Billiger Rohstoff:Warum es viel zu viel Öl gibt

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Ein Journalist spiegelt sich nach der Katastrophe der Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko in einer Öllache. (Foto: AFP)
  • Der Vorrat an Erdöl ist begrenzt, so wie alles andere auf der Erde - das ist klar. Allerdings ist die Frage, ob es ausreicht, Unsinn: Bevor uns das Öl ausgeht, wird es nicht mehr wichtig sein.
  • Wenn es eine Grenze des Wachstums gibt, dann ist es die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre.

Kommentar von Jan Willmroth

Manche Theorien hielten sich nur kurze Zeit, bis sie widerlegt wurden, bei anderen dauerte es Jahrzehnte oder mehrere Hundert Jahre, bis sie jemand in die Akten der Wissenschaftsgeschichte einsortierte. Es gibt aber auch Theorien, die sich hartnäckig halten und immer wieder hervorgekramt werden, obwohl sie längst überholt sind.

Die Mär von der Knappheit des Erdöls ist eine solche.

Sie besagt kurz zusammengefasst Folgendes: Das über Jahrmillionen aus organischen Resten entstandene Mineralöl auf der Erde ist begrenzt. Seitdem die Menschheit angefangen hat, es zu fördern und zu verarbeiten, steigt die Nachfrage nach dem Rohstoff. Ohne ihn gäbe es kein einziges Kunststoffteil auf dem Planeten, liefe kein mit Ölprodukten befeuerter Verbrennungsmotor, könnte keins der heute gängigen Flugzeuge abheben. Ein ständig steigender Bedarf trifft auf ein starres Angebot; in der Folge steigt der Preis.

Seit Jahrzehnten herrscht Pessimismus

Irgendwann muss ein Zeitpunkt kommen, an dem die Ölförderung ihren Höhepunkt erreicht, ab dann wird immer weniger Öl aus dem Boden gepresst. Die möglichen Folgen dieser Entwicklung haben Experten seit den Fünfzigerjahren immer wieder dramatisch beschrieben: Es komme zu einer globalen Versorgungskrise, weil der Ölbedarf bald nicht mehr gedeckt werden könne, zu Ressourcenkriegen um die letzten Quellen, zu einer globalen Energiekrise, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Die eifrigsten Pessimisten sagten gar einen Zusammenbruch der Industriegesellschaft voraus.

Das alles klingt so logisch, wie es in Wirklichkeit irrelevant ist. Teilweise ist es sogar völlig verkehrt.

Spätestens am Verfall der Ölpreise im vergangenen Jahr lässt sich das hervorragend studieren - und damit auch eines der entscheidenden Probleme des 21. Jahrhunderts: Erdöl ist nicht knapp. Binnen eines halben Jahres sank der Preis für den Schmierstoff der Weltwirtschaft zeitweise um mehr als die Hälfte und für die Ölsorte Brent nun sogar unter 50 Dollar, nachdem ein dank des Fracking-Booms in den Vereinigten Staaten und der Milliardeninvestitionen in neue Quellen enorm ausgeweitetes Angebot auf eine schwächelnde Nachfrage traf. Anhaltend hohe Preise machten diese Investitionen attraktiv. Fortschritte in der Fördertechnik wie die horizontalen Bohrungen beim Schieferöl, die verbesserten Verarbeitungsmethoden bei Ölsanden und immer tiefere Bohrungen auf hoher See haben Ölquellen verfügbar gemacht, von denen vor Jahrzehnten entweder noch niemand wusste oder von denen niemand dachte, man könne sie irgendwann einmal wirtschaftlich ausbeuten.

Bis heute weiß allerdings kein Mensch, wie viel Öl tatsächlich noch im Boden steckt und eines Tages gefördert werden könnte.

Andere Energiestoffe machen dem Öl Konkurrenz

Klar, der Vorrat an Öl ist begrenzt, wie alles andere auf der Erde. Das ist trivial. Allerdings ist die Frage, ob das Öl auch ausreicht, ziemlicher Nonsens. Denn bevor der letzte Tropfen Petroleum hervorgepumpt ist, wird es als Rohstoff nicht mehr wichtig sein. Einerseits würde, sollte es tatsächlich mal knapp werden, sein Preis so hoch steigen, dass sich andere heute schon bekannte Treibstoffe mehr lohnen. Andererseits könnte schon bald jemand eine neue, günstigere Energiequelle finden, von der jetzt noch niemand weiß. Schon seit Jahren sinkt der Anteil des Erdöls am weltweiten Energiemix, weil es effizienter verbraucht wird und ihm andere Energierohstoffe Konkurrenz machen. Das ist auch ein wesentlicher Grund für den aktuellen Preisverfall.

Wenn es eine Grenze des Wachstums gibt, dann ist es nicht die endliche Menge an fossilen Rohstoffen. Es gibt eben nicht zu wenig Öl, sondern viel zu viel. Die knappe Ressource, die das Wachstum begrenzen wird, ist die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre. Diese ist nämlich schon so voll mit Treibhausgasen, dass von den nachgewiesenen, mit heutiger Technik förderbaren Brennstoffreserven nur noch etwa ein Fünftel verbrannt werden dürfte, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. 22 Prozent dieser Reserven sind Erdöl. Allein das heute verfügbare Öl könnte also locker reichen, um der Welt eine Klimakatastrophe zu bescheren.

Bevor irgendwo eine Industriegesellschaft zusammenbricht, weil das Öl ausgeht, bevor Ressourcenkriege um die letzten Quellen geführt werden - bevor überhaupt der Ölpreis einmal steigt, weil der Rohstoff knapp wird und nicht weil wenige Länder fast das komplette Angebot kontrollieren, sollte jedem klar geworden sein, dass ein großer Teil des schwarzen Goldes für immer im Boden bleiben sollte.

© SZ vom 07.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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