Bundesverfassungsgericht zur Erbschaftsteuer:Unternehmer poltern vor dem Urteilsspruch

Richter des Bundesverfassungsgerichts

Kippt das Bundesverfassungsgericht die derzeit geltenden Steuervergünstigungen, wird es für Firmenerben teuer

(Foto: Uli Deck/dpa)

"Wirtschaftsfeindlich" und "realitätsfern": Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, ob deutsche Betriebe bei der Erbschaftsteuer zu Unrecht bevorzugt werden, und die Industrie tobt schon mal vorsorglich. Dabei sind Tricksereien nach wie vor an der Tagesordnung.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Das Gespräch mit dem Präsidenten des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) lief noch keine 30 Sekunden, da geriet der Manager zum ersten Mal so richtig in Rage. Der Gesetzentwurf der großen Koalition sei "hochgradig wirtschaftsfeindlich", "risikoreich" und "realitätsfern", zeterte der BDI-Chef und fuhr fort: Sollte die Regierung ihre Pläne nicht ändern, würden die Unternehmen das Land mit einer wahren Klageflut überziehen - oder gleich abwandern.

Sechs Jahre später macht man sich im Haus der Deutschen Wirtschaft an der Berliner Breite Straße erneut Sorgen - mit einem entscheidenden Unterschied: Während der polternde Präsident Jürgen Thumann 2008 vor den Folgen der damaligen Erbschaftsteuerpläne von Union und SPD warnte, befürchten sein Nach-Nachfolger Ulrich Grillo und dessen Mitstreiter heute, dass das Bundesverfassungsgericht eben jenes Gesetz wieder kippt.

Firmenerben haben von der Politik nichts zu befürchten

Denn vor allem Familienunternehmer sind mit der Reform, die sie seinerzeit so vehement bekämpft hatten, glänzend gefahren: Wer im ererbten Betrieb lange genug auf den Abbau von Stellen verzichtet, kann seine Steuerlast heute bis auf null reduzieren.

Das Privileg ist so weitgehend, dass es der Bundesfinanzhof für grundgesetzwidrig hält und 2012 das Verfassungsgericht einschaltete. Seither herrscht in vielen Betrieben hektisches Treiben: Um den Familienbesitz vor einem womöglich teuren Urteil der Karlsruher Richter zu schützen, wird landauf, landab vorzeitig vererbt, verschenkt und übertragen. Allein 2012 reichten Unternehmer Betriebsvermögen in Höhe von 36 Milliarden Euro via Schenkung an die nächste Generation weiter - zehn Mal so viel wie noch zwei Jahre zuvor.

Dabei haben Firmenerben - anders als 2008 - von der Politik diesmal gar nichts zu befürchten. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat schon ein halbes Dutzend Mal deutlich gemacht, dass er das bestehende Gesetz am liebsten unangetastet lassen würde und etwaige Änderungswünsche des Verfassungsgerichts so schonend wie möglich umsetzen will. Und auch die Sozialdemokraten - zumindest die Wirtschaftspolitiker unter ihnen - haben bereits zu Protokoll gegeben, dass sie nicht danach trachten, Betriebsvermögen in Zukunft stärker zu belasten.

Missbrauch ist keine Ausnahme

Allein: Die Firmeneigner trauen der Politik nicht über den Weg, schließlich haben die Parteien die Erbschaftsteuer schon wiederholt für Kampagnen gegen "die Reichen" verwendet. Dabei haben Unternehmer wie Hans-Toni Junius, Geschäftsführender Gesellschafter des Hagener Spezialstahlverarbeiters C.D. Wälzholz, nach eigenem Bekunden gar nichts dagegen, wenn der Nachwuchs auf die von den Eltern übernommene Villa oder das Wertpapierdepot Erbschaftsteuer zahlen muss.

Das Firmenvermögen aber, da ist Junius beinhart, müsse unangetastet bleiben. Sonst fehle das Geld für Investitionen, den Erhalt von Arbeitsplätzen und das gesellschaftliche Engagement der Firmen vor Ort.

