Celesio-Tochter DocMorris wird verkauft:Eine Überdosis Pillen

Die Apotheker haben sich durchgesetzt: Der Pharmahändler Celesio bricht das Experiment Endkundengeschäft in Deutschland endgültig ab und verkauft DocMorris. Celesio will sich wieder auf das "Kerngeschäft" konzentrieren - und enger mit den Pharmazeuten vor Ort zusammenarbeiten.

Max Hägler, Stuttgart

Es war ein Angriff, wie ihn die sonst ständische deutsche Gesundheitsbranche noch nicht erlebt hatte: 500 neue Apotheken bis 2010, alle unter dem Namen "DocMorris", der so klingt wie McPharma, und dann auch noch unter Obhut eines Großhandelskonzerns (Celesio), der wiederum zur Haniel-Familie gehörte - die Branche wehrte sich mit wütenden Protesten. Das war 2007.

DocMorris Apotheke

DocMorris-Apotheke: Die Firma macht mit Franchise-Gebühren und dem Online-Handel 327 Millionen Euro Umsatz.

(Foto: dpa)

Ausgerechnet Celesio aus Stuttgart, einer der größten Zwischenhändler für Pharmaprodukte, hatte angekündigt, selbst ins Apothekengeschäft einzusteigen und das deutsche Pillengeschäft aufzurollen - online und über eigene Filialen. Schließlich war Ralf Däinghaus, Gründer von DocMorris, mit dem Versand von Arzneimittelprodukten via Internet groß geworden. Doch was die Investoren von Celesio damals freute und die weltweit mehr als 45.000 Mitarbeiter, hat sich verflüchtigt. Der damalige Vorstandschef Fritz Oesterle ist nicht mehr im Amt, beim Eigentümer Haniel herrscht ein neuer Geist - und so wird jetzt, fünf Jahre später, klar: Die deutschen Apotheker haben sich durchgesetzt. Der Pharmahändler Celesio bricht das Experiment Endkundengeschäft in Deutschland endgültig ab.

Nun will er stattdessen intensiv wie nie zuvor mit den Apothekern vor Ort zusammenarbeiten. Auch ihr Boykott war verantwortlich dafür, dass der Pillen-Grossist beinahe rote Zahlen schreibt. Für die Unternehmenstochter DocMorris sei der Verkaufsprozess eingeleitet, bestätigt Markus Pinger, der neue Vorstandschef nach den vielen Oesterle-Jahren. Bis Jahresende soll ein Käufer gefunden sein. "Wir glauben, dass wir damit die beste Lösung für DocMorris, für unsere Kunden und für Celesio anstreben."

170 Millionen Euro hatte Celesio einst für die nun ungeliebte Tochter bezahlt. Eigentlich sei das Geschäftsmodell sehr spannend, erzählt Pinger. Das mit der eigenen DocMorris-Filialkette haben zwar die Gerichte untersagt, nur Franchise-Filialen gibt es deshalb. Aber auch die Online-Idee, sich Medikamente vom DocMorris-Sitz in den Niederlanden schicken zu lassen, scheint ja zu funktionieren. 327 Millionen Euro Umsatz machte DocMorris im vergangenen Jahr und sogar Gewinn, wenn auch erst einen kleinen.

Der Werbespruch im Internet zieht: Mit "bis zu 15 Euro Rezeptbonus" wirbt DocMorris um Kunden. Das Prinzip dahinter: Die deutsche Arzneimittel-Preisverordnung gilt nicht für niederländische Versandapotheken und eben nicht für DocMorris. Damit entfällt die gesetzliche Zuzahlung - und die rechnet DocMorris wiederum als Bonus an. Der Kunde muss seine Rezepte zwar umständlich einsenden, doch er bekommt die Lieferung aus Holland dann mit einem merklichen Rabatt. Aber: "Das führt zwangsläufig zu einem Konflikt", gesteht Pinger ein.

