Boeings Dreamliner:Er ist so ... klein

Wie konnte er Boeing derart in die Verzweiflung treiben? Der Dreamliner kommt seltsam unscheinbar daher. Und doch: Mit der 787 kündigt sich ein neues Zeitalter in der Luftfahrt an. Jetzt lernt das Flugzeug fliegen.

Jens Flottau

Das Flugzeug ist viel zu klein, um imposant zu wirken. Wenn man davor steht, fällt es schwer zu glauben, dass diese Maschine wirklich den Weltkonzern Boeing in die Verzweiflung getrieben und ein Trauma hinterlassen hat, das noch lange nicht überwunden ist. Der Airbus A380, klar, der ist so riesengroß, dass die Entwicklung eines solchen Giganten eine Firma an ihre Grenzen bringen kann. Aber die 787, die fast wirkt, als sei sie ein neuer Kurzstreckenjet?

An diesem Montag wird die erste 787-8 an die japanische Fluggesellschaft All Nippon Airways ausgeliefert, mehr als drei Jahre, nachdem dies eigentlich hätte passieren sollen. Das Flugzeug soll eine neue Epoche in der Fliegerei einläuten, es ist das erste neue Modell, das in der Zeit des erwachten Umweltbewusstseins entwickelt und auf den Markt gebracht wird. 20 Prozent weniger Treibstoff soll es verbrauchen als die Maschinen, die es ablöst, das ist sehr, sehr viel.

Es hat als erster großer Passagierjet einen Rumpf aus Kohlefaser und neue Triebwerke, eine technologische Revolution. Der Luftdruck und die Luftfeuchtigkeit ist während des Fluges in der Kabine viel höher als bei den bisherigen Flugzeugen, das ist deutlich angenehmer für die Passagiere, die künftig durch riesige Fenster die unter ihnen vorbeiziehende Landschaft betrachten können. Und die Kunden haben es Boeing gedankt: Fast 900 Jets haben sie gekauft, bevor überhaupt der erste im Liniendienst eingesetzt wird.

Und doch wird noch lange Zeit gefragt werden, wie sehr dieses Flugzeug neben dem Segen nicht auch noch Fluch sein wird. Denn das Desaster rund um die 787 hat eine sowieso schon risikoscheue Industrie noch vorsichtiger gemacht, und zwar weit jenseits der Boeing-Werke in Seattle und Everett. Das Drama der nicht enden wollenden Probleme will niemand noch einmal erleben, leisten kann es sich schon gar niemand. Dass Boeing sich vor wenigen Wochen dagegen entschieden hat, einen neuen Kurzstreckenjet zu entwickeln, hängt sehr entscheidend mit dem 787-Drama zusammen, sagt ein hochrangiger Firmeninsider. Das Desaster ist - in Zahlen ausgedrückt - geschätzte 15 Milliarden US-Dollar groß. Ein kleineres Unternehmen wäre daran wohl zugrunde gegangen.

Verhängnisvolle Nieten

Die Misere begann vor gut vier Jahren, am 8. Juli 2007. Damals hatte Boeing den ersten Prototypen der 787 beim Roll-out vorgestellt. Doch anstatt wenige Wochen später erstmals zu fliegen, wurde er hinterher wieder zerlegt, denn Boeing hatte Tausende provisorische Nieten angebracht - die richtigen waren damals nicht geliefert worden. Der Hersteller hatte nichts weiter als eine Attrappe präsentiert.

Die Pannen sollten die Entwicklung wie ein Fluch begleiten. Die Lieferanten patzten, wo sie nur konnten, lieferten gar nicht oder nur halb fertige Teile. An der Endmontagelinie in Everett bauten Boeing-Techniker Hunderte von Tischen rund um die leeren Rümpfe auf und rätselten über den Computermodellen. Sie versuchten, die Flugzeuge irgendwie fertig zu bauen, obwohl das eigentlich hätte in Japan oder Italien stattfinden sollen. Mittlerweile hat Boeing die ersten beiden Prototypen komplett abgeschrieben, sie sind unverkäuflich. Als sich die Dinge langsam zum Besseren zu wenden schienen, brach bei einem Testflug an einer Elektronik-Konsole ein Feuer aus, den Piloten gelang eine Notlandung ohne Verletzte. Aber allein dies brachte dem Programm ein halbes Jahr Verspätung ein.

Auch wenn die erste Maschine ausgeliefert ist - sie fliegt am Dienstag nach Tokio - sind die finanziellen Folgen für Boeing noch lange nicht behoben. Es gibt Analysten, die bezweifeln, dass Boeing mit den bislang bestellten Flugzeugen für das Programm bereits die Gewinnschwelle erreichen wird. Aber immerhin bringt die 787 ab jetzt die ersten Umsätze ein. Ein paar Dutzend Maschinen sollen noch in diesem Jahr ausgeliefert werden, sie waren bis zur Musterzulassung überall verstreut in Everett und an anderen Flughäfen geparkt.

Eigentlich hätte die 787 der Beginn des Zeitalters sein sollen, in dem die Luftfahrt grüner, umweltverträglicher und nachhaltiger wird. Sie wird das wohl auch, nur langsamer, als sich das viele wünschen. Gerade erst hat Boeing beschlossen, den Kurzstreckenjet 737 mit neuen Triebwerken auszustatten, statt ein neues Flugzeug zu entwickeln. Jim Albaugh, Chef der Zivilflugzeugsparte, sagte dabei explizit, es sei Boeings Ziel, dabei möglichst wenig zu verändern, nicht etwa möglichst viel. Damit ja nichts schief geht.

All Nippon Airways wird die ersten der 50 fest bestellten Maschinen zunächst auf kurzen Strecken in Japan und Asien einsetzen, um möglichst viele Besatzungen in kurzer Zeit schulen zu können. Der erste internationale Passagierflug startet in vier Wochen von Tokio nach Hongkong. Von Januar 2012 an wird ANA die 787 auch auf der Strecke von Frankfurt nach Tokio einsetzen.

Doch wie viel sich die Fluggesellschaften von der neuen Boeing erhoffen, zeigt, dass sie sich auch trauen, mit ihr neue Geschäftsmodelle zu starten. Die australische Qantas Airways hat mit Jetstar einen Billig-Ableger gegründet, der sich auch auf der Langstrecke durchsetzen soll. Die niedrigen Betriebskosten der 787 sollen es möglich machen. Auch Lufthansa schaut sich das Flugzeug genau an. Laut Passage-Chef Carsten Spohr soll die Entscheidung, ob sie die 787 bestellt, im kommenden Jahr fallen.

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