Süddeutsche Zeitung für Kinder:Angst, die antreibt

Vor mehr als 30 Jahren fürchteten sich die Deutschen vor Müllbergen, verpesteter Luft und giftigem Wasser. Dann taten sie etwas dagegen.

Messung der Schadstoffbelastung der Luft in Niedersachsen, 1984

In den Achtzigerjahren hatten viele Menschen verstanden, dass es so nicht weitergehen kann: Luft, Wasser und Boden sollten nicht länger mit Chemikalien verseucht werden. Überalle wurden Messstellen eingerichtet, um die Schadstoffbelastung der Luft zu messen, so wie hier in Niedersachsen: Zu sehen ist ein Mitarbeiter des TÜV 1984 mit einem Sammelbehälter. Neben gasförmigen Luftschadstoffen wurden auch die Schadstoffbelastung von Staub und Niederschlägen gemessen.

(Foto: dpa)

Es gab einmal eine Zeit, mehr als dreißig Jahre ist das jetzt her, da wurde in vielen Familien immerzu über Angst gesprochen. Die Erwachsenen hatten Angst davor, dass der Wald durch den dreckigen, sauren Regen zerstört wird und stirbt, dass in wenigen Jahren alle Flüsse verseucht sein könnten und die Luft zu schmutzig zum Weiteratmen. Sie redeten viel darüber, dass wegen der Schadstoffe und Abgase, die die Industrie in die Luft pustet, das Klima auf der Erde immer wärmer werde. Dann würden die Landschaften zu unbewohnbaren Wüsten werden. Dann würde das Trinkwasser auf der Welt nicht mehr reichen für alle. Und sowieso würden bald die Atomkraftwerke in die Luft fliegen und ihre radioaktive Strahlung alles Leben auslöschen für immer. Viele Kinder hatten deshalb große Angst vor der Zukunft.

Für die Erwachsenen waren die Sorgen nützlich

Was gut daran war: Damals begannen die Menschen zu verstehen, dass es nicht so weitergehen konnte mit der Ausbeutung und Verschmutzung der Natur. Also haben sie sich mit Nachbarn und Freunden zusammengetan, haben Bürgerinitiativen gegründet, Briefe geschrieben an Zeitungen und Abgeordnete. Sie haben Protestmärsche organisiert und Demonstrationen gegen den Bau von Atomkraftwerken. Sie haben richtig Druck gemacht. Weil sie so viele waren, waren sie schließlich erfolgreich,eine richtige Bewegung: die Umweltbewegung. Sie zwangen die Politiker und schließlich auch die Wirtschaftsbosse und Konzernchefs, etwas zu ändern.

Umweltministerien und das Umweltbundesamt wurden geschaffen, es wurden Regeln aufgestellt, wie viele Schadstoffe höchstens in die Luft oder ins Wasser gelangen dürfen. Und eine neue Partei entstand, die Grünen. Sie versprachen, sich vor allem um die Umwelt zu kümmern, sie wollten den Tierschutz als Staatsziel ins Grundgesetz schreiben und erreichen, dass in Deutschland weniger schädliche Gase produziert werden. Beides ist inzwischen passiert. Nach und nach haben dann auch die anderen Parteien den Schutz der Umwelt in ihre Programme übernommen.

Doch es ist längst nicht alles in Ordnung.

Der Wald ist nicht gestorben. Die Flüsse und Seen sind wieder sehr viel sauberer. Die Atomkraftwerke in Deutschland werden demnächst ganz abgeschaltet. Alles gut also? - Nein. Die Politiker der Welt können sich nicht einigen, wie sie das Klima der Erde schützen. Atomkraftwerke werden nur in Deutschland abgeschaltet, nicht aber in den Nachbarländern. Bei Lebensmitteln wird nicht genug kontrolliert, ob auch drin ist, was auf der Packung steht. Ob beispielsweise Hühner wirklich im Freien leben und gesundes Futter bekommen, wenn ihre Eier "bio" heißen. Der Druck auf die Politiker und Wirtschaftsmenschen hat nachgelassen.

Die Kinder von damals, deren Eltern so viel über ihre Angst gesprochen hatten, sind heute erwachsen. Sie erinnern sich mit Grauen daran, wie es war, als Kind Angst zu haben vor Gift, radioaktiver Strahlung und davor, dass der Wald stirbt. Sie lassen sich nicht mehr so leicht aufregen. Und sie wollen ihren Kinder keine Angst machen. Deswegen reden heutige Erwachsene mit ihren Kindern oft zu wenig über solche Sachen.

Sogar untereinander reden sie nicht genug darüber. Ihr Zauberwort ist "ökologisch". Das bedeutet für sie "umweltverträglich, sauber, rücksichtsvoll, biologisch abbaubar, unbedenklich". Wer im Bioladen einkauft, macht schon alles richtig, denken sie. Dann müsse kein Tier leiden, niemandem werde geschadet. Das ist gut, reicht aber nicht immer. Natürlich sind sie empört, wenn "Bio-Eier" gar nicht wirklich bio sind oder giftig schimmeliges Maisfutter an Milchkühe verfüttert wird. Sie tun aber nicht mehr richtig was dagegen. Sie gehen nicht zu Demonstrationen, gründen keine Bürgerinitiativen. Sie machen nicht richtig Druck.

Wie es aussieht, wird sich die nächste Generation wieder ein bisschen mehr um diese Dinge kümmern müssen, die heutigen Kinder. Sie können sich mit Nachbarn und Freunden in der ganzen Welt zusammenschließen. Sie können Politikern und den großen Firmen Druck machen - und das, ohne ihren eigenen Kindern Angst zu machen.

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