Steuerskandal:Cum-Ex-Aufklärer in der Schweiz zu Geldstrafe verurteilt

Anwalt Eckart Seith freigesproch

Anwalt Eckart Seith auf dem Weg zur Urteilsverkündung vor dem Züricher Bezirksgericht.

(Foto: dpa)
  • Der Rechtsanwalt Eckart Seith stand im Zentrum des ersten Strafprozesses in Sachen Cum-Ex - wegen der Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen. Ihm drohte eine Gefängnisstrafe.
  • Seith hatte für den Drogerie-Milliardär Erwin Müller 45 Millionen Euro Schadenersatz von Sarasin erstritten. Müller hatte auf Empfehlung der Bank in Cum-Ex-Fonds investiert.
  • Durch das Verfahren in Deutschland kamen Interna ans Licht, die deutschen Ermittlern weiterhalfen. Die Schweizer Justiz hielt das für Wirtschaftsspionage und klagte zwei Banker und Seith an.

Von Klaus Ott und Jan Willmroth, Frankfurt

Der Stuttgarter Rechtsanwalt Eckart Seith muss nicht ins Gefängnis. Das Bezirksgericht Zürich sprach den als Aufklärer im Cum-Ex-Steuerskandal bekannt gewordenen Juristen am Donnerstag vom Vorwurf der Wirtschaftsspionage frei. Es verhängte aber wegen anderer Vergehen eine Geldstrafe von 165 600 Schweizer Franken. Neben Seith waren zwei ehemalige Angestellte der Schweizer Privatbank Sarasin angeklagt, die Missstände nach außen getragen haben sollen. Einer von ihnen erhielt eine Freiheitsstrafe von 13 Monaten sowie eine Geldstrafe, der andere lediglich eine Geldstrafe. Der Vollzug aller drei Strafen wurde für eine Probezeit von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt - eine Besonderheit des Schweizer Strafrechts.

Seith soll vor Jahren den damaligen Leiter der Rechtsabteilung von Sarasin angestiftet haben, widerrechtlich geheime Dokumente der Bank über einen illustren Kunden herauszugeben: den Drogerieunternehmer und Milliardär Erwin Müller, der vermittelt durch Sarasin mehrfach in Cum-Ex-Fonds investiert hatte. Mit diesen Unterlagen hat Seith für seinen Mandanten Müller 45 Millionen Euro Schadenersatz gegen Sarasin erstritten, erst beim Landgericht Ulm und dann beim Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart. Die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich bezichtigte Seith unter anderem des "wirtschaftlichen Nachrichtendienstes", also der Wirtschaftsspionage.

Das Urteil kommt einer Niederlage für die Staatsanwaltschaft gleich. Sie hatte in ihrer Anklage dreieinhalb Jahre Gefängnis für Seith gefordert. Ließe sich der Müller-Anwalt aus Schweizer Sicht nichts mehr zuschulden kommen, und davon ist auszugehen, dann müsste er nicht einmal die 165 600 Franken zahlen. Doch Seith will mehr. Er will einen Freispruch und kündigte an, Berufung gegen das Urteil einzulegen.

Das Gericht begründete seine Entscheidung in einer Mitteilung damit, dass sich der Sachverhalt zwar im Wesentlichen so zugetragen habe wie angeklagt. "Die Voraussetzungen für den Straftatbestand des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes sind jedoch nicht gegeben", heißt es darin. Der Kläger im deutschen Zivilprozess - also Seith - sei der Endabnehmer der internen Dokumente gewesen. Ausländische Privatpersonen gehörten aber nicht zum Adressatensegment dieses Straftatbestandes. Eine technische Begründung, die Seith nun vor dem Gefängnis bewahrt.

Der erste Strafprozess im größten deutschen Steuerskandal war ein Politikum. Er richtete sich nicht gegen mutmaßliche Täter, die nach Erkenntnissen der Ermittler systematisch den Staat bestohlen haben. Sondern gegen einen Juristen, der den Behörden geholfen hatte, auf die Spur der mutmaßlichen Täter zu kommen: Angeklagt war ausgerechnet Seith, der im Zuge des Schadenersatzprozesses gegen Sarasin Dokumente beschafft hatte. Die waren für die Aufklärung des Steuerskandals von immenser Bedeutung.

Sarasin hatte seinerzeit reiche Kunden wie Erwin Müller für Kapitalanlagefonds geworben, die riesige, möglicherweise strafbare Börsengeschäfte betrieben. Das Geschäftsmodell dieser Fonds bestand darin, so die Ergebnisse von Staatsanwälten und Steuerfahndern, in die Staatskasse zu greifen. Solche Fonds, Banken und weitere Akteure ließen sich beim Handel von Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende eine nur einmal an den Fiskus gezahlte Steuer von den trickreich getäuschten Finanzbehörden mehrmals erstatten. So erzielten sie - solange die dazu nötigen gesetzlichen Lücken bestanden - hohe, risikolose Renditen.

Während mutmaßliche Täter weiter auf den ersten Strafprozess in Deutschland warten, ging die Schweiz wegen des Vorwurfs des wirtschaftlichen Nachrichtendienstes hart und unnachgiebig gegen Anwalt Seith vor. Mit ihm standen zwei frühere Sarasin-Angestellte vor Gericht. Ihr Vergehen aus Sicht von Züricher Staatsanwälten: Die beiden Ex-Banker hatten Seith mit Informationen über fragwürdige Vorgänge in der Bank versorgt. Dadurch wurden diese Vorgänge Teil des Schadenersatzverfahrens von Müller gegen Sarasin, und sie wurden öffentlich. Das trug dazu bei, dass Seith diesen Prozess überhaupt gewinnen konnte.

Interessen der Banken scheinen schwerer zu wiegen als Steuergerechtigkeit

Mit den Interna aus dem Hause Sarasin kamen aber auch deutsche Ermittler im Cum-Ex-Skandal schneller vorwärts. Die Anklage und der Prozess gegen Seith waren deshalb in Deutschland von Anfang an umstritten. Auch wenn die Schweizer Strafverfolger dem Müller-Anwalt vorwarfen, er haben den Sarasin-Leuten Geld für deren Informationen geboten, so entstand doch der Eindruck, die Schweiz wolle hier einen Aufklärer ins Gefängnis stecken und schone mutmaßliche Täter.

Natürlich vertrat Seith ganz handfest die wirtschaftlichen Interessen seines Mandanten Müller. Der hatte erst erfolgreich in fragwürdige Fonds mit ungewöhnlich hohen Renditen investiert und erlitt später mit einem dieser Investments einen Totalverlust. Das war, nachdem der deutsche Fiskus das Spiel der Fonds durchschaut hatte und den Cum-Ex-Akteuren schließlich einen Strich durch die Rechnung machte. Milliardär Müller will von dem Cum-Ex-Hintergrund nichts gewusst haben. Wäre er gleichwohl vorsichtiger gewesen, hätte er sich später eine Menge Ärger erspart.

Andererseits dokumentiert das heftige Vorgehen der Schweiz gegen Seith, dass bei den Eidgenossen die Interessen der Banken immer noch schwerer wiegen als die Steuergerechtigkeit. Es zeigt, dass Banken, die sich zweifelhaft verhalten, im Nachbarland immer noch weit besser wegkommen als Bankangestellte, die Informationen über Missstände weitergeben oder auch verkaufen. Der Rechtsstreit - und damit auch die politische Diskussion des Falls - dürfte mit Seiths Berufung weitergehen.

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