Zum Tod von Starfriseur Vidal Sassoon:Verrückt oder gut - oder beides

Eigentlich will er Fußballer werden. Doch weil das Geld knapp ist, zwingt die Mutter Vidal Sassoon zur Friseurausbildung. Der 14-Jährige fügt sich widerwillig. Und tröstet sich damit, zumindest von hübschen Frauen umgeben zu sein. Wie aus dem Bewunderer des weiblichen Geschlechts ein Revolutionär des Haarschnitts wurde.

Johanna Bruckner

7 Bilder

FILE PHOTO:  Hairdresser Vidal Sassoon Dies At 84

Quelle: Getty Images

1 / 7

Weich. Weibisch. Schwul. Vidal Sassoon ist sich der Vorurteile gegenüber Friseuren bewusst, als er 1942 in die Lehre geht. Die Entscheidung für die Ausbildung fällt nicht ganz freiwillig. Seine Mutter, erzählt er Jahre später in einem Interview, habe die fixe Idee gehabt, "dass ich ein Starfriseur werden würde." Vidal selbst ist von dieser Vorstellung alles andere als begeistert, muss mit sanfter Gewalt überzeugt werden: "Sie hat mich am Ärmel gepackt und hinter sich her bis in die Whitechapel Road im East End von London geschleppt und in den Laden gezogen", erinnert er sich 2010 im Gespräch mit dem SZ-Magazin. Eine Schmach für den 14-Jährigen: "Es war demütigend, denn ich wollte eigentlich Fußballer werden."

Die Sassoons sind eine jüdische Kaufmannsfamilie, doch vom Wohlstand vergangener Tage ist nichts geblieben. Seinen Vater lernt der spätere Star-Coiffeur nie wirklich kennen: Vidal ist erst drei Jahre alt, als dieser die Familie verlässt. Betty Sassoon gelingt es nicht, ihre Söhne alleine durchzubringen, sie bringt Vidal und seinen Bruder in einem Kinderheim unter. Dennoch hat Sassoon ein enges Verhältnis zu seiner Mutter bis zu ihrem Tod 1997. "Sie hatte keine andere Wahl", sagt er einmal über ihre Entscheidung, die Kinder wegzugeben.

Vidal Sasson setzt die Schere an bei der britischen Schauspielerin Sylvia Syms (1965).

FILE PHOTO:  Hairdresser Vidal Sassoon Dies At 84

Quelle: Getty Images

2 / 7

Auch der Sohn fügt sich schließlich in sein berufliches Schicksal: "Wir waren sehr arm, und so musste ich diese Lehre machen." Wirkliches Interesse an dem, was er tut, hat Vidal aber zunächst nicht. "Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, meine Fingernägel sauber zu halten, und ich habe gelernt, so auf meinen Hosen zu schlafen, dass sie stets wie gebügelt aussahen", resümiert er 2011 rückblickend in einem Interview mit der Financial Times. Der Jugendliche sieht anfangs nur einen Vorteil in seinem Beruf: "Dass man ständig mit hübschen Mädchen zu tun hatte."

Vidal Sassoon mit einer Unbekannten (1976)

-

Quelle: AP

3 / 7

Vidals anfänglicher Widerwille gegen den Friseurberuf rührt nicht zuletzt daher, dass er nichts mit der damaligen Auslegung des Handwerks anfangen kann. Die Kundinnen kommen zum Waschen und Toupieren, Kamm und Haarspraydose sind die wichtigsten Werkzeuge der Friseure. "Ich war mit ein paar Mädchen ausgegangen und konnte mit meinen Händen nicht durch ihre Haare streichen, weil sie so verklebt waren." Der junge Sassoon stört sich auch an der Arroganz seiner Zunft, die ihr Herrschaftswissen um die perfekte Hochsteckfrisur hütet. "Der Friseur hatte das Wissen, die Frau musste immer wiederkommen."

Als sich die Gelegenheit ergibt, eine Auszeit von seinem Beruf zu nehmen, ergreift der junge Mann sie: Wiederum auf Initiative seiner Mutter, einer "überzeugten Zionistin", kämpft er 1948 im Israelischen Unabhängigkeitskrieg. Für den 20-Jährigen aber keine traumatische Erfahrung, sondern vielmehr "das aufregendste Jahr meines Lebens", wie er später sagt.

