenz bei der Job-Vergabe ein relevantes Thema sind, sprich: Man fürchte das eine und vermisse das andere.

Bowles arbeitet eng mit Johannes Priesemann, 58, zusammen. Die beiden sind positionell über Kreuz verbandelt. Der eine ist der Stellvertreter des anderen. Priesemann ist Präsident von IPSO, der Gewerkschaft für Arbeitnehmer bei EU-Organen. Er hat 1995 beim Europäischen Währungsinstitut angefangen, der EZB-Vorläuferinstitution. Der Mann hat 21 Jahre Notenbank-Erfahrung, und doch erlebt er immer noch Neues.

Carlos Bowles

Betriebsratschef Carlos Bowles geht hart vor gegen die EZB-Chefetage.

Priesemann ist mit Bowles Ende Oktober nach Straßburg zum Europäischen Parlament gereist. Mit dem Anhörungstermin vor dem parlamentarischen Wirtschafts- und Währungsausschuss war dem Gewerkschaftschef ein Coup gelungen. Normalerweise spricht dort EZB-Präsident Draghi. Jetzt durften auch Gewerkschaft und Betriebsrat einige Worte an die Abgeordneten richten - und zwar zur Lage der Beschäftigten bei der EZB. Das war eine Chance zur Profilierung.

Für die EZB kam Verwaltungschef Michael Diemer, 54, nach Straßburg. Er spricht gutes Englisch. Dennoch wirkte er angespannt. Es stand ein heikles Thema an: Leiharbeit. "Wir sind besorgt wegen der Zeitarbeiter bei der EZB. Wie viele Jahre arbeiten da manche schon?", fragte der EU-Abgeordnete der Linken, Fabio De Masi. Diemer antwortete, erst nachdem De Masi nachgehakt hatte: "Sechs Jahre plus!" Man merkte, dass ihm die Antwort unangenehm war. Wenig später sollte Gewerkschaftschef Priesemann das ganze Drama beziffern: "Es gibt bei der EZB Leiharbeiter, die dort seit zehn und zwölf Jahren arbeiten."

Die Europäische Zentralbank beschäftigt etwa 260 Leiharbeiter. Eigentlich sollte Leiharbeit in eine feste Anstellung münden. Doch das passiere viel zu selten, meint die Gewerkschaft. Die EZB-Zeitarbeiter verdienen weniger Geld als festangestellten Kollegen, obwohl sie häufig die gleiche Aufgabe erledigen. Die EZB spart nicht einmal Geld, so ist zu hören, weil die Lohndifferenz von der Zeitarbeitsfirma eingesteckt wird. Die Leiharbeiter müssen sich um ihre Jobs immer wieder neu bewerben - gegen andere Kandidaten. "Bewerbungsgespräche werden manchmal zur Makulatur, man spielt Komödie", erzählt Priesemann. Es sei gängige Praxis, mit Bewerbern überflüssige Gespräche zu führen, nur weil es die Regel vorschreibe. "Dabei sind die Leiharbeitjobs bereits vergeben."

EZB-Verwaltungschef Diemer teilte mit, man werde den Einsatz von Leiharbeitern zurückfahren. Zudem nehme man die Vetternwirtschaftsvorwürfe der Belegschaft "sehr ernst". Man werde jetzt "frühere Entscheidungen kritisch unter die Lupe nehmen" und bei Bedarf auch "zurücknehmen". Am Ende geht es auch um die Reputation der Notenbank: "Die Loyalität der Mitarbeiter muss belohnt werden", sagt Betriebsratschef Bowles. "Die EZB ist doch keine Privatfirma, sie ist eine öffentliche Institution."

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