Europäische Zentralbank:EZB-Entscheidung zu Zinsen stürzt Draghi ins Dilemma

EZB in Frankfurt am Main

EZB-Präsident Mario Draghi versucht, die Wirtschaft mit niedrigen Zinsen zu mehr Konsum und Investition zu bringen. Im Bild: Die Zentralbank in Frankfurt am Main

(Foto: dpa)

Der EZB-Chef kann kaum etwas richtig machen. Entweder weitet er die Geldflut aus und riskiert seine Glaubwürdigkeit - oder aber ein Finanzmarkt-Chaos.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Im Sommer 2011 durften die Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank (EZB) ihrem scheidenden EZB-Präsidenten Jean-Claude Trichet in einer Umfrage noch ein Arbeitszeugnis ausstellen. Das bemerkenswerteste Ergebnis war, dass 55 Prozent der Befragten davon überzeugt waren, Trichet habe mit dem Programm zum Ankauf von Staatsanleihen der Euro-Problemländer das Mandat der EZB - die Sicherung stabiler Preise - überdehnt.

Nun hat Trichets Nachfolger, Mario Draghi, eigentlich erst richtig losgelegt, so viel wie möglich aus dem rechtsverbindlichen Mandat der EZB herauszuholen. Gut möglich, dass eine neuerliche Mitarbeiterumfrage zu einem noch eindeutigerem Ergebnis führen würde.

Die EZB unter Draghi tut Dinge, an die Trichet damals wohl niemals gedacht hätte. Es ist ein für Europa historisch einmaliges Experiment, das durchaus Gefahr läuft, zu scheitern. Draghi hat in den Jahren nach seiner "Londoner Rede" im Jahr 2012, in der er versprach alles zu tun, um den Euro zu retten, den Leitzins auf null Prozent gesetzt, Strafzinsen eingeführt und ein rekordstarkes Anleihekaufprogramm im Wert von 1,5 Billionen Euro beschlossen. Doch die Maßnahmen der EZB wirken nicht so, wie man es erwartet hätte.

Die Wirtschaft in der Euro-Zone lahmt, es droht nach Ansicht der EZB sogar eine gefährliche Deflation, weil die Preise sinken, vor allem die der Rohstoffe. Die Verbraucher haben dadurch mehr Geld übrig für den Konsum, was die Wirtschaft vorantreibt. Dauerhaft sinkende Preise können aber auch das Wachstum abwürgen. Japan dient hier als warnendes Beispiel.

Der EZB-Rat wird deshalb auf seiner Sitzung am Donnerstag mit hoher Wahrscheinlichkeit den Strafzins noch weiter absenken und das Kaufprogramm ausweiten. Es gilt das Motto: more of the same.

Draghis Kurs ist umstritten. Bundesbankpräsident Jens Weidmann und Notenbanker aus den baltischen Staaten gelten als Gegner. Aber auch die EZB-Ratsmitglieder, die Draghis Kurs im Kern für richtig halten, stören sich an seinem Führungsstil. Immer wieder kündigte Draghi mögliche EZB-Maßnahmen schon an, bevor das Thema im Gremium überhaupt besprochen und entschieden wurde. Mancher fühlt sich da übergangen.

Die EZB befindet sich in einer neuen und unbequemen Doppelrolle

Weil die Ankündigungen Draghis meistens sofort positive Wirkung an den Finanzmärkten entfalten, gerät der EZB-Rat unter Druck, die Maßnahmen dann auch zu beschließen. Niemand möchte einen Kursrutsch an den Börsen auslösen. "Anführer müssen zuhören und führen, manche führen mehr als sie zuhören", sagt ein EZB-Notenbanker zu Draghis Stil. Ein großer Streit im Gremium drohe nicht, denn niemand im EZB-Rat wolle die Reputation der Institution gefährden, indem man Draghi bloßstelle. Der Italiener steht unter starkem Druck. Er möchte mit allen Mitteln erreichen, dass die Preise in der Euro-Zone steigen, und zwar auf zwei Prozent. Draghi hat nun so oft gepredigt, dieses Ziel zu erreichen, dass er die Glaubwürdigkeit der EZB daran geknüpft hat.

"Die EZB ist an einer Wegscheide. Wenn Draghi die lockere Geldpolitik plötzlich beenden würde, käme es an den Finanzmärkten zu Verwerfungen", sagt Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt der DZ Bank. "Wenn er weitermacht, dann ist die Glaubwürdigkeit der EZB gefährdet. Das ist dann kaum mehr zu kitten."

Die EZB dreht sich im Kreis. Die Zinsen kann man praktisch nicht mehr viel weiter absenken, am Ende läuft es nur noch darauf hinaus, mithilfe der Notenpresse immer mehr Wertpapiere zu kaufen. "Die EZB kann irgendwann Aktien, Bankanleihen und noch mehr Staatsanleihen kaufen - und dann? Die Märkte werden sich irgendwann davon nicht mehr beeindrucken lassen", sagt Bielmeier. Er attestiert der EZB zudem Unschärfe. "Man klammert sich an diese zwei Prozent Inflation. Wenn der Ölpreis zügig auf 40 Dollar je Barrel steigt, dann haben wir zwei Prozent Inflation. Wird die EZB dann die lockere Geldpolitik beenden und die Zinsen wieder schnell normalisieren? Nein, denn das Risiko einer Rezession im Euro-Raum wäre viel zu groß."

Die Zentralbank leidet zunehmend auch an ihrer Doppelrolle. Neben der Geldpolitik sind die Notenbanker seit November 2014 auch für die Bankenaufsicht zuständig. Das Problem: Die geldpolitische Niedrigzinspolitik schmälert langfristig die Profite der Banken, was wiederum die Bankenaufseher der EZB sorgen muss. Ein Zielkonflikt. Besonders der Strafzins führt in der Konsequenz zu abstrusen Situationen. Banken führen bei der Zentralbank ihr Girokonto. Alle Gelder, die die Bank nicht verleiht, liegen dort. Derzeit wird auf diesen Überschussbetrag ein Strafzins in Höhe von 0,3 Prozent fällig. Banken haben also kein Interesse an Spareinlagen, für die es noch keinen Kreditnehmer gibt. Frisches Geld hat einen Igitt-Faktor. "Wenn ein Unternehmen plötzlich ein paar Millionen Euro auf das Konto überweist, dann rufen wir die Kunden sofort an", erzählt Friedrich Keine, Vorstand der Volksbank Paderborn-Höxter-Detmold. Das Geld solle stattdessen in Kündigungsgeld mit einer Laufzeit von 45 Tagen umdisponiert werden. Dadurch entgeht man dem Strafzins.

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