Zehn Jahre Modemagazin "Achtung":Entwurzelte Schönheit

Zehn Jahre Modemagazin "Achtung": Ein Cover des Modemagazins "Achtung".

Ein Cover des Modemagazins "Achtung".

Seit zehn Jahren trotzt das Modemagazin "Achtung" der Konkurrenz ebenso wie der Konjunktur. Vielleicht, weil Shootings in Giesinger Kneipen, auf Pariser Autobahnen oder tschechischen Wiesen stattfinden. Vielleicht, weil es die Mode so ernst nimmt. Eine deutsche Erfolgsgeschichte.

Von Julia Werner

Wie läuft es zwischen Deutschland und der Mode? Kurze Zusammenfassung: In München sind die besten camelfarbenen Alpaka- und Kaschmirmäntel für den noch weit entfernten Winter schon ausverkauft, Chelsea-Boots ebenso und Céline-Taschen ohnehin permanent. Die Deutschen haben nicht die größte Phantasie, aber sie sind bisher ganz ordentlich durch die Krise gekommen.

Die Anzeigenseiten in den Zeitschriften sind deshalb gut gebucht von den großen Labels - so gut, dass man mit der Vogue und der Elle in diesem Monat auch sehr, sehr große Schmeißfliegen erschlagen könnte.

Trotzdem verbindet man uns Deutsche in der Modewelt immer noch nicht mit frenetischem Glamour und Stilikonentum. Irgendeine Französin trägt ihr Kleid stets nonchalanter, irgendein Italiener hüpft immer leichtfüßiger in Mokassin und Maßjackett in die erste Reihe der Schauen auf den internationalen Fashion Weeks.

Dabei haben die doch eigentlich kein Geld mehr!, würde der Deutsche jetzt gerne rufen. Die Macht in der Mode: Sie hat eben, anders als in der Europäischen Union, nicht nur mit Geld zu tun. Sondern vor allem mit Gefühl - und da sind Nationalitäten herzlich egal.

Der fabelhafte "Marküs"

'Afri Fashion Design Contest' für Nachwuchsdesigner

So etwas wie der Gegenentwurf zum ambitionierten Verlagschef: Markus Ebner.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Ein deutsches Magazin, das gerade mit seiner 25. Ausgabe sein zehntes Jubiläum feiert, liefert genau das. Sein Erfinder und Herausgeber Markus Ebner sitzt bei jeder Show in der Front Row, und er macht das mindestens so gut wie ein Franzose. Ebner ist der klassische Kosmopolit: Bart gepflegt wuchernd, die Hosenlänge ist immer genau richtig (aktuell bis zum Knöchel). Wenn er mit seiner Frau telefoniert, wechselt er vom Französischen ins Englische und wieder zurück. Auf jeder Show begrüßen ihn PR-Leute und Designer mit begeisterten "Marküs"-Rufen. Der ehemalige Fashion Editor des amerikanischen Magazins Details hat hervorragende Kontakte: Für die erste Ausgabe seines Fußball-Fashion-Magazins Sepp, das immer vor großen Turnieren erscheint, illustrierte Karl Lagerfeld Fußballer-Frisuren, Donatella Versace entwarf ein Trikot. Gerade arbeitet er an einem Fernsehformat - und an Uniformen für das Personal des "The Chiltern", eine Neueröffnung des Hoteliers André Balaczs. Aber Achtung ist das Herzstück.

Die Platzierung auf Schauen ist in der Mode die Wertschätzungswährung. Markus Ebner sitzt auf Augenhöhe mit Anna Wintour von der amerikanischen Vogue, die Millionenauflagen vorweisen kann. Achtung wiederum ist ein Nischenmagazin, mit etwa 8000 verkauften Exemplaren pro Ausgabe. Warum also die Wertschätzung?

Ebner hat das Rad natürlich nicht neu erfunden. Aber er erinnert daran, was Modejournalismus eigentlich ausmacht: gut geschriebene, oft auch kritische Texte von Leuten, die nach Jahrzehnten in der Mode ein wahres Archiv im Kopf haben und das Gesehene in Kontext setzen können. Hinzu kommt: gute Modefotografie. Achtung verfügt nicht über sechsstellige Budgets für eine Produktion wie die Hochglanzmagazine, wohl aber über ein internationales Netzwerk aus Stylisten und Fotografen, von New York bis Moskau. Manchmal werden Jungs einfach auf der Straße gecastet und dürfen dann auch so aussehen. Ohne Leben wäre Mode ja nur Kleidung.

