Supermarkt:Wie Amazon die Warteschlange abschafft

Inside The New Amazon Go Cashierless Convenience Store

Einfach einpacken und aus dem Laden raus – das funktioniert dank Robotertechnik im ersten Lebensmittelmarkt von Amazon. Nach einem Jahr Testbetrieb eröffnete er am Firmensitz des Internethändlers in Seattle.

(Foto: Mike Kane/Bloomberg)
  • Für die Kunden ist es gut, für die Kassierer eine Katastrophe: Amazon schafft die Kassen ab.
  • Ein System mit Kameras unter der Decke erkennt automatisch alle Produkte und die Käufer. Ist das die Zukunft?

Von Kathrin Werner, New York

Zuerst fällt auf, was fehlt. Es gibt keine Kassiererinnen und Kassierer in diesem Supermarkt. Es gibt noch nicht einmal Kassen und erst recht keine Warteschlangen vor den Kassen. Niemand will Geld sehen oder eine Kreditkarte. Einkaufswagen und Körbe sind ebenfalls nirgends in Sicht. Bei Amazon Go, dem neuen Supermarkt des Internethändlers in Seattle an der Westküste der USA, braucht man all dies nicht. Der Kunde erledigt alles selbst, überwacht auf Schritt und Tritt von Kameras und künstlicher Intelligenz.

Der Kunde tritt in den kleinen Supermarkt an halbhohen Lichtschranken vorbei, die sich mit dem Smartphone verbinden und erkennen, wer der Kunde ist. Er nimmt sich aus dem Regal, was er kaufen möchte und steckt es gleich in die Tüte, mit der er später den Laden verlassen wird. Hunderte Kameras, die unter der Decke installiert sind, erkennen jedes Produkt und legen es in den virtuellen Warenkorb in der App. Wenn der Kunde etwas zurück ins Regal stellt, nimmt die künstliche Intelligenz es aus dem virtuellen Warenkorb heraus.

"Egal wie voll es ist, die Kunden kontrollieren, wie viel Zeit sie verbringen"

Am Ende kann der Kunde einfach gehen und bezahlt automatisch über die Amazon-Go-App, ohne je mit einem Menschen zu sprechen. Ladendiebstahl funktioniert nicht mehr - oder zumindest nicht wie früher. Wer klauen will, muss Hacker sein.

A shopper scans a smartphone app associated with his Amazon account and credit card information to enter the Amazon Go store in Seattle

Eine Kunde scannt sein Smartphone am Eingang. Um im Supermarkt einkaufen zu können, muss die "Amazon Go"- App heruntergeladen werden.

(Foto: Jeffrey Dastin/Reuters)

Ist das die Zukunft des Einkaufens? Wird Überwachung des Menschen durch Maschinen das Warten an der Kasse ersetzen? In anderen Supermärkten können Kunden bar zahlen und auf Bonuskarten wie von Payback verzichten und so einkaufen, ohne dass jemand außerhalb des Ladens erfährt, was sie mit nach Hause nehmen. Bei Amazon Go dagegen kann nicht kaufen, wer nicht will, dass Daten an einen Großkonzern gelangen. Viele Menschen finden das unheimlich, Datenschützer üben Kritik. Doch einst gab es auch Unmut darüber, dass Kunden für Einkäufe bei Amazon ihre Kreditkartendaten im Internet eingeben müssen. Gleichzeitig bezweifelten Experten, dass Menschen je Klamotten im Internet kaufen würden. All das ist inzwischen Alltag. Wohin auch immer Amazon sich ausbreitet, folgen die Kunden. Und die Konkurrenz verliert.

Binnen zehn Jahren könnten im gesamten US-Einzelhandel sechs bis 7,5 Millionen Arbeitsplätze durch Automatisierung wegfallen, hat die Investment-Beratungsfirma Cornerstone Capital Group berechnet - darunter vor allem die Kassierer. Allein in den Vereinigten Staaten arbeiten rund 3,5 Millionen Menschen als Kassiererinnen und Kassierer. Laut Amazon geht es bei der modernen Technik aber nicht darum, Arbeitsplätze zu streichen, die Supermarktmitarbeiter seien künftig schlicht mit anderen Aufgaben befasst, Kundenberatung zum Beispiel oder dem Nachfüllen der Regale. Der Konzern hat dieses Argument auch vorgebracht, als er viele Lagerarbeiter in den riesigen Warenhäusern mit Robotern ersetzte: Wenn Jobs durch Hightech wegfallen, würden anderswo neue Jobs entstehen. Und in der Tat beschäftigt Amazon weltweit inzwischen mehr als 500 000 Menschen. Doch gleichzeitig haben andere Handelsunternehmen Hunderttausende Jobs gestrichen, allein 2017 fielen 67 000 in den USA weg.

