100 Jahre L'Oréal:Flecken im Make-up

Familienkrach, Fragen zur Vergangenheit: Ausgerechnet zum 100-jährigen Jubiläum hat der Kosmetikkonzern L'Oréal viel Ärger - und schweigt dazu.

Michael Kläsgen

Junge Schönheiten, dicht gedrängt, wohin das Auge blickt. Schlanke Körper, lange Haare, viel Schminke und dunkler Teint. Dazu heiße Live-Rhythmen. Und das alles morgens um 10 Uhr. Bei so viel Anmut vergisst man leicht alle Sorgen. Und wenn man es recht bedenkt, könnte man meinen, der Kosmetikkonzern L'Oréal habe es in seiner 100-jährigen Geschichte zum Prinzip erhoben, Unangenehmes zu verdrängen - und das in vielerlei Hinsicht.

L'Oréal-Zentrale, Clichy, dpa

L' Oréal-Zentrale in Clichy: Hinter der schönen Fassade des Kosmetikkonzerns verbirgt sich eine dunkle Vergangenheit.

(Foto: Foto: dpa)

Schon die Firmenzentrale liegt nicht wie die anderer Großkonzerne an einem der großen Boulevards in Paris, sondern jenseits der Stadtgrenze in Clichy gegenüber einer Speedy-Tankstelle und Beton-Hochhäusern. Drinnen aber gerät das schnell in Vergessenheit.

Dort wird gefeiert. Zum Firmengeburtstag dürfen sich die Mitarbeiter schminken, frisieren und fotografieren lassen. Auf den Bildern sehen viele dann fast so aus wie die Berühmtheiten, die für den Kosmetikkonzern werben.

So viele Fragen

In einem Nebenraum übt sich auch Konzernchef Jean-Paul Agon in Sachen Verdrängung und tupft wortgewaltig wie mit Wattebäuschchen über diverse Makel des Unternehmens hinweg: über den Familienstreit der Eigentümer, die dunklen Flecken in der Firmengeschichte und die gegenwärtige Wirtschaftskrise.

L'Oréal ist so gesehen ein Kosmetikkonzern, der Mittel zur Schönheitspflege nicht nur verkauft, sondern auch auf sich selbst anwendet. "Welcher Familienstreit?", fragt Agon scheinbar überrascht zurück. "Die gesamte Familie wird heute in diesem Raum einträchtig in der ersten Reihe sitzen: Liliane Bettencourt, ihre Tochter, deren Mann und die beide Kinder." Welch ein Aufwand für den schönen Schein.

Liliane Bettencourt ist die einzige Tochter des Firmengründers Eugène Schueller und eine der reichsten Frauen der Welt. Angeblich verdient sie dank ihres 30-Prozent-Aktienpakets 700.000 Euro - pro Tag, versteht sich. Den Fragen der Öffentlichkeit stellt sich die stets diskrete Erbin aber auch zum Jubiläum nicht. Einerseits ist das verständlich - die Dame ist 86 Jahre alt -, andererseits schade: Es gibt so viele Fragen.

Frau Bettencourt schweigt

Denn wie resümierte der Historiker Max Gallo? "Im Aufstieg von L'Oréal spiegelt sich die ganze jüngere Geschichte Frankreichs: Erfindungsgeist, dunkle Affären mit der Politik, französischer Antisemitismus, eine Neigung zum harten Durchgreifen, zum totalitären Regime, schließlich das Aufkommen der Werbung, die Emanzipation der Frau und das Entstehen einer Illusionsfabrik. Und am Ende eine Art Bumerangeffekt." Wobei die große Mehrheit in Frankreich über die Zeit von damals nichts wissen mag.

Auch Liliane Bettencourt schweigt dazu. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sie nur zwei Interviews gegeben. Das erste war folgenreich, das zweite, 21 Jahre später, ist ohne das erste nicht denkbar. Letzteres führte sie im Dezember 2008 mit einer französischen Sonntagszeitung.

Streit zwischen Mutter und Tochter

Darin rechtfertigte sie sich dafür, dem Fotografen François-Marie Banier, für den sie im ersten Interview, 1987, posierte, im Laufe der Jahre etwa eine Milliarde Euro geschenkt zu haben, in bar und in Form von Wertgegenständen wie Original-Bildern von Picasso und Léger.

Ihre Tochter Françoise hat sie deswegen 2007 vor Gericht verklagt. Die Mutter sei nicht mehr zurechnungsfähig. Doch im Interview konterte die Dame souverän: "Je suis une femme libre", sagte sie, was so viel heißt wie: Ich entscheide selbst, was ich tue.

