ZEW-Studie:Automatisierung könnte 560 000 Jobs schaffen

Messe Automatica, Robotermesse, Riem

Roboter bei der Arbeit: Die Automatisierung könnte viele neue Stellen schaffen, haben Ökonomen berechnet.

(Foto: Florian Peljak)
  • Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat 2000 Unternehmen zu den Auswirkungen der Automatisierung befragt.
  • Ein Ergebnis: Bis 2021 könnten netto 560 000 Stellen entstehen.
  • Wichtig ist allerdings, dass Arbeitnehmer umgeschult werden. Sonst drohen ungleiche Löhne.

Von Alexander Hagelüken

Maschinen, die Gesichter erkennen oder autonom Autos steuern? Was vor wenigen Jahren unvorstellbar schien, ist heute real. Das nährt Ängste, dass die digitale Ära die Menschen massenhaft arbeitslos macht. Ökonomen setzen nun ein positives Szenario dagegen: Demnach schafft die Automatisierung in den nächsten Jahren in Deutschland sogar mehr Jobs. Die große Herausforderung bestehe darin, Menschen umzuqualifizieren.

Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) hat 2000 Unternehmen befragt, die in der Vergangenheit in Spitzentechnologie investierten und jetzt wieder. Aus den Daten errechnen Melanie Arntz, Terry Gregory und Ulrich Zierahn, dass Automatisierung zwischen 2016 und 2021 netto 560 000 Stellen kreiert.

Die unveröffentlichte Untersuchung setzt sich ausführlich mit den vielen negativen Prognosen auseinander. Forscher wie Jeremy Bowles, Mika Pajarinen sowie Michael Osborne und Carl B. Frey beziffern in unterschiedlichen Studien 40 bis 60 Prozent der europäischen und amerikanischen Arbeitsplätze als automatisierbar. Das bedeutet aber nicht, dass unterm Strich ebenso viele Menschen arbeitslos werden, argumentiert das ZEW. Zum einen ermitteln andere Forscher etwa für Deutschland nur ein Automatisierungsrisiko von zwölf bis 15 Prozent. Zum anderen ersetzen Betriebe aus verschiedenen Gründen nicht alle Mitarbeiter, bei denen es technisch möglich wäre.

Außerdem passen sich Arbeitnehmer an die technologische Entwicklung an und übernehmen andere Aufgaben. So wie Bankbeschäftigte, die früher Geld auszahlten. Heute tun das Automaten, die ehemaligen Kassenmitarbeiter kümmern sich nun um Kunden - Untersuchungen belegen, dass ihre Zahl nicht abnahm. Neue Technik kann auch Arbeitnehmer produktiver machen respektive neue Tätigkeiten und Umsätze schaffen. Weiterer Effekt: Automatisierung reduziert die Kosten von Firmen, die daraufhin ihre Preise senken, worauf die Kunden mehr Geld für andere Produkte ausgeben können - und so Jobs schaffen.

Einerseits vernichten die Maschinen Arbeitsplätze, andererseits schaffen sie welche. Was kommt dabei heraus? Eine frühere ZEW-Studie ermittelte, dass die Automatisierung in Europa von 1999 bis 2010 zwar 1,6 Millionen Jobs vernichtete, aber 3,4 Millionen entstehen ließ. Doch bleibt das in Zukunft so, da Maschinen immer mehr können? An den aktuellen Berechnungen fällt auf, dass ein Effekt weit überwiegt: Für höhere Produktivität und niedrigere Kosten sorgt die neue selbststeuernde Industrie-4.0-Technik zunächst kaum. Bis das geschieht, wird es dauern. Eindeutig positiv auf die Jobs wirkt nur einer der gängigen Effekte: "Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung sorgen dafür, dass Unternehmen zunächst eher zusätzliche Beschäftigte einstellen werden, um die neuen Technologien einzuführen, als Personal abzubauen". Die Einführung aber wird sich irgendwann erledigt haben.

Ob die neue Technik dann Jobs vernichtet, hängt vor allem von zwei Fragen ab: Schafft die Digitalisierung zusätzliche Tätigkeiten und Umsatz für die Firmen? Dafür gibt es Anzeichen. Steigert sie die Produktivität, sodass Preise sinken und Kunden Geld für anderes übrig haben? Das ist ungeklärt, am prominentesten bezweifeln es US-Ökonomen wie Daron Acemoğlu und Robert Gordon. Ulrich Zierahn bleibt optimistisch: "Die prognostizierte Massenarbeitslosigkeit aufgrund des technologischen Wandels ist unwahrscheinlich".

Die Lohnabstände in Deutschland wachsen

Unternehmen, Arbeitnehmer und Politik müssen aber reagieren. Denn die Digitalisierung verändert, was die Menschen zu arbeiten haben. Fabrikjobs, vor allem Bürotätigkeiten mit hohem Routineanteil wie bei Sachbearbeitern schrumpfen. Analytische wie interaktive Jobs von IT-Leuten, Managern, Vertrieblern oder Dienstleistungen wie Pflege nehmen dagegen von 2016 bis 2021 um sieben bis acht Prozent zu. Da hier die Reallöhne um sechs Prozent steigen, bei Routine-Bürojobs aber stagnieren, wachsen die Lohnabstände in Deutschland. "Digitalisierung und Automatisierung verschärfen die Einkommensungleichheit. Wer den Wandel nicht mitgehen kann, der hat ein Problem", so Zierahn. "Wenn wir wollen, dass die Ungleichheit nicht weiter steigt, sollten wir den Menschen durch gezielte Aus- und Weiterbildung helfen. Da sind Betriebe, Beschäftigte und die Gesellschaft insgesamt gefragt."

Die Bundesregierung hat gerade durch eine Weiterbildungsstrategie einen Anstoß gegeben. Ob die Anstrengungen reichen, genug Arbeitnehmer für neue Tätigkeiten zu qualifizieren, wird sich aber erst zeigen. Zierahn sorgt sich auch um die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen: "Es sind Maßnahmen nötig, um sicherzustellen, dass vor allem kleine und mittelgroße Unternehmen den Anschluss nicht verlieren." Bessere Netze und Datenschutzregeln müssten die Verbreitung der neuen Technik fördern.

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