Ausbau der Stromtrassen:Gefangen im Netz

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Ohne neue Stromleitungen bleibt die Energiewende auf der Strecke - und die Kanzlerin gleich mit. Die Bundesregierung wählt das einzig richtige Verfahren, damit sich Bagger und nicht Gerichte mit den Leitungen beschäftigen: Sie bezieht die Bürger von Anfang an mit ein.

Michael Bauchmüller

Eine Netzwarte muss ein grandioser Ort sein für eine Bundeskanzlerin, zumal wenn sie Physikerin ist. Die Geschicke einer ganzen Region steuern, von einer großen Schalttafel aus - wie viel leichter ist das als im Berliner Kanzleramt. Merkel hat sich dieser Tage selbst davon überzeugt, der Besuch war Teil ihrer jüngsten Energiewende-Offensive. Bezeichnend, dass sich auch das Schicksal der Kanzlerin in so einer Netzwarte entscheiden könnte, denn nichts verkraftet ihre Energiewende schlechter als einen Blackout. Die Atomfreunde und Wendezweifler in der Union warten nur darauf.

Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der Kontrolltafel: Die Stromnetz- Sicherheitszentrale des Netzbetreibers Amprion in Pulheim bei Köln. (Foto: dpa)

Umso beruhigender sind die Pläne, die Deutschlands Netzbetreiber nun vorgelegt haben. Danach soll es künftig Stromautobahnen geben, wie sie die Republik nicht kennt: Direktverbindungen aus dem windreichen Norden hinunter in den Süden - just dorthin, wo in den nächsten Jahren peu à peu die letzten deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Insgesamt 10.000 Kilometer Stromleitungen sollen in den nächsten zehn Jahren erweitert, erneuert, errichtet werden. Gelingt dies, dann kann fürs Erste nichts mehr schiefgehen. Es wäre Merkels Netz - im doppelten Sinne.

Denn der Ausbau der Stromnetze schließt die entscheidende Lücke in der Energiewende. Schon jetzt fließt deutscher Ökostrom auch massenhaft über die Nachbarländer Polen und Tschechien Richtung Süden; ohne neue Leitungen hierzulande kann das nicht dauerhaft gut gehen. Vor allem aber wählt die Bundesregierung das richtige Verfahren, um zu einem vernünftigen Plan zu gelangen - mit einer Einbeziehung der Bürger von Anfang an. Je früher Betroffene an Plänen beteiligt werden, je mehr Einblick sie in die Grundlagen der Planungen erlangen, desto eher nehmen sie eine neue Leitung in der eigenen Umgebung hin.

Manche Leitung könnte überflüssig sein

Umgekehrt freilich werden auch die Netzfirmen umplanen müssen, wenn Vorhaben auf zu heftigen Widerstand stoßen. Wer Bürger anhört, wie es nun geschehen soll, muss im Zweifel auch auf Bürger hören. Die Netzbetreiber haben das in der Vergangenheit leidvoll erfahren; vielerorts sind nicht Bagger, sondern Gerichte mit neuen Netzen befasst.

Zu diskutieren gibt es ohnedies noch einiges. Die Netzbetreiber, die ja am Bau und Betrieb der Leitungen kräftig verdienen, werden den Bedarf sicher nicht zu niedrig angesetzt haben, im Gegenteil. Auch ist längst nicht klar, wie viel Strom von Nord nach Süd transportiert werden muss. Das hängt letztlich davon ab, wie sich Ökostromanlagen und Kleinkraftwerke über die Republik verteilen. Manche Leitung gen Süden könnte sich dadurch erübrigen. Beides, den Ausbau der Netze und den neuer Stromquellen geschickt miteinander zu verzahnen, wird viel Flexibilität und Weitblick in der Planung erfordern.

Anders aber, als es insbesondere Kritiker der Energiewende gern suggerieren, ist keine Gefahr im Verzuge: Noch droht kein Blackout. Und es bleibt Zeit, ihn auch für die Zukunft zu verhindern.

© SZ vom 31.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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