China: Vize-Premier Li Keqiang:"Vorteile für beide Völker"

Chinas Vize-Premier Li Keqiang besucht Deutschland und trifft unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel. In einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" verspricht er Europa Hilfe in der Finanzkrise, wirbt um deutsche Investoren - und betont die Gemeinsamkeiten beider Länder.

Li Keqiang

Deutschland ist bekannt als Land der Philosophen, Wissenschaftler und Musiker. Während Fleiß und Weisheit der Deutschen die Bewunderung der Chinesen genießen, erfreut sich "Made in Germany" wegen hoher Qualität, vorzüglicher Technik und Innovation bei chinesischen Konsumenten großer Beliebtheit. Die Chinesen hegen starke Sympathie für die Deutschen. Während der Expo 2010 in Shanghai haben mehr als vier Millionen Chinesen den deutschen Pavillon besucht, noch mehr Chinesen machten das online oder im Fernsehen. Der erste Preis für die Kategorie Umsetzung des Expo-Themas für den deutschen Pavillon führte dazu, dass die Chinesen Deutschland nun besser verstehen und kennen.

40. Weltwirtschaftsforum in Davos - Li Keqiang

Der chinesische Vize-Premier Li Keqiang wirbt für einen wirtschaftlichen und kulturellen Austausch Deutschlands und Chinas.

(Foto: dpa)

Ich glaube, auch die Deutschen möchten China besser verstehen und kennenlernen. In den mehr als 30 Jahren der Reform und Öffnung wächst Chinas Wirtschaft ständig und rasant, es zählt nun bereits zu den bedeutendsten Volkswirtschaften der Welt, und das Leben der Bevölkerung in Stadt und Land ist enorm verbessert worden. Die erweiterte Binnennachfrage hat zu mehr als 90 Prozent zum voraussichtlich zehnprozentigen Wirtschaftswachstum Chinas 2010 beigetragen.

Trotzdem sind wir uns im Klaren darüber, dass die grundlegenden Gegebenheiten Chinas noch unverändert geblieben sind, nämlich die große Bevölkerungszahl, eine schwache Basis und ein Entwicklungsungleichgewicht. Ressourcen- und umweltbedingte Engpässe nehmen ebenfalls zu. China bleibt nach wie vor das größte Entwicklungsland der Welt. Zwar gehört das Wirtschaftsvolumen Chinas schon zu den größten der Welt. Gemessen am Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt belegt China mit seinen 1,3 Milliarden Menschen jedoch erst etwa die hundertste Stelle in der Welt.

Viele deutsche Freunde waren schon in Chinas Küstengebieten und Großstädten. Aber in Zentral- und Westchina oder in ländlichen Gegenden unweit der Großstädte sind drängende Probleme wie schlechte Straßen oder Trinkwasserknappheit immer noch ungelöst. Von den 1,3 Milliarden Chinesen sind 700 Millionen Bauern mit einem Jahreseinkommen von nur 800 bis 900 US-Dollar. Ferner leben noch 150 Millionen Chinesen unter dem von den Vereinten Nationen definierten Existenzstandard von einem Dollar pro Tag. China hat nach wie vor die äußerst harte Aufgabe zu bewältigen, seine Wirtschaft zu entwickeln und das Leben der Bevölkerung zu verbessern.

Konzept für wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung

Gerade hat China ein Konzept für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung für die Zeit von 2011 bis 2015 erarbeitet. Vor allem hält China dabei am wissenschaftlichen Entwicklungskonzept fest, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt und eine umfassende, koordinierte und nachhaltige Entwicklung fördert. Ferner geht es um die beschleunigte Veränderung des Entwicklungsmodus der Wirtschaft: Sie soll sich langfristig, stabil und schnell entwickeln und die Teilhabe aller Chinesen an den Früchten der Reform ermöglichen.

Dazu ist die Binnennachfrage auszubauen. Wir müssen die Einkommensverteilung umstrukturieren, die wesentlichen öffentlichen Dienstleistungen verbessern und ein soziales Sicherungsnetz aufbauen, um das Einkommen der Chinesen in Stadt und Land zu erhöhen und das Konsumpotential der mehr als eine Milliarde zählenden Bevölkerung freizusetzen. Wir müssen die Wirtschaftsstruktur umgestalten, technische Innovationen vornehmen, das Personal ausbilden und die grüne Entwicklung befördern. So können wir die Industriestruktur optimieren sowie die Entwicklung zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Regionen noch effektiver koordinieren und verbessern.