Weitere Interview-Anfragen weist sie in freundlichen Briefen ab. "In der momentanen Situation möchte ich mich nicht äußern. Ich habe es selten getan, und es erscheint mir nicht opportun, es jetzt zu tun. Ich hoffe, Sie nehmen mir diese Diskretion nicht übel." Auf Nachfrage bestätigt sie immerhin, dass ihr Vater 1881 im Hinterraum einer Pariser Bäckerei geboren wurde, also in bescheidenen Verhältnissen aufwuchs.

Lesen Sie auf der nächsten Seite über die dunkle Vergangenheit von L'Oréal - und welche Rolle Firmengründer Eugène Schueller dabei spielt.

Abgehakte Historie

Der Konzern hakt die Historie der Firma auf der 100-Jahr-Feier mit einem Filmchen ab. Die Bäckerei taucht nicht auf, natürlich aber der Chemiker und Firmengründer Eugène Schueller, Sohn eines Konditors, dessen Vorfahren aus dem Elsass stammten. Schueller kauert auf den wackeligen Schwarz-Weiß-Bildern in einer Werkstatt vor einem Tisch voller Geräte. Es ist die Zeit, als er im Auftrag eines Friseurs ein Haarfärbemittel entwickelt. Schueller gründet dazu seine eigene Firma namens L'Auréal, die er 1909 in L'Oréal umbenennt. Schnitt.

Liliane Bettencourt, AFP

Konzernerbin Liliane Bettencourt.

(Foto: Foto: AFP)

Der Erste Weltkrieg ist vorbei, bei Frauen kommen Kurzhaarfrisuren in Mode, die sich leichter färben lassen, und Schueller nutzt seine Chance. Er mischt das Färbemittel Imédia, das ihm zum Durchbruch verhilft. Er ist jetzt 50 Jahre alt, L'Oréal beschäftigt 1000 Personen und verlegt den Firmensitz ins Zentrum von Paris, in die Rue Royale. Schnitt. Es folgt die Geschichte der Sonnencreme Ambre Solaire in den 30er Jahren.

Dann springt der Film ins Jahr 1957 und über den Zweiten Weltkrieg hinweg. Die dunklen Jahre seiner Geschichte spart L'Oréal aus. Wer mehr darüber wissen will, muss Archive durchforsten. 1941 offenbart Schueller in dem Bändchen mit dem Titel "La révolution de l'économie", wie wenig er von der Demokratie hält - und dass er ein Faible für Nazi-Deutschland hat. "Wir haben weder die Glaubensstärke des Nationalsozialismus noch den Antrieb eines Hitler", schreibt er.

Schueller entgeht Verurteilung

Schueller schließt sich dem Rechtsextremisten Eugène Deloncle an, der eine Geheimorganisation leitet, die unter dem Namen Cagoule bekannt wird. Sie verübt politische Morde und Attentate auf Linke. Schueller finanziert sowohl die Cagoule als auch die Ende 1940 gegründete Sozialrevolutionäre Bewegung MSR, die mit den Nationalsozialisten kollaboriert.

Ende 1941 erklärt er öffentlich: "Man muss der Dritten Republik, der Freimaurerei und der Judenheit endlich ein Ende bereiten." Nach Kriegsende ermittelt die Justiz drei Jahre gegen ihn. "Er spielt mit den Daten", fasst der Historiker Renaud de Rochebrune die Verteidigungstaktik Schuellers zusammen, "er behauptet, schon 1941 politisch nicht mehr aktiv gewesen zu sein."

Weil ein gewisser François Mitterrand, der spätere sozialistische Staatspräsident, und andere Zeugen aussagen, Schueller habe auch den französischen Widerstand, die Résistance, finanziert und Juden geschützt, entgeht Schueller knapp einer Verurteilung und widmet sich wieder den Geschäften. Dort setzt die offizielle Geschichtsschreibung auf der 100-Jahr-Feier wieder ein.

Im Film ist der kleine Rudolphe zu sehen, ein Schuljunge, an dem die Mädchen hingerissen schnuppern, weil er so gut riecht. Schueller macht erstmals ein Kind zur landesweit bekannten Werbefigur. In allen Kinos ist der kleine Junge zu sehen. Im Radio verliest damals noch der Nachrichtensprecher die Werbung, als wäre das Shampoo Regierungsprogramm.

Und tatsächlich ruft die Regierung bald die "Woche der sauberen Kinder" ins Leben, und der Erziehungsminister ehrt die zehn gepflegtesten Sprösslinge des Landes. Der Werbe-Profi Jacques Séguéla urteilt rückblickend: "Schueller hat den Franzosen eingeredet, sie seien schmutzig." Es zahlte sich aus.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: den Lebensweg der späteren Konzernerbin Liliane Bettencourt.