Amazon hat das Supermarkt-Konzept ein Jahr lang ausschließlich mit eigenen Mitarbeitern getestet, der Hauptsitz des Unternehmens ist in Seattle. Es gab einige technische Schwierigkeiten, zum Beispiel war die künstliche Intelligenz überfordert, wenn zu viele Menschen gleichzeitig einkauften. Inzwischen sind die Probleme behoben, am Montag eröffnete der Laden für jedermann. Wann und wo weitere Supermärkte mit Roboterüberwachung aufmachen sollen, ist noch geheim.

Der Wandel zum Supermarkt der Zukunft hat schon vor Jahren begonnen - zum Leidwesen der Mitarbeiter. Erst regten sich die Menschen auf, als Ladenketten die Kassierer abschafften und durch Selbst-Checkouts ersetzten. Heute haben die meisten Kunden sich daran gewöhnt, ihre Waren selbst über die Bänder zu ziehen und ihre Rechnung zu bezahlen, ohne dass ihnen ein Mensch die Summe nennt. Es ist auch normal geworden, Pfandflaschen in Automaten zu stecken, statt sie bei einem Mitarbeiter persönlich abzuliefern. Die künstliche Intelligenz von Amazon ist der nächste Schritt.

Komplizierte Algorithmen messen Mimik wie hochgezogene Augenbrauen

Amazon glaubt, dass die Kunden nicht widerstehen können, weil die Technik das Einkaufen ohne Kasse und Kassierer so praktisch macht. "Egal wie voll es ist, die Kunden kontrollieren, wie viel Zeit sie im Laden verbringen", sagte Dilip Kumar, der Technikchef von Amazon Go, dem Fachblatt MIT Technology Review. "Man ist nicht mehr irgendwelchen Launen ausgesetzt, wenn es darum geht, wie viel Zeit das Einkaufen kostet." Amazon ist nicht alleine, Hunderte Start-ups arbeiten daran, wie sie mit Hightech Supermärkte erneuern können. Emotient aus San Francisco zum Beispiel arbeitet an Gesichtserkennungs-Software, die Gefühle ausliest. Geschäfte können Kameras vor den Regalen installieren und mit der Emotient-Technik erfahren, was die Kunden denken und fühlen: Ärger, Geringschätzung, Ekel, Angst, Freude, Traurigkeit oder Überraschung. Komplizierte Algorithmen messen Mimik wie zusammengekniffene Lippen oder hoch gezogene Augenbrauen.

A shopper is seen using his phone in the line-free, Amazon Go store in Seattle

Was gekauft wird, erfassen Kameras und Sensoren. Über die mit dem Amazon-Kundenkonto verbundene App wird der Einkauf verrechnet.

(Foto: Jeffrey Dastin/Reuters)

Wenn man am Brötchen schnuppert und es stinkt, können die Supermarkt-Mitarbeiter es aus dem Regal nehmen. Oder wenn man sich über den hohen Preis des Olivenöls aufregt, kann der Laden es billiger machen. Apple hat Emotient 2016 gekauft. Auch die Start-ups Standard Cognition aus dem Silicon Valley und Wheelys aus Schweden arbeiten am autonomen Laden.

Was sich bei Amazon Go in Seattle in den Regalen stapelt, ist nichts Besonderes: Kartoffelchips, vorgeschnippelte Salate, Sandwiches, Dosensuppe, Orangensaft und so weiter. Das Angebot unterscheidet sich kaum von einem normalen Supermarkt, abgesehen von der Tatsache, dass Amazon auch einige Lebensmittel verkauft, die sonst die Biosupermarktkette Whole Foods exklusiv im Angebot hat.

Inzwischen gehören auch die knapp 500 Whole-Foods-Filialen in den USA und Großbritannien zum wachsenden Amazon-Reich. Der Konzern hat sie im vergangenen Jahr für 13,4 Milliarden Dollar gekauft. Seither zittert die Lebensmittelbranche vor Amazon. Die Aktien der US-Supermarktfirmen Kroger, Walmart, Target, Costco, Supervalu und Sprouts Farmers Markets verloren am Tag der Übernahme zwölf Milliarden Dollar. Wer zu Whole Foods geht, sieht inzwischen überall orangefarbene Schilder mit dem Amazon-Logo und dem Hinweis: neuer, niedrigerer Preis. Gala-Äpfel, Salate, Lachsfilets, alles billiger dank Amazon - so sollen sich die Menschen daran gewöhnen, dass Amazon nicht mehr nur für Internethandel steht. In den USA betreibt Amazon inzwischen stationäre Buchläden. Eine Expansion der Amazon-Geschäfte ist geplant - auch in Deutschland. "Das ist keine Frage des Ob, sondern des Wann", sagte kürzlich Ralf Kleber, Chef von Amazon-Deutschland.

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