Neben einem angemessenen Wirtschaftswachstum gilt es, die Qualität und Effizienz der Entwicklung zu verbessern. Es gilt, Strukturreformen zu fördern, die fundamentale Rolle des Marktes bei der Verteilung der Ressourcen voll zu entfalten und die Reform in den Schwerpunktbereichen wie Unternehmen, Finanz und Steuer, Banken und Preis zu beschleunigen. Wir werden uns für die Stärkung der Eigendynamik und Vitalität der Wirtschaft einsetzen, um Transformation und Upgrade sicherzustellen.

Neue Gebiete öffnen

Vor dem Hintergrund der internationalen Finanzkrise und der voranschreitenden Globalisierung wird China an der Öffnungsstrategie festhalten, die vom gegenseitigen Nutzen geprägt ist. Wir werden neue Gebiete öffnen und das Öffnungsniveau erhöhen. Wir werden unsere Außenöffnung ausbauen und sind lernbereit gegenüber sämtlichen Zivilisationsergebnissen der Menschheit sowie erfolgversprechenden Erfahrungen anderer Länder.

Mit praktischen Schritten werden wir den internationalen Austausch und die Kooperationen verstärken, gemeinsam mit allen Völkern eine harmonische Welt dauerhaften Friedens und gemeinsamer Prosperität aufbauen. China unterstützt die EU dabei, durch Pakete zur Finanzstabilität den betroffenen Ländern zur Überwindung ihrer Schuldenkrise zu verhelfen sowie zur umfassenden Wirtschaftserholung und zum stabilen Wachstum beizutragen.

Seit langem vertiefen sich die chinesisch-deutschen Beziehungen. Zwischen beiden Ländern ist eine strategische Partnerschaft etabliert. In den vergangenen zwei Jahren haben sich unsere Volkswirtschaften durch enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der internationalen Finanzkrise schnell erholt und zum Wachstum der Weltwirtschaft beigetragen. 2010 wird das bilaterale Handelsvolumen voraussichtlich 140 Milliarden US-Dollar übertreffen, was fast 30 Prozent des gesamten Handelsvolumens zwischen China und der EU ausmacht.

China ist nun auch zum ersten Mal größtes Herkunftsland für den deutschen Import und sein größter Handelspartner außerhalb der EU. Der Austausch und die Zusammenarbeit in Kultur, Wissenschaft und Technologie, Bildung, Gesundheit und Justiz tragen ebenfalls reiche Früchte. Die langfristige, stabile und schnelle Entwicklung der chinesischen Wirtschaft und die Vertiefung von Reform und Öffnung werden neue Chancen für unsere Zusammenarbeit in Wirtschaft, Handel und darüber hinaus bieten. Hier nur einige Beispiele.

Gemeinsamer Handel

Gemeinsamer Handel : Chinas Einfuhr wird in diesem Jahr voraussichtlich bei 1,5 Billionen US-Dollar liegen. Als ein Land mit einem leistungsstarken Anlagenbau und als große Technologie-Exportnation ist Deutschland ein gewichtiger Kooperationspartner Chinas.

Wir haben uns gemeinsam für die Wahrung eines offenen Marktes einzusetzen, Liberalisierung und Erleichterung von Handel und Investitionen zu fördern, für Lösungen von Wirtschafts- und Handelsdisputen durch Konsultationen zu plädieren und Protektionismus jedweder Art zu bekämpfen. Wir hoffen, dass die EU ihre Ausfuhr-Restriktionen für Hightech-Produkte nach China lockert. Es gilt, zur Vervollkommnung des internationalen Handels- und Finanzsystems beizutragen und ausgewogene und nachhaltige Handelsbeziehungen zu gestalten.

Anreize für Investitionen: Wir begrüßen mehr ausländische Investitionen in China, insbesondere in den Bereichen moderne Landwirtschaft, neue und Hochtechnologien, Energieeinsparung und Umweltschutz, neue Energien und Materialien. Wir ermutigen leistungsstarke und kreditwürdige chinesische Unternehmen, mehr im Ausland zu investieren. Derzeit machen Deutschlands Investitionen in China nur zwei Prozent seiner im Ausland getätigten Gesamtinvestitionen aus.