Schatten der Vergangenheit

Gegenüber seinem eigenen Kind lässt Schueller Strenge walten, wie Liliane Bettencourt in dem Interview 1987 andeutet. Er schickt sie nach dem frühen Tod der Mutter auf ein Mädchenpensionat, wo sie im Gemeinschaftssaal schläft, um sie an die bescheidenen Verhältnisse zu erinnern, aus denen sie stammt. Mit 15 absolviert sie ihr erstes Praktikum bei L'Oréal, ohne sagen zu dürfen, dass sie die Tochter des Patrons ist.

Mit Mitte 20 erkrankt sie an Tuberkulose, weshalb sie zur Kur in eine Schweizer Klinik geht. Dort trifft sie André Bettencourt, ihren späteren Mann, der ihren Vater bereits kennt, weil er wie Mitterrand Kontakt zu den Mitgliedern der Cagoule hatte.

Von 1940 bis 1942 leitete Bettencourt sogar die vom Berliner Propagandaministerium unterstützte Wochenzeitschrift La Terre Française, in der er unter anderem schrieb: "Die Juden, die verlogenen Pharisäer, haben nichts mehr zu hoffen. Für sie ist die Sache gelaufen. Für alle Ewigkeit ist ihre Rasse mit dem Blut des Gerechten beschmutzt."

Vom mittelständischen Unternehmen zum Weltkonzern

Bettencourt wird nach dem Krieg ein gemäßigter Politiker und rückt dank der Hochzeit mit Liliane 1950 in den Vorstand von L'Oréal auf. 1954 verhilft ihm Mitterrand, der rechtzeitig den Wechsel in die Résistance geschafft hatte, zu einem Ministeramt in der Regierung. Mitterrand selber macht sich nach dem Krieg den Kontakt zu Schueller zunutze und wird für kurze Zeit Chefredakteur des Heftes Votre Beauté, das zu einem Verlag L'Oréals gehört.

Chef von L'Oréal wiederum wird nach dem Tod Schuellers 1957 François Dalle, den Mitterrand und André Bettencourt gut kennen. Alle drei gingen auf das gleiche Maristen-Internat in Paris. Dalle kauft in den nächsten Jahrzehnten etliche Marken und bringt L'Oréal an die Börse. Er macht das mittelständische Unternehmen zu einem Weltkonzern und Liliane Bettencourt zu einer der reichsten Frauen der Welt.

Erst 1991 tauchen die Schatten der Vergangenheit wieder auf. Ein Rechtsstreit um eine L'Oréal-Tochtergesellschaft fördert zutage, dass Schueller direkt nach dem Krieg ehemalige Kollaborateure einstellte, darunter Jacques Corrèze, ein Mitglied der Cagoule, der in Nazi-Uniform kämpfte und später die Marke L'Oréal in Amerika lancierte. Erstmals schaltet sich nun die Familie Bettencourt ein, um Schaden vom Ruf der Familie abzuwenden.

Abbitte für "Jugendsünden"

Nicht Liliane und André tun es, sondern deren Tochter Françoise und ihr Mann, Jean-Pierre Meyers, der Enkel eines in Auschwitz ermordeten Rabbiners. Sie erkundigen sich beim Nazi-Jäger Serge Klarsfeld, ob der Vorwurf gegen Corrèze richtig sei. Klarsfeld zeigt ihnen Dokumente, die belegten, dass Corrèze persönlich an der Enteignung von Juden beteiligt war, woraufhin ihn L'Oréal entlässt.

Auch André Bettencourt holt die Vergangenheit ein. Seine Äußerungen werden publik. Mehrmals leistet er daraufhin öffentlich Abbitte für seine "Jugendsünden".

Klarsfeld sitzt hinter einem Berg von Akten und konstatiert: "Es wäre ein Leichtes für das Unternehmen gewesen, kurz nach dem Krieg in ein paar Zeilen anzumerken, dass der geniale Chemiker Eugène Schueller vor und während des Krieges ein paar bedauerliche Fehler gemacht hat und Kollaborateure anstellte. Aber kurz nach dem Krieg war das kein Thema."

Auch nach 65 Jahren will L'Oréal nicht darüber reden. Der Konzern rühmt sich stattdessen, viele Nationalitäten unter seinem Dach zu vereinen. Als Weltunternehmen wirbt L'Oréal mit Models jeder Hautfarbe. Doch nicht überall im Konzern ist das so: 2007 verurteilte ein Pariser Gericht den Konzern wegen rassistischer Diskriminierung.

Die Tochtergesellschaft Garnier hatte dunkelhäutige Kandidatinnen für eine Werbekampagne ausgeschlossen. Konzernchef Agon will von all dem nichts hören. Er erträgt es am Jubiläumstag nicht einmal, doch bitte zu erläutern, wie schwer die Wirtschaftskrise L'Oréal beutelt. "Fragen Sie mich doch etwas zur Zukunft, zur Schönheit oder zum nächsten Jahrhundert", schnalzt er.

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