Vidal Sassoon bei der Arbeit an einem Modell (1969)

Starfriseur Vidal Sassoon ist tot

Quelle: AP

4 / 7

Im Nahen Osten hat er einen Umbruch miterlebt, bei seiner Rückkehr nach Großbritannien findet er sich in einer allgemeinen Aufbruchsstimmung wieder. Das beflügelt Sassoon, wie er im Interview mit der Financial Times erzählt: "Um mich herum haben sich die Dinge verändert in Mode, Architektur, Politik. Und ich habe mir gedacht, die Frisuren müssen sich auch ändern." Er will sich nicht damit zufrieden geben, Haare zu toupieren und zurechtzuzupfen, er will sie schneiden.

Seine Vision: Schnitte, die dem Gesicht der jeweiligen Kundin schmeicheln - und pflegeleicht sind. Oder, um es mit Sassoons eigenen Worten zu sagen. "Die Form folgt der Funktion. Wenn Sie das richtig hinbekommen, fällt das Haar wochenlang perfekt" (Zitat aus einem Interview mit der Welt am Sonntag). Geometrische Kurzhaarschnitte mit harten Kanten werden zu seinem Markenzeichen.

Vidal Sassoon mit einem Modell (1966)

FILE PHOTO:  Hairdresser Vidal Sassoon Dies At 84

Quelle: Getty Images

5 / 7

1954 eröffnet er in Mayfair seinen ersten eigenen Laden. Von der Konkurrenz wird Sassoon zunächst belächelt, auch weil er die Haarmode "demokratisiert", wie er es beschreibt. Seine Kundinnen können sich ihre Haare selbst frisieren, müssen nicht mehr jede Woche in den Salon rennen. Während ihm seine Kollegen finanzielle Einbußen vorhersagen, fühlt sich Sassoon als Revolutionär. Einer Frau, die von ihm eine toupierte Hochsteckfrisur nach dem Modell der US-Schauspielerin Ann Sheridan verlangt, bestellt er ein Taxi zum nächstgelegenen Friseur. Im Interview mit dem SZ-Magazin rechtfertigt er seine Konsequenz wie folgt: Sassoon frisiert keine "Entenärsche". Punkt.

Der Haar-Revolutionär mit zwei seiner Modelle (1975)

-

Quelle: AFP

6 / 7

Manche Frau, die sich auf das Experiment Sassoon einlässt, verlässt den Salon danach weinend. Doch seine kompromisslosen Bobs sind die Entsprechung zur Unisex-Mode der sechziger Jahre, spiegeln den Zeitgeist wider. Als die amerikanische Schauspielerin Nancy Kwan für die 1960er-Kinoproduktion Die Welt der Suzie Wong (1960) einen Kurzhaarschnitt bekommen soll, wird der Londoner Friseur angefragt. Film wie Frisur werden ein Hit, Sassoon avanciert zum Starfigaro. Als Roman Polanski acht Jahre später seinen Film Rosemary's Baby dreht, lässt er den Briten eigens in die USA einfliegen. Sassoon verpasst Hauptdarstellerin Mia Farrow einen schockierend kurzen Pixie. Für 5000 Dollar.

Auch 2012 haben die Schnitte von Vidal Sassoon nichts an Radikalität eingebüßt: Dieses Modell war im März auf der "Hair Brazil Fashion Show" in Sao Paulo zu bestaunen.

File photo of famed hairdresser Vidal Sassoon helping to style the hair of a model in Shanghai

Quelle: REUTERS

7 / 7

Auf seiner Schnittkunst baut er in den Folgejahren ein Imperium auf: Salons in Großbritannien, den USA, Kanada und Deutschland; Friseurschulen, eine eigene Haarpflegelinie. Bis ins hohe Alter legt der Meister noch selbst Hand an. "Wenn du etwas 70 Jahre lang machst, musst du verrückt sein, oder gut, oder beides", sagte er im vergangenen Jahr in einem Interview mit der Financial Times über den Beruf, der ihm anfangs so verhasst war.

Nun ist Vidal Sassoon im Alter von 84 Jahren an Leukämie gestorben. Seine Schnitte bleiben jedoch: auf den Köpfen.

Toupieren: nein, Volumen: ja! Vidal Sassoon beim Feinschliff an einem Modell (1997)

© Süddeutsche.de/jobr/vs/rus
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: