Bodenreform:Deutschland kämpft um seine Flächen

Pflügender Landwirt

Ein Landwirt pflügt in Baden-Württemberg ein abgeerntetes Getreidefeld um.

(Foto: dpa)
  • Deutschland hat eine Fläche von 357 137 Quadratkilometern - genug Platz für alle, sollte man meinen.
  • Doch der Kampf um Flächen wird immer heftiger: Fast überall in Deutschland wird Boden teurer, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land.
  • Vor allem Bauern müssen mit ansehen, wie ihre Flächen zweckentfremdet werden - sei es für Straßen oder als Investitionsobjekte.

Von Markus Balser und Michael Bauchmüller, Berlin

Den Goldrausch vor den Toren der Stadt hat Bauer Michael Hauser selbst erfahren. Als ein Teil seines Pachtlandes nördlich von Berlin verkauft werden sollte, bot Hauser mit. Doch der Preis stieg in Höhen, die für Landwirte nicht zu stemmen sind. Den Zuschlag bekam ein Investor aus Berlin. "Das Land ist weg", sagt Hauser.

So geht es zu in Deutschland, denn Fläche ist begehrt. 357 137 Quadratkilometer hat die Republik, eigentlich mehr als genug für knapp 83 Millionen Menschen. Doch Land ist knapp, für Bauern, für Bauherren, in den Städten. Um satte 56 Prozent stiegen die Baulandpreise in Deutschland seit 2010, bei den Pachten in der Landwirtschaft sieht es in vielen Regionen nicht besser aus. Die Konkurrenz um Raum wächst - nicht nur auf dem Land. In den Metropolen rufen Fahrradinitiativen zum "Flächenkampf", kein Wunder, bei jährlich 500 000 zusätzlichen Autos. Die Fahrzeugmodelle werden zudem größer, sie brauchen neue Parkplätze und breitere Straßen.

Die Lage der Landwirte ist ein guter Indikator für die Lage im Land. "Die Sache ist die: Fläche ist nicht vermehrbar", sagt Lambert Hurink. "Deshalb heizt jede zusätzliche Nachfrage den Markt weiter an." Hurink ist Hauptgeschäftsführer des Emsländischen Landvolkes, und was ein angeheizter Markt ist, das wissen sie im Emsland ziemlich gut. In der Region wird jede Menge Vieh gehalten, auch in Massentierhaltung. Wo Bauern aber große Ställe haben, brauchen sie auch viel Land. Schon das sorgt für eine stabile Nachfrage.

Doch zunehmend beobachten die Bauern auch, wie ihnen Fläche für andere Zwecke abhanden kommt. Nicht nur werden in Deutschland jeden Tag um die 60 Hektar Fläche versiegelt, etwa durch Straßen, Wohnhäuser oder Gewerbeparks, schließlich werden die Städte immer größer. Damit nicht genug, verlangen viele Bauvorhaben "Ausgleich und Ersatz": Anderswo in der jeweiligen Region soll Fläche der Natur zurückgegeben werden. Nur: woher nehmen und nicht stehlen? "Das kostet wieder nur Fläche für uns", sagt Hurink.

Um die 35 000 Euro kostete noch 2011 der Hektar Ackerland im Emsland. Inzwischen ist es mehr als das Doppelte. Finanzinvestoren merken, dass sich angesichts steigender Preise einiges verdienen lässt, und verschärfen das Problem noch. Vielerorts kriegen Bauern beim Ringen um Boden Konkurrenz von Anlegern, die ihr Geld angesichts niedriger Zinsen gewinnbringender anlegen wollen. So kaufte sich der Dax-Konzern Munich Re in Ländereien in Ostdeutschland ein.

"Eine Landwirtschaft, die von Investoren getrieben ist, entspricht nicht unserer Vorstellung"

Eigentlich ist der Kauf von landwirtschaftlicher Fläche streng reglementiert. So sollen Spekulationen verhindert werden. Doch der Rückversicherer macht sich eine Gesetzeslücke zunutze: Er kaufte das Land nicht selbst, sondern nur Anteile an der ATU Landbau, der das Land gehört. Das Interesse großer Investoren ist beileibe kein deutsches Phänomen. Selbst Investoren aus China hätten sich schon in Ostdeutschland für Ländereien interessiert, sagen Bauernfunktionäre.

