Europäische Zentralbank:Der Frust der Notenbanker

Anti-Brexit protesters demonstrate outside Parliament, in Westminster, central London.

"Das ist Selbstmord", steht auf dem Karton einer Demonstrantin vor dem Parlament in London. Eine Mehrheit der Briten hat sich für den EU-Austritt ausgesprochen.

(Foto: Andrew Testa/The New York Times)

Die EZB hat für ihren Geschmack alles getan, um Europa aus der Krise zu führen: Leitzins gesenkt, Staatsanleihen gekauft. Sie verschenkt sogar Geld. Doch der Brexit zeigt, sie allein wird es nicht schaffen.

Von Markus Zydra, Sintra

Eigentlich hatten sich Mario Draghi, Janet Yellen und Mark Carney in den alten Gemäuern der weltberühmten Klosteranlage Penha Longa zu einem intellektuellen Plausch über die "Zukunft der internationalen Finanzarchitektur" treffen wollen. Nun aber, nach der Entscheidung der britischen Bevölkerung über einen EU-Austritt, wollten die Notenbankchefs aus Europa, den Vereinigten Staaten und Großbritanniens lieber nicht ins abgelegene Kloster nahe der portugiesischen Stadt Sintra reisen. Der Brexit lässt eben keinen Raum mehr für theoretische Diskussionen.

Gastgeber Draghi wollte die Konferenz am Montagabend immerhin eröffnen. Das EZB-Forum zählt neben der von der US-Notenbank organisierten Konferenz in Jackson Hole zu den wichtigsten jährlichen internationalen Geldpolitik-Treffen. Doch in diesen Tagen hadert die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihrem Schicksal. Das Votum der Briten, die EU zu verlassen, hat bei Europas Notenbankern, man darf es wohl so salopp schreiben, einen Riesenfrust ausgelöst.

Die europäische Notenbank in Frankfurt legt sich, so sieht man es dort selbst, seit nunmehr acht Jahren krumm, um Europa aus der Krise zu führen. Dazu hat man den Leitzins bis auf null Prozent gesenkt und für fast eine Billion Euro Staatsanleihen gekauft. Seit Neuestem verschenkt die EZB den Banken bei der Kreditaufnahme unter bestimmten Bedingungen sogar Geld. Auch der Ankauf von Firmenanleihen ist angelaufen. Die EZB wird dadurch Kreditgeber von Großkonzernen wie Daimler und Siemens.

Die EZB-Granden wähnten sich endlich auf gutem Weg. In den letzten Wochen spürte man in den Frankfurter Doppeltürmen Hoffnung, dass die vor allem in Deutschland stark umstrittenen Maßnahmen endlich Wachstum und Inflation in der Eurozone stärken würden.

Dann kam das Brexit-Votum, das selbst besonnene Notenbanker dazu brachte, mit dem Schicksal zu hadern. Es war ja nicht das erste Mal, dass externe Schocks die optimistischen Pläne der EZB umgeworfen haben: Da gab es die Euro-Schuldenkrise und Griechenland ab 2010, dann folgten die Turbulenzen in der Volksrepublik China im vergangenen Jahr.

Die EZB schippert in den rauen Gewässern der Weltfinanzwirtschaft. Es ist ein schwieriger, womöglich unmöglicher Job. Immer wieder drohen diese unerwarteten Katastrophen. Dafür kann Draghi natürlich nichts. Doch in der Öffentlichkeit entsteht dann schnell der Eindruck, die EZB-Maßnahmen brächten nichts. So auch jetzt: Die Unsicherheit über die neuen Rahmenbedingungen im Verhältnis zwischen der EU und Großbritannien ist alles andere als wachstumsfördernd. Die EZB-Hilfsprogramme könnten im schlimmsten Fall weitgehend verpuffen.

Darüber hinaus wächst die Unruhe an den Finanzmärkten. So ist das britische Pfund am Montag weiter unter Druck geraten und noch unter den Stand vom Freitag direkt nach dem Brexit-Votum gefallen. Am Montagmittag kostete die britische Währung noch 1,32 Dollar und damit so wenig wie seit dem Jahr 1985 nicht mehr. Auch der deutsche Aktienindex Dax machte Verluste.

Die mächtigsten Notenbanker wollen in diesem labilen Umfeld für Ruhe sorgen. Großbritannien sei eng in die Weltwirtschaft integriert und beherberge auch einige der weltweit wichtigsten Finanzzentren, sagte der Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), Jaime Caruana, am Sonntag auf der Jahresversammlung in Basel. Die 1930 gegründete BIZ ist die globale Zentralbank der nationalen Notenbanken.

Die BIZ befürwortete die Notfallmaßnahmen der Bank von England. Nach dem Brexit-Votum hatte die britische Notenbank 250 Milliarden Pfund zur Geldversorgung der Geschäftsbanken zur Verfügung gestellt. Die Schweizer Nationalbank intervenierte am Devisenmarkt, um einen Höhenflug des Franken zu stoppen. Die EZB steht nach eigenen Angaben bereit, Geldhäusern im Währungsraum im Notfall mit ausreichend Liquidität zu versorgen - in Euro und in anderen Währungen. Auch die US-Notenbank will Engpässen entgegentreten. "Es wird wahrscheinlich eine Zeit der Unsicherheit und Anpassung geben", so Caruana. Er sei aber zuversichtlich, dass sich die Unsicherheit durch Zusammenarbeit auf globaler Ebene eingrenzen lasse und Anpassungen so reibungslos wie möglich erfolgten.

Die Währungshüter haben kaum noch Mittel, Europa auf Wachstumskurs zu bringen

Das sind Worte der Hoffnung. Doch welche Maßnahmen haben die Notenbanker überhaupt noch? Die Leitzinsen liegen in allen Industriestaaten nahe null Prozent. Die EZB hat sogar einen Strafzins eingeführt. Sollte der weiter abgesenkt werden, kämen Europas Banken noch mehr in die Bredouille, weil sie nichts verdienen. Die EZB könnte mehr Staatsanleihen kaufen. Doch dann macht sie Verluste. Bundesanleihen werfen kein Geld mehr ab - sie kosten Geld. Außerdem wird das Angebot knapp. Die Rendite von 57 Prozent aller deutschen Staatsanleihen liege derzeit unter der Marke von minus 0,4 Prozent, teilte der Vermögensverwalter Pictet am Montag mit. Die EZB darf europäische Schuldscheine nur bis zu dieser Grenze kaufen

EZB-Präsident Draghi betont immer wieder, dass man "stets bereit ist, zu handeln". Dahinter steht das unausgesprochene Versprechen an die Finanzmärkte, im Ernstfall noch radikalere Maßnahmen zu beschließen. Doch mittlerweile wird deutlich, dass es mächtige Notenbanker allein wohl nicht schaffen werden, Europa auf Wachstumskurs zu bringen. Obwohl sie an der größten Geldquelle sitzen.

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