Süddeutsche Zeitung

1,5 Millionen Kontakte:Die Vitamin-B-Maschine

Die OpenBC-Euphorie breitet sich virusartig über Deutschland aus. Das virtuelle Wirtschaftsnetzwerk wird bereits als heißer Börsenkandidat gehandelt. Firmengründer Lars Hinrichs will jetzt Asien erobern.

Anja Tiedge

Manche Menschen lernen nie dazu. Sie haben miterlebt, wie sich die New-Economy-Blase Ende der neunziger Jahre aufblähte und 2000 mit einem riesigen Knall zerplatzte. Sie bekamen Millionen und verprassten sie. Und jetzt - nach dem Ende der Katerstimmung - sind sie wieder ganz vorne mit dabei beim "nächsten großen Ding". Das heißt Web 2.0 und enthält schon jetzt so viel heiße Luft, dass es sehr stark einer Blase ähnelt.

Lars Hinrichs möchte sich auf keinen Fall zu diesen Menschen zählen. Nach der Insolvenz seiner New-Economy-Firma schrieb er eine Liste mit 100 Dingen, die er nicht mehr falsch machen wollte. Und machte vieles richtig.

OpenBC heißt das Internet-Kontaktnetz für Geschäftsleute, das der 29-Jährige vor drei Jahren am heimischen Rechner entwickelte.

2000 Bekannte angeschrieben

Hinrichs schrieb 2000 Freunde und Bekannte an und bat sie um weitere Kontakte. "Für mich war Netzwerken nichts Neues, ich habe schon immer gern Leute zusammengebracht", antwortet er auf die Frage, wie er an so viele Adressen kam. "Ein paar von denen haben sich registriert" - knapp 500 Personen. Heute sind es 1,5 Millionen, Tendenz steigend.

Die Idee ist einfach: Vom Studenten bis zum Manager kann sich jeder kostenlos anmelden und sein Berufsprofil inklusive Foto hochladen. Einmal angemeldet, kann der Netzwerker auf der Plattform nach bekannten Gesichtern suchen und sie per Email in sein Vitamin-B-Netz einladen. Nimmt der Eingeladene das Angebot an, wird er als Kontakt aufgeführt. So entsteht ein Netzwerk, in dem die Kontakte der Kontakte sichtbar werden.

Premium-Mitgliedschaft

Ein Geschäftskonzept, das für sich genommen zunächst keines ist. Denn allein mit der so genannten Freien Mitgliedschaft lässt sich kein Geld verdienen.

Für Umsatz ist durch eine Art Zwei-Klassen-Netzwerk gesorgt: Die Premium-Mitgliedschaft gibt es für knapp sechs Euro im Monat und bietet erweiterte Funktionen. Dazu zählt beispielsweise das Anzeigen der Mitglieder, die sich das eigene Profil angeschaut haben - wobei umstritten ist, ob dies vornehmlich dem beruflichen oder persönlichen Ego zugute kommt.

"Wer hat die meisten Kontakte?"

"Du musst dich unbedingt bei OpenBC anmelden", heißt es mittlerweile oft in Bürofluren und Hörsaalgängen. Vielerorts gehört es zum guten Ton, sich seinen Platz im virtuellen Netzwerk zu verschaffen. Wettbewerbe unter dem Motto "Wer hat die meisten Kontakte?" bleiben da nicht aus.

Netzwerken als Seelenbalsam. Wer nicht mitmacht läuft Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Denn es werden nicht nur Geschäftskontakte angebahnt - auch Headhunter suchen auf der Plattform gern nach Spitzenkräften.

Was stark nach Schneeballprinzip klingt, mag Hinrichs nicht als solches bezeichnen, weil das "immer so etwas Böses hat. Da denkt man nur an Geldgeschäfte." Es sei zwar die richtige deutsche Übersetzung, er spreche aber lieber vom viralen Marketing, im Sinne einer Virusübertragung.

Heißer Börsenkandidat

Ein profitabler "Virus", an dem momentan 35 Mitarbeiter aus 17 verschiedenen Nationen basteln. Hinrichs spricht von einer monatlichen Wachstumsrate von 10 Prozent. Für 2006 rechnet er mit zehn Millionen Euro Umsatz. Dass es Gewinn geben wird, bestätigt er - wieviel, behält er für sich.

Für viele ist OpenBC deshalb ein heißer Börsenkandidat. Hinrichs weiß das: "Von allen Seiten kommen Anfragen, ob und wann wir an die Börse gehen." Er könne sich in dieser Hinsicht vieles vorstellen, es gebe aber keine konkreten Vorbereitungen. "Wir sind derzeit ein privat gehaltenes Unternehmen und fühlen uns so ganz wohl", sagt er nicht ohne ein wenig Stolz.

Risikokapital

Trotzdem nahm das Unternehmen Ende letzten Jahres eine beachtliche Summe Risikokapital auf: Wellington Partners stieg mit 5,7 Millionen Euro bei OpenBC ein.

Hinrichs betont, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits gewinnbringend gearbeitet habe und man nicht auf das Geld angewiesen war: "Vielleicht auch ein Unterschied zur New Economy, bei der eine Art Cashburn-Prinzip herrschte. Jetzt ist es eher Cashgrow". Er ist der Überzeugung, dass sich die Zeiten nachhaltig geändert hätten: "Heute wird auf den Umsatz geschaut - nicht mehr auf Prognosen."

Die Blase wird platzen

Umsatz, der in Zukunft verstärkt in Asien generiert werden soll. In China ist OpenBC bereits ein Joint Venture eingegangen. Der Grund? "Es ist der für uns schnellstwachsende Markt."

In China wären allein 120 Millionen Leute im Internet - in Deutschland lebten gerade einmal 80 Millionen. Schließlich könne OpenBC den potenziellen Kunden etwas bieten: "Wir haben das, was die Chinesen suchen: Kontakte im Westen."

"Ein schönes Schlagwort"

Was das Stichwort Web 2.0 angeht, ist Hinrichs dagegen vorsichtig: "Es ist ein schönes Schlagwort, das dazu führen wird, dass wieder viel Geld investiert wird." OpenBC sei eines der wenigen funktionierenden Geschäftsmodelle des Web 2.0.

Aus den Erfahrungen der New Economy habe er aber gelernt zu unterscheiden: "Was sind wirklich Geschäftsmodelle und was sind ganz nette Features? Und Web 2.0 sind viele, viele Features." Es werde wieder so kommen, dass Leute viel Geld verdienen - und viel Geld verlieren, denn "dass die Web 2.0-Blase wieder wie zu New-Economy-Zeiten platzen wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche."

Eine Frage der religiösen Art

Andere Fragen der religiösen Art will OpenBC demnächst klären: Dann nämlich steht eine Namensänderung an. In Foren wird die Vermutung angestellt, dass die Abkürzung "BC", die für "Business Club" steht, im englischen Sprachraum für Verwirrung sorge.

Denn eine andere, wohl sehr viel gebräuchlichere Bedeutung lautet "Before Christ", also "vor Christus". Hinrichs möchte sich dazu nicht äußern: "Die Lösung dieses Rätsels wird es im September geben."

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