Das Deutsche Valley:Bauer sucht Start-up

Schäfer, Ulrich

Illustration: Bernd Schifferdecker

Auf dem Land entscheidet sich, ob die Digitalisierung in Deutschland gelingt. "Silicon Vilstal" zeigt, wie man in der Provinz die kreativen Impulse aus den Metropolen nutzt.

Von Ulrich Schäfer

Die Familie von Helmut Ramsauer lebt seit 300 Jahren im Vilstal nordöstlich von München. In vielen Schleifen mäandert die Vils hier durch das Hügelland, vorbei an Äckern und Wäldern, die Orte heißen Frauenhaarbach, Tattendorf oder Leberskirchen.

Wie digital ist diese Gegend? "Geht so", sagt Helmut Ramsauer. Aber der Unternehmensberater, der früher für internationale Beratungsfirmen tätig war und heute Firmen bei der digitalen Transformation hilft, möchte das ändern. Und zwar mit einer "Graswurzel-Initiative", die den klingenden Namen "Silicon Vilstal" trägt.

Im September 2016 haben Ramsauer und eine Handvoll Mitstreiter das Projekt gestartet. Sie haben Gründer und Digitalexperten zu einem Digital-Festival ins Vilstal eingeladen, haben Podiumsdiskussionen und Workshops organisiert für Erwachsene und Kinder. "Wir zeigen uns und anderen, was das Vilstal schon heute zu bieten hat. Und wir lernen zusammen, was in digitalen Zeiten aus dem Vilstal noch alles werden kann", lautete das Ziel des Festivals.

In drei Wochen, vom 22. bis 24. September, steigt rund um Vilsbiburg und Ramsauers Heimatdorf Geisenhausen das zweite "Silicon-Vilstal-Mitmachfestival", 1000 bis 1500 Besucher erwarten die Macher, dazu über 30 Referenten, darunter namhafte wie der Designer Hartmut Esslinger, der für Steve Jobs Apple-Computer entworfen hat. Auch eine Kreativwerkstatt wird es geben, mit einem Maker-Space, wie es im Gründer-Englisch heute heißt. Solche Maker-Spaces sind in den Städten gerade schwer angesagt. "Im Grunde", sagt Ramsauer, "wird da aber nur das Handwerk, das es auf dem Land gibt, neu erfunden."

Wenn man den ländlichen Raum digitalisieren wolle, dann, glaubt Ramsauer: gehe es nur so: von unten - und nicht durch Förderprogramme, die sich Politiker in Berlin ausdenken. Auch jetzt findet man in den Wahlprogrammen wieder einiges an Vorschlägen, allen voran: den Ausbau von Breitband. "Viele dieser Aktivitäten", klagt Ramsauer, " haben etwas Leidendes, nach dem Motto: Lasst uns für die armen Leute in der Pampa wenigstens ein paar Kabel legen." Ein paar Kabel aber reichten nicht aus. Sondern es müsse ein Bewusstsein dafür entstehen, welche Chancen die Digitalisierung für das Land biete: für Firmen und Landwirte, für Bürger und Verwaltung.

Auch die lokalen Politiker will Ramsauer erreichen. Anderswo, sagt er, gebe es in der Lokalpolitik oft den Reflex, einfach schnell ein Innovationszentrum mit Flachdach auf die grüne Wiese zu stellen, auf dass ein paar digitale Firmen schon kommen werden. Aber funktioniert das? Ramsauer hat da seine Zweifel. Bei "Silicon Vilstal" setzen sie stattdessen auf einen kontinuierlichen Austausch zwischen Stadt und Land, zwischen urbanen Gründern und den Entscheidungsträgern vor Ort. So laden die Macher auch diesmal wieder Start-ups ein, während des Silicon-Vilstal-Festivals (und darüber hinaus) kostenlos auf dem Bauernhof zu wohnen und dort zu arbeiten. "Bauer sucht Start-up" heißt dieses Projekt, die Erfahrungen daraus sollen einfließen in die lokale Wirtschaftspolitik.

Unter dem Motto "Bauer sucht Start-up" bezogen die Vilstaler im Frühjahr auch für einige Tage den Viereckhof, das älteste landwirtschaftliche Gebäude in München-Schwabing. Sie verwandelten es in einen Coworking-Space und luden Gründer ein, in einem Wettbewerb Mobilitätslösungen für den ländlichen Raum zu entwickeln. Heraus kamen: Solar-Fahrräder, E-Taxis oder ein Carsharing-Modell fürs Land. Das Siegerteam entwickelte sogenannte Mitfahrbänke und will damit die Ridesharing-Idee von Uber in den ländlichen Raum übertragen. Auf den Bänken kann man sich niederlassen und digital seinen Mitfahrwunsch kundtun. Beim Silicon-Vilstal-Festival werden die Prototypen gezeigt.

Die Coffeeshop-Hipster mögen darüber lächeln, aber die meisten Industriejobs gibt es auf dem Land

Solche Initiativen, die die Digitalisierung voranbringen wollen, schießen mittlerweile in ganz Deutschland aus dem Boden. Zum Beispiel im nordhessischen Korbach oder im südsauerländischen Bad Berleburg: Dort holten die örtlichen Sparkassen alle Mitarbeiter zu einem Digital-Tag zusammen, um sie für den Angriff der Fintechs und die digitalen Veränderungen im Bankgeschäft zu rüsten - in den kommenden Monaten soll daraus mehr entstehen, auch für die Kunden. Oder in Ettlingen im Albtal: Dort eröffnete Anfang Juni in einem historischen Industriegebäude die "Gründerspinnerei" - sie bietet Raum und Infrastruktur für bis zu 30 Start-ups. Oder im Ostalbkreis: Dort will Armin Haas mit seiner Firma Build'n'break 2018 eine Innovationsschmiede eröffnen - sie soll jährlich 24 Start-ups aufnehmen und, so Haas, "zwölf in Freiheit entlassen".

Die Coffeeshop-Hipster in den Metropolen mögen über solche Initiativen auf dem Land lächeln, sie orientieren sich lieber an den coolen Jungs aus dem Silicon Valley, die das große Rad drehen. Und doch wird die Digitalisierung in Deutschland nur gelingen, wenn auch die ländlichen Regionen sich vernetzen und all die Möglichkeiten nutzen. Auf dem Land sitzen nämlich die meisten jener Mittelständler, die das Herz der deutschen Wirtschaft bilden, 70 Prozent der Industriearbeitsplätze finden sich dort. Viele der "Hidden Champions", der unbekannten Weltmarktführer vom Land, setzen mit ihren hoch spezialisierten Produkten längst auf das Internet der Dinge, in dem nicht bloß Autos, Smartphones und Häuser, sondern auch Maschinen und Fabriken miteinander vernetzt werden.

Für den Erfolg der Unternehmen aber ist es wichtig, dass auch ihre Heimatregionen sich digitalisieren. Nur dann werden sie dort jene digital versierten Fachkräfte finden oder kreative Köpfe von anderswo anlocken können, auf denen ihr Erfolg fußt. Und nur dann werden Gegenden wie das Vilstal, das Albtal oder das Südsauerland auch weiter vom Erfolg dieser Firmen profitieren.

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