Das erste Mal krachte es bereits im April 2007. "Die Maske ist gefallen. Die Celesio AG positioniert sich offen und aktiv gegen die eigenverantwortete, heilberuflich ausgerichtete Apotheke", wetterte Heinz-Günter Wolf, der Präsident der Apotheker-Organisation Abda. Ein verkappter Boykottaufruf, der auch Rechtsstreitigkeiten provozierte. Das Ziel aber erreichte Wolf: Viele seiner Mitglieder wandten sich aus Protest ab von der Celesio-Tochter Gehe und bestellten Pillen, Salben und Pflaster künftig bei anderen Großhändlern wie Phoenix oder Noweda.

Eine schmerzliche Erfahrung für die schwäbischen Händler: Celesio habe damals ein Drittel der Kunden verloren und 2,5 Prozent Marktanteil, bilanziert Pinger heute. Mittlerweile habe man sich erholt. Aber der Celesio-Umsatz sank 2011 dennoch um ein Prozent auf 23 Milliarden Euro. Unter dem Strich verbuchte das Börsen-Unternehmen 6,1 Millionen Euro - ein Bruchteil des 2010er Gewinns von 265 Millionen Euro. Das sei das Ergebnis von Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen, aber eben auch von "internen Herausforderungen", heißt es bei Celesio. Auch ein an sich spannendes Geschäftsmodell mit tollen Rabatten wiegt solche Verluste und verletzte Geschäftsbeziehungen nicht auf.

Das alles hat dem erfolgsverwöhnten Haniel-Clan nicht gefallen, der schon bei Kaufhof und Metro genug Herausforderungen zu bewältigen hat. Deswegen hat der neue Celesio-Chef Pinger den alten Durchmarsch abgeblasen. Auch andere vom Vorgänger eingekaufte Tochterfirmen will er abstoßen. Und sich aufs "Kerngeschäft" konzentrieren: Handel und Logistik von Pharmaprodukten, wie seit Jahrzehnten.

Bis zu sechsmal täglich beliefert das Unternehmen 65.000 Apotheken und Krankenhäuser mit Arzneien. Zudem will man dort, wo es erlaubt ist auf der Welt, noch mehr eigene Apotheken betreiben. 2200 betreibt der Pharmakonzern schon, in Schweden etwa oder in Großbritannien. Nun gilt, ungeachtet der Expansionspläne, die Devise: überall im Einvernehmen mit den ansässigen Apothekern vor Ort arbeiten. Und sie sogar geradezu hätscheln.

Der Celesio-Vorstand will möglichst viele seiner belieferten Apotheken zu einem europäischen Apothekennetzwerk bündeln. Alle sollen zwar ihre Eigenständigkeit behalten, aber Celesio steht mit Rat und Tat zur Seite, so die Idee. So sollen dann Apotheker ihren Patienten noch genauer als künftig Hinweise zur Medikamenteneinnahme geben - Smartphone-Anwendungen, gestellt von Celesio, sollen es möglich machen. Damit alles richtig läuft, kann sich Celesio vorstellen, Trainingskurse anzubieten. Und auch die Lagerverwaltung in den Apotheken würde Celesio gerne übernehmen.

All das werde dazu führen, dass Apotheker zu "Gesundheitsberatern" werden, schwärmt Pinger. Und dieser Ansatz werde für inhabergeführte Apotheken zur Zukunftsgarantie, wenn in einigen Jahren der Markt weiter liberalisiert werde. Dann könnten die beratungsintensiven Apotheken erfolgreich bestehen gegen Supermärkte und Drogerien, die Arzneien bloß ausreichen. Dort, bei der Konkurrenz, werde künftig über den Preis verkauft, heißt es im März 2012 bei Celesio. Beim Apothekerverband vernimmt man die Charme-Offensive mit Erstaunen. Aber man freue sich natürlich über alles, was den Berufsstand der Apotheker fördert.

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