Eine pausbäckige Blondine in Giesinger Kneipen

In der aktuellen Ausgabe ist die Strecke "Roter Raf" zu sehen: die bisherige Arbeit von Raf Simons bei Dior, fotografiert in Moskau, dazu ein Text über das Modehaus und seine Beziehungen zu Russland, wo seit 1959 immer wieder Schauen veranstaltet werden. Und plötzlich - wird Mode lebendig. "Eine gute Modestrecke sollte etwas erzählen, deswegen machen wir nie Shoots im Studio, das ist langweilig und verkommt zu einem reinen Lookbook", findet Markus Ebner. In Achtung trägt eine pausbäckige Blondine, wie sie Rainer Werner Fassbinder geliebt hätte, Pelze in den Kneipen von Giesing. Haute Couture sieht mit der Pariser Autobahn im Hintergrund untheatralisch modern aus. In der ersten Ausgabe des Magazins war übrigens Top-Model Karolina Kurkova in ihrer tschechischen Heimat zu sehen, auf der Wiese und mit Oma. Eine Lebenswirklichkeit, aus der viele der osteuropäischen Models in die glitzernden Modemetropolen katapultiert werden - und deswegen eine Geschichte, die zu erzählen sich lohnt.

Zehn Jahre Modemagazin "Achtung": Karolina Kurkova mit ihrer Oma auf dem Cover der ersten Ausgabe.

Karolina Kurkova mit ihrer Oma auf dem Cover der ersten Ausgabe.

Achtung finanziert sich seit der ersten Ausgabe alleine über die Anzeigen; mit dem Verkaufspreis von acht Euro holt man bei dem hochwertigen Papier mit Ach und Krach die Druckkosten wieder rein. Das Magazin liegt auch nicht am Kiosk um die Ecke, sondern nur in speziellen Buchhandlungen und in den großen Zeitungsläden internationaler Flughäfen. Ein paar Abos gibt es auch, mehrere hundert sogar in Südkorea. Wer also liest Achtung? Wohl hauptsächlich Leute aus der Branche, und ein paar eingefleischte Fans. In den Chefetagen großer Publikumsverlage würden sie einem solchen Magazin sofort das Grab schaufeln, wer will schließlich für so eine Freak-Zielgruppe teure Anzeigen schalten? Bei Ebner werben aber regelmäßig die großen Namen, von Chanel bis Prada.

"Achtung", das Wort versteht im Ausland jeder. Bei der Wahl des Namens ging es aber schlicht und ergreifend um den wortwörtlichen Sinn, die Achtung nämlich. Und zwar vor der Mode. Der Aufruf ist also nicht in berlinerischer Eitelkeit ans Ausland gerichtet. Sondern an Deutschland selbst. Mode gleichzeitig als gesellschaftlich relevant anzuerkennen, aber dabei die elegante Leichtigkeit nicht zu verlieren, das ist eine Königsdisziplin, um es mal sehr deutsch zu sagen. "Unser erster Leitsatz bei Achtung war von Anfang an, Mode ernst zu nehmen", sagt Ebner. "Wenn es um Mode geht, ist der Ton hierzulande entweder ins Lächerliche ziehend oder herablassend." Godfrey Deeney, Modeautor des Figaro und Ebners Buddy, schreibt auf Englisch, und genauso werden seine Texte auch gedruckt. Das ist natürlich eine der künstlerischen Freiheiten, die man sich bei Publikumsverlagen nicht erlauben könnte.

Wer will schon normal sein?

Es gibt dann auch keine Pseudo-Cool-Kunstthemen, wie sie sonst in Independent-Magazinen, die zuletzt hauptsächlich aus Berlin kamen und deren Namen man wieder vergessen hat, immer von allen überblättert wurden. "Es ist schwer vorstellbar, aber in Deutschland gibt es sonst kein Mono-Modeheft", sagt Ebner. "Alle machen Mode und Kunst, oder Mode und Frauenthemen, oder Mode und Stars." Auf den letzten Seiten gibt es allerdings die Rubrik "Leibgericht", wo einem der Art Director die perfekte Lammschulter erklärt. Das passt nicht ins Konzept. Aber stört auch nicht weiter.

Ebner, der mit seiner Familie in Paris lebt, aber regelmäßig in seinem Büro in Berlin sitzt, ist so etwas wie der Gegenentwurf zum ambitionierten Verlagschef, der mit Riesenbudget monatelang marktforschen und entwickeln lässt und die Mischung aus News-Seiten, Styling-Tipps und Modestrecken dann als neu verkauft (und als Titel in vielfarbigen Powerpoint-Präsentationen immer direkt neben der Vogue platziert).

Achtung hingegen versucht gar nicht erst, in eine Kategorie zu passen - ohne Auflagendruck gibt es schließlich keinen Grund, den Mikrokosmos der Modewelt zu verlassen. So bildet es deren aktuelle Vorlieben ziemlich perfekt ab. Das ist schön anzusehen, aber natürlich weit entfernt vom normalen Leben normaler Frauen. Andererseits, wer will das schon immer: normal sein?

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: