Wintermode:Land Rover zum Anziehen

Wintermode: Die Wärme der Kojoten: Bei „Canada Goose“ setzt man noch immer auf Wildtierfell als Kapuzenbesatz.

Die Wärme der Kojoten: Bei „Canada Goose“ setzt man noch immer auf Wildtierfell als Kapuzenbesatz.

(Foto: Hersteller)
  • Funktionsjacken boomen - auch in Gegenden, wo man sie von der Temperatur her überhaupt nicht bräuchte.
  • Besonders profitiert davon die Marke Canada Goose, die Daunenjacken im gehobenen Preissegment herstellt.
  • Für die Verwendung von Daunen und echten Kojotenfell stand das Unternehmen zuletzt in der Kritik.

Von Silke Wichert

Die Vorhersage für diesen Winter war eindeutig gewesen: Ein Hoch über China wurde erwartet, angeführt von der Eröffnung des ersten Flagshipstores dort, und auch sonst gab es nur fabelhafte Aussichten für Canada Goose. Die kalte Jahreszeit ist ohnehin meist ein Selbstläufer für die großen Hersteller von Daunenjacken, aber die am stärksten wachsende Marke kam zuletzt aus Toronto. Die kanadische Gans verspricht Kälteresistenz bis minus 30 Grad und mehr. In New York standen die Leute zeitweise Schlange vor den Läden, als sei nicht überall von Global Warming, sondern von bevorstehender Eiszeit die Rede.

Wenn nur dieses blöde gesellschaftliche Klima nicht wäre. Das ging im vergangenen November los, als eine Meldung aus der englischen Kleinstadt Birkenhead bei Liverpool Aufsehen erregte. Die Direktorin der örtlichen Woodchurch High School hatte ein Verbot für Luxuswinterjacken verhängt. Von "Poverty Shaming" war die Rede, Kinder, die keine 700-Pfund-aufwärts-Modelle bezahlen könnten, würden sich "stigmatisiert, ausgeschlossen und minderwertig fühlen". Welche Marken vom Schulgelände verbannt würden, sagte man in Birkenhead auch gleich dazu: Moncler, Pyrenex und Canada Goose.

Die Marke ist Opfer des eigenen Erfolgs

Nicht schön, aber auch nicht so tragisch wie das, was Anfang Dezember passierte. Wegen des Handelsstreits mit den USA wurde in Vancouver die Finanzchefin des chinesischen Technologiekonzerns Huawei festgenommen. Daraufhin rief man in der Volksrepublik zum Boykott kanadischer Marken auf, die prominenteste war schnell ausgemacht: Der Aktienkurs von Canada Goose schmierte um mehr als 30 Prozent ab, die für Mitte Dezember geplante Store-Eröffung in Peking wurde "wegen andauernder Bauarbeiten" kurzfristig abgesagt. Da kann man sich noch so warm anziehen, es hilft nichts.

Im Grunde ist die Marke nur Opfer ihres eigenen Erfolgs, denn der war zuletzt gigantisch. 2013 stieg die Investmentgesellschaft Bain Capital in das Familienunternehmen ein, allein zwischen 2015 und 2016 wuchs der Umsatz um 250 Prozent, im Jahr danach gingen die Kanadier erfolgreich an die Börse. 2018 stiegen die Gewinne im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent, von 212 auf 347 Millionen Dollar. Nicht nur an englischen Schulen und in chinesischen Großstädten haben es die Jacken mit dem markanten Arktis-Logo auf dem linken Ärmel zum Statussymbol gebracht, auch auf deutschen Straßen sind sie mittlerweile unübersehbar. Nach dem Motto: "Kälte? Kann ich mir leisten."

Nischenspezialist für Extrembedingungen

"Werden Luxus-Outdoorjacken die neue 'It'-Kategorie?", fragte die Branchenseite Business of Fashion kürzlich und ließ wenig Zweifel daran, wie die korrekte Antwort darauf lautet. Die italienische Branchengröße Moncler sowie die amerikanische Konkurrenz Woolrich wachsen ebenfalls, die französische Luxusmarke Balenciaga zeigte auf dem Laufsteg exorbitante Daunenjacken im Zwiebelprinzip. Schließlich kann man sich im Winter noch so hübsche Logo-Pullis und Bauchtaschen anziehen, draußen sieht man vor allem: Hülle mit Fülle.

Dabei geben vor allem die Kanadier vor, sich herzlich wenig um modische Trends zu kümmern. "We are a function-first company", lautet die Firmenphilosophie des 1957 vom polnischen Auswanderer Sam Tick gegründeten Unternehmens. In einem kleinen Schuppen spezialisierte er sich auf Wolljacken, Regenmäntel und Schneeanzüge, schließlich auf mit Gänsedaunen gefüllte Outdoor-Jacken. In den Achtzigern hielt der "Big Red" genannte "Expedition Parka" das Team der antarktischen Forschungsstation McMurdo warm, Laurie Skreslet bestieg im Modell "Big Mountain" als erster Kanadier den Mount Everest.

Wintermode: Das Modell „Expedition Parka“, auch genannt „Big Red.

Das Modell „Expedition Parka“, auch genannt „Big Red.

(Foto: Hersteller)

Die kanadische Gans avancierte zum Nischenspezialisten für Extrembedingungen. Von klassischer Werbung hielt die Familie ohnehin wenig, lieber stattete man Schlittenfahrer und Türsteher von Nachtclubs aus. Und an nördlichen Filmsets, da wurde ja auch so viel gