Süddeutsche Zeitung

Wohntrend Weiß:Wider das Wohlbefinden

Weiße Couch in weißem Wohnzimmer: Wer bei der Einrichtung auf Purismus setzt, beweist Stil, Trendbewusstsein und gibt sich intellektuell. Doch wer es übertreibt, riskiert eine "gemeinschaftsfeindliche" Atmosphäre.

Andrew Largeman wacht auf, in einem weißen T-Shirt, unter einer weißen Decke, in einem weißen Bett, in einem weißen Zimmer: So beginnt der Film Garden State. Die Szene hat schon 2004 vermittelt, wovor nun auch manche Einrichtungsexperten warnen: Zuviel Weiß im Wohnzimmer kann durchaus auch etwas Beklemmendes entfalten.

Das Zeitalter der schweren Eichenmöbel ist als eines der dunkelsten Kapitel in der Designgeschichte längst erfolgreich aus Möbelkatalogen und Muster-Wohnzimmern verdrängt; heute gilt: Je lichter und heller, desto besser.

Auf der Frankfurter Designmesse Ambiente verpasste ein Stilbüro dem Trend den Namen "light innocence" - "leichte Unschuld". "Ein puristischer Stil, in dem ätherische Leichtigkeit und natürliches Tageslicht eine zentrale Rolle spielen", wie Designexpertin Claudia Herke erläutert, der "eine Zufluchtsstätte jenseits von Hektik und Schnelllebigkeit" bietet. Mode und Design bilden oft Kontrapunkte zu gesellschaftlichen Entwicklungen: der Retro-Trend zu Schnelllebigkeit und Flexibilität, der Selbermach-Trend zum Turbo-Konsum und der helle Wohntrend zur Hektik des Alltags.

Der Trend in Richtung Natürlichkeit ist von skandinavischem Design inspiriert. Ganz wichtig dabei: das Tageslicht. Allerdings lässt sich das oft nur begrenzt beeinflussen, zum Beispiel durch Spiegel und großzügige Glasflächen. Und natürlich Weiß. Weiß spiele dabei große Rolle, sagt Sylvia Leydecker vom Bund Deutscher Innenarchitekten. Aber nicht in steriler Form, sondern in Verbindung mit Holz, natürlichen Farbtönen, plakativen Akzentfarben und haptisch anspruchsvollen Oberflächen, etwa kuscheligen Fellen und strukturierten Teppichen. Es braucht unterschiedliche Materialien, die mit ihrer "Oberflächenstruktur dem Ganzen dieses Klinische" nehmen, wie Leydecker sagt.

Denn bei zu viel Purismus kann aus unschuldiger Leichtigkeit schnell sterile Krankenhausatmosphäre werden: "Weißgestaltung bleibt für mich sehr kritisch. Es ist eher klinisch, aseptisch", sagt der Trendforscher und Farbexperte Axel Venn aus Berlin. "Weiß steht für eine misanthropische Haltung gegen sich selbst, es ist eine Art Kasteiung. Ich glaube, die Leute halten sich nicht wirklich in diesen Räumen auf. Ich halte das auch für einigermaßen zerstörerisch."

"Man gibt sich das Flair von Intellektualität"

Aber warum stellen sich dann so viele Menschen weiße Sofas in weiße Wohnzimmer? Wollen sie mit diesem Bekenntnis zur Schlichtheit ihr Stilbewusstsein beweisen? Solch völlige Reizarmut sei modisch und typisch deutsch, sagt Trendforscher Venn. "Man gibt sich das Flair von Intellektualität. Weiß zu nehmen, ist ja eine Kopfentscheidung, und das sind meist die falschesten." Weiß sei eine Farbe des Erwachsenenseins, eine Verzichterklärung auf die anderen, "viel bequemeren, viel ästhetischeren Optionen".

Reines Weiß müsse immer mit anderen Farben gebrochen werden, rät Venn. Eine Sehachse im Raum könne gerne puristisch wirken, aber eine andere Richtung müsse das wieder auflösen, zum Beispiel durch natürliche Rot- oder Rosatöne und getrübte, gebrochene Sorbetfarben.

Innenarchitektin Leydecker findet: "Weiß kann der Horror sein, Weiß ist aber nicht zwingend steril, sondern kann auch sehr schön sein." Ein weiß gestalteter, lichtdurchfluteter Raum mit echtem Holzboden sei zum Beispiel sehr angenehm. Gegenakzente setzen Venn zufolge auch Buchrücken, Pflanzen und große Bilder. Ein natürlicher, klarer Stil in skandinavischer Einrichtungstradition gelingt also nur mit dem nötigen Maß an Feingefühl. Sonst werde es schnell "kommunikations- und gemeinschaftsfeindlich", sagt Venn.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1321695
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/Philipp Laage, dpa/leja
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.