Daher wird auch im Bauernverband inzwischen intensiv über das Problem diskutiert. "Eine Landwirtschaft, die von Investoren getrieben ist, entspricht nicht unserer Vorstellung", sagt Verbandspräsident Joachim Rukwied. "Wir machen uns in einigen Regionen Deutschlands echt Sorgen, dass Investoren Bauern verdrängen. Gesetze zum Schutz der Landwirte haben zu viele Hintertüren." Wie also umgehen mit dem Kampf um Flächen?

"Was wir erleben, ist zum großen Teil das Ergebnis niedriger Zinsen"

In Städten und auf dem Land sind Fachleute auf der Suche nach Strategien, um den Wandel zu bremsen. Es geht um weniger Flächenverbrauch, eine sinnvollere Nutzung der vorhandenen Räume und um besseren Schutz vor stark steigenden Preisen. Auch die Politik könnte eingreifen. Die Steilvorlage lieferten vor gut 50 Jahren Verfassungsrichter. Das Bundesverfassungsgericht stellte 1967 zum Problem des knappen Landes fest: "Die Tatsache, dass der Grund und Boden unvermehrbar und unentbehrlich ist, verbietet es, seine Nutzung dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen vollständig zu überlassen", schrieben die Richter (1 BvR 169/63).

Tatsächlich ist das Spiel der freien Kräfte schwer zu übersehen, in Stadt und Land. "Was wir erleben, ist zum großen Teil das Ergebnis niedriger Zinsen", sagt Ricarda Pätzold, die sich am Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) mit dem Phänomen befasst. Letztlich treffe eine große Nachfrage auf ein begrenztes Angebot. "Für die Kommunen stellt sich da irgendwann die Frage: Wann greife ich ein?", sagt Pätzold. Sie könnten Auflagen machen, wenn sie Land verkaufen. Selber Wohnungen bauen. Oder aber auf den Verkauf verzichten, um noch Raum für die eigene Entwicklung zu behalten.

Letztlich sind es Wachstumsprobleme, überall

Eine knifflige Frage, schließlich brauchen die Kämmerer das Geld, während Bürger und Politik auf mehr Wohnraum dringen. "Das Problem ist nur: Der steigende Bodenpreis bestimmt auch die Nutzung." Wer für horrende Preise ein städtisches Grundstück kauft, wird darauf kaum günstige Wohnungen bauen. So wird die Knappheit der Fläche auch zum sozialen Problem.

Letztlich sind es Wachstumsprobleme, überall. Landwirte wollen wachsen, um nicht zu weichen. Kapitalbesitzer wollen ihr Geld mehren. Familien wollen ihre Einkünfte in einer guten Konjunktur in mehr Wohnfläche investieren - oder in einen Zweitwagen, der wiederum Probleme macht. Längst denken Städte über neue Verkehrs- und Parkkonzepte nach. Vor allem Autofahrer könnte das treffen. In einer aktuelle Studie, die in dieser Woche veröffentlicht wird, hat die Berliner Denkfabrik "Agora Verkehrswende" untersucht, wie sich städtischer Raum fairer verteilen lässt. Heute diene ein unverhältnismäßig großer Teil der Fläche dem motorisierten Individualverkehr. Angesichts des knappen Raums sei die Auslastung von Autos mit 1,4 Personen zu gering und die Parkdauer mit im Schnitt 23 Stunden zu lang. Das bedeute, dass der Autoverkehr künftig auf Raum verzichten müsse. Die Experten empfehlen etwa deutlich höhere Parkgebühren als bisher. Allerdings wären dafür Gesetzesänderungen nötig. Denn die Kosten für Anwohnerparken sind auf jährlich 30,70 Euro begrenzt. Zudem sollten Car-Sharing-Angebote ausgebaut werden.

Auch Difu-Expertin Pätzold geht davon aus, dass Autofahren in den Städten teurer werden muss, damit sich etwas ändert. "Indem man Autofahren bequemer macht", sagt sie "ist noch nie ein Verkehrsproblem gelöst wurden."

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