Umgekehrt haben chinesische Unternehmen in Deutschland auch nur etwas mehr als eine Milliarde US-Dollar investiert. Daher ist das Potential weiter auszuschöpfen. Neben Festigung und Vertiefung der guten Zusammenarbeit in traditionellen Bereichen wie Maschinenbau, Automobilindustrie, Chemie, Elektronik und Elektrotechnik sind neue Kooperationsbereiche wie in der grünen Wirtschaft zu erschließen.

Verbesserung des Investitionsumfeldes : China wird seine auslandsbezogenen Wirtschaftsgesetze und -verordnungen und die Politik ständig vervollkommnen, geistiges Eigentum schützen und ein stabiles, ordnungsmäßiges, transparentes und berechenbares Marktumfeld für fairen Wettbewerb schaffen.

Alle gemäß dem chinesischen Gesetz in China registrierten Unternehmen sind chinesische Unternehmen und genießen die gleiche Inländerbehandlung. Gegenwärtig gibt es bereits 4500 deutsche Unternehmen, die in China investieren und Geschäfte machen. Wir würden uns freuen, wenn diese Zahl wüchse und Bedingungen für Investitionen und Existenzgründungen chinesischer Unternehmen in Deutschland verbessert werden könnten.

Öffnung des Dienstleistungssektors: Seit seinem WTO-Beitritt hat China bereits über einhundert Dienstleistungsgewerbe geöffnet. Um den Dienstleistungssektor, den internationalen Austausch und die Zusammenarbeit zu fördern, werden wir die Öffnung der Dienstleistungsgewerbe wie Finanzwesen und Logistik ausbauen, Gebiete wie Bildung, Gesundheit und Sport solide weiter öffnen und den Dienstleistungssektor auf internationale Standards anheben. Wir würden uns freuen, wenn deutsche Unternehmen mehr im modernen Produzentendienstleistungssektor und in sonstigen Dienstleistungsbereichen Chinas investieren.

Vertiefung des Kulturaustauschs: Gemeinsame Veranstaltungen wie das "chinesische Kulturjahr" in Deutschland und Foren wie die "chinesisch-deutsche Zukunftsbrücke" vertiefen das Verständnis und die Freundschaft beider Völker. Deutsche Musik, Theater und Filme könnten das Leben der Chinesen bereichern; fortgeschrittene medizinische und pharmazeutische Anlagen und Technologien aus Deutschland könnten mehr chinesische Patienten heilen; Trainer aus Deutschland könnten ihrem Beruf in China nachgehen. Unsere Kooperation in der Kultur weist sehr große Pespektiven auf.

Die nächsten fünf Jahre sind für Chinas umfassenden Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand von entscheidender Bedeutung. Der Prozess in den Bereichen Industrialisierung, informationswissenschaftliche Entwicklung, Urbanisierung, Marktorientierung und Internationalisierung wird sich beschleunigen. Jedes Jahr werden schätzungsweise über zehn Millionen Einwohner aus ländlichen Gebieten in Städte und Gemeinden umgesiedelt. Das Einkommen der Bevölkerung in Stadt und Land wird erheblich steigen und das Potential an Binnennachfrage mehr und mehr freigesetzt. Die Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern wächst ebenfalls schnell.

Dies eröffnet für China und Deutschland, die wirtschaftlich in hohem Maße komplementär sind, neue Chancen, die substanzbezogene Kooperation in allen Bereichen weiter zu vertiefen. Ich bin davon überzeugt, dass mit zunehmender Erweiterung und Vertiefung der Reform und Öffnung Chinas unsere Zusammenarbeit in Wirtschaft und Handel und darüber hinaus große Fortschritte machen kann. Dies wird beiden Völkern greifbare Vorteile bringen.

Vize-Premierminister Li Keqiang ist einer der wichtigsten Politiker Chinas. Als Erster von vier stellvertretenden Premierministern vertritt er Regierungschef Wen Jiabao und trägt vor allem Verantwortung für Fragen der Entwicklung und Reformen, für Preise und das Finanzwesen. Im Ständigen Ausschuss des Politbüros der Kommunistischen Partei, dem obersten Organ, ist er eines von neun Mitgliedern und wird auf Platz sieben geführt. Li, 55, wird immer wieder als einer der möglichen nächsten Premiers Chinas genannt.

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