Energiebranche nach dem Atomausstieg:Stromindustrie fordert Geld für neue Kraftwerke

Der Atomausstieg kam schnell - zu schnell für die Energiebranche. Die ist jetzt gespalten: Die Stadtwerke wollen Zuschüsse für den Bau neuer Kraftwerke haben und gehen damit auf Konfrontationskurs zu den Atomkonzernen. Der Machtkampf im Stromsektor ist voll entbrannt.

Markus Balser und Michael Bauchmüller

Das jahrelange Stammgeschäft ist nach Fukushima weg, und jetzt soll Vater Staat helfen: Nach dem schwarz-gelben Atomausstieg drängt die deutsche Stromwirtschaft auf Finanzhilfen für den Bau von Ersatz-Kraftwerken. "Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien werden neue Kraftwerke in Zukunft immer seltener in Betrieb sein", sagt Ewald Woste, Präsident des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Süddeutschen Zeitung. Investitionen könnten sich deshalb kaum noch rentieren. Damit die Energiewende dennoch gelinge, sei die Förderung neuer Anlagen nötig, etwa beim Bau von Gas- und Kohlekraftwerken.

New Government Aims To Cut Power Prices

Arbeiter an einer Hochspannungsleitung: Nach dem Ende für die Atomkraft müssen jetzt neue Kraftwerke gebaut werden - der Staat soll nach dem Willen der Industrie kräftig mitzahlen.

(Foto: Getty Images)

Sie sollen Atomkraftwerke ersetzen, weil sie als besonders flexibel gelten, und einspringen, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Die Energiebranche warnt damit vor einem bislang kaum beachteten Problem der Energiewende. Denn die Bundesregierung setzt beim Umbau der Branche den Bau neuer Kraftwerke in großem Stil voraus. Doch die erwiesen sich wegen befürchteter langer Stillstandszeiten zusehends als unattraktiv, warnt Lobbyist Woste.

Da erneuerbare Quellen immer größere Anteile übernehmen, reichten die Betriebszeiten nicht mehr aus, um Investitionen einzuspielen. Damit drohen Energie-Engpässe in Deutschland. Die Branche, die über viele Jahre zu den bestverdienenden in Deutschland gehörte, hofft nun auf eine weit reichende finanzielle Unterstützung. Möglich seien Zuschüsse für Neubauten. Zudem komme eine Reserveprämie für stillstehende Kraftwerke in Frage, erläutert Woste. So könnten die Betreiber flexibler Kraftwerke dafür entlohnt werden, dass sie eine Reserve für Flauten bei erneuerbaren Energien bereitstellen: "Das ist ein Modell, über das wir reden müssen." Von diesen Mechanismen hänge auch ab, ob sich neue Kraftwerksprojekte durch Banken refinanzieren ließen. Insgesamt dürfte es um mehrere Milliarden Euro gehen.

Aus der Politik bekommt die Branche Zustimmung. Die Bundesregierung erwägt nach SZ-Informationen bereits eine entsprechende Förderung. Das Bundeswirtschaftsministerium befasse sich umfassend mit Fragen der Versorgungssicherheit und ausreichender Erzeugungskapazitäten in Deutschland, teilt ein Sprecher mit. Es prüfe dabei auch Fragen des sogenannten Strommarktdesigns. Es gehe darum, ob und wie in Zukunft die Bereitstellung von Kapazitäten behandelt werde. Die Diskussion stehe jedoch erst am Anfang. Den Informationen zufolge hat das Ministerium eine Expertise das Energiewirtschaftlichen Instituts der Uni Köln angefordert.

Schaden noch mehr Subventionen dem Strommarkt?

Kritiker bemängeln, dass mit neuen Subventionen die seit Jahren forcierte Liberalisierung des Energiemarktes zurückgedrängt werde. Selbst innerhalb der Energiebranche ist der Ruf nach Hilfen hoch umstritten. Die großen Stromkonzerne fürchten, benachteiligt zu werden - Gaskraftwerke sind vor allem ein Geschäftsmodell für Stadtwerke. Auch wehren sie sich gegen weitere Regulierungen am Strommarkt. Es handele sich nur um eine Übergangslösung, schränkt Woste ein: "Dazu müssen wir einen Kompromiss finden." Der Verband werde der Regierung im Herbst Vorschläge vorlegen. Die im BDEW organisierte Energiebranche ist tief gespalten, seit sich der Verband im Frühjahr nach der Atomkatastrophe in Japan mehrheitlich für einen zügigen Atomausstieg aussprach. Vor allem Stadtwerke trieben den Beschluss voran - gegen die Stimmen von Atomkraft-Betreibern wie RWE oder Eon.

Woste verteidigt den Anti-Atomkurs seines Verbandes, der insgesamt 1800 Versorger vertritt, gegen die Kritik der Atomwirtschaft: "Die Wahrnehmung hat sich für uns alle durch Fukushima geändert." Auch sei die Entscheidung nach einer äußerst sachlichen Debatte gefallen. "Und keiner der Stromkonzerne ist deshalb ausgetreten." Schon vor der Laufzeitverlängerung vom Herbst 2010 hatten beide Seiten um eine gemeinsame Position gerungen, Woste war damals - genau vor einem Jahr- zum Präsidenten des Verbandes gewählt worden. Seinerzeit fand der BDEW eine gemeinsame Linie, nach der zwar längere Laufzeiten willkommen waren, jedoch nicht auf Kosten des Wettbewerbs. "Das ist von der Politik leider am Ende nicht genügend umgesetzt worden", kritisiert Woste.

Die Marktmacht des Atomquartetts RWE, Eon, Vattenfall und EnBW blieb erdrückend. Zusammen erzeugen sie etwa 80 Prozent des Stroms. Mit dem bis 2022 besiegelten Aus der 17 deutschen Atomkraftwerke sieht der Verband die Branche vor einer Neuordnung: "Es bricht eine neue Zeit an", sagt Woste. Hinter den Kulissen ist längst ein Machtkampf um Marktanteile zwischen Stadtwerken und Stromkonzernen entbrannt. Und auch internationale Akteure wie Gazprom mischen mit.

Verbandschef Woste, der auch Chef der Stadtwerkeholding Thüga ist, zeigt sich offen für eine Expansion des russischen Rohstoffkonzerns in Deutschland. "Gazprom ist wie andere Unternehmen auch ein interessanter Partner", sagt der 51-jährige Wirtschaftswissenschaftler. Der Konzern aus Moskau habe die finanziellen Mittel und das Lieferpotential für gemeinsame Projekte, "das Unternehmen ist uns grundsätzlich sehr willkommen". Offen hatte der russische Monopolist Pläne zum Einstieg in die deutsche Strombranche angekündigt. "Wir beabsichtigen, uns auf dem attraktiven deutschen Markt an Projekten zum Bau von Kraftwerken zu beteiligen", sagte Gazprom-Chef Alexej Miller in Moskau.

Wie sehr die Energiewende auch die Verbraucher belaste und die Strompreise ansteigen lasse, sei noch nicht klar, bilanziert Woste: "Sicher ist nur, dass sie steigen, nicht aber, wie stark." Viele der "Horrorszenarien" der jüngsten Zeit seien aber unsachlich gewesen.

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