Dass die Verschonungsregeln in der Vergangenheit auch zu Missbrauch geführt haben, bestreitet der Unternehmer gar nicht. Einzelne Tricksereien - wenn etwa der Rembrandt über Nacht vom Wohnzimmer ins Büro wanderte und damit aus zu versteuerndem Privatbesitz steuerfreies Betriebsvermögen wurde - dürften aber nicht als Anlass dafür herhalten, die Steuer für alle zu erhöhen.

Was Junius jedoch verschweigt: Getrickst wurde in großem Stil. So steckten viele findige Firmenlenker ihr Barvermögen einfach in eine sogenannte Cash GmbH - die dann steuerfrei an die Nachfahren weitergereicht wurde. Zwar ist das Schlupfloch mittlerweile geschlossen, der Ärger vieler Politiker aber ist immer noch nicht verraucht.

Geht Deutschland mit reichen Erben zu großzügig um?

Das gilt umso mehr, als sich die Parteien immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt sehen, generell zu generös mit reichen Erben umzugehen. So liegt nach Berechnungen der Industrieländer-Organisation OECD der Anteil der vermögensbezogenen Steuern in Deutschland - dazu zählen neben der Schenkung- und der Erbschaftsteuer auch die Grund- und die Grunderwerbsteuer - am gesamten Steueraufkommen bei gerade einmal 2,3 Prozent.

In vergleichbaren Staaten wie der Schweiz und Frankreich beträgt die Quote dagegen 7,3 beziehungsweise 8,4 Prozent. In Großbritannien und den USA, ausgerechnet den Mutterländern des Kapitalismus also, sind es sogar 11,5 beziehungsweise zwölf Prozent.

"Wald voller Heuschrecken"

Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des BDI, stellt die Zahlen nicht in Abrede, verweist aber darauf, dass die höhere Erbschaftsteuerbelastung gerade in den USA mit einem völlig anderen Wirtschaftsmodell einher gehe. So sei es in den Vereinigten Staaten normal, dass im Erbfall ein ganzer Betrieb einfach vom einen in den anderen Bundesstaat umziehe oder aber den Besitzer wechsle. Deutschland hingegen sei mit seinen Familienunternehmen gut gefahren, die häufig in dritter, vierter, fünfter Generation geführt würden.

Bei Hans-Toni Junius, dem Chef von C.D. Wälzholz, ist es sogar die sechste Generation, seit 185 Jahren ist sein Unternehmen in Südwestfalen verankert. Er warnt davor, dass bei einer Verschärfung des geltenden Rechts viele Erben ihre Anteile verkaufen müssten, weil sie andernfalls die Steuer nicht bezahlen könnten.

Käufer seien aber meist Fonds oder andere anonyme Anleger aus dem Ausland, denen es nicht um das Wohlergehen der Region, sondern allein um Rendite gehe. Auch die Forstbesitzer haben jüngst vor einem "Wald voller Heuschrecken" gewarnt, sollte das Verfassungsgericht die Verschonungsregel für Betriebe anfassen - manchmal produziert die Finanzpolitik schon putzige Stilblüten.

Anders als die Unternehmerschaft beteuert, sind eine Beibehaltung der bisherigen Regeln und ein wirtschaftspolitischer Kahlfraß aber nicht die einzigen Optionen für die künftige Besteuerung von Erbschaften. Längst haben Experten Modelle entwickelt, wie sich die gravierende Privilegierung von Betriebs- gegenüber Privatvermögen reduzieren ließe, ohne dass Firmen zerschlagen und Jobs vernichtet würden.

So spricht sich der Wirtschaftsweise Lars Feld - wahrlich kein Linksradikaler - dafür aus, die Freibeträge zu erhöhen, die Steuersätze zu senken und dafür das Betriebsvermögen einzubeziehen. Würde die Steuerlast auf viele Jahre verteilt, könne sie jeder Firmenerbe schultern.

Noch hat sich Jürgen Grillo, der amtierende BDI-Chef, zu solchen Vorschlägen nicht geäußert. Sollte das Verfassungsgericht aber tatsächlich einschneidende Gesetzesänderungen verlangen, dürfte er ebenso schnell auf der Palme sein wie einst sein Vor-Vorgänger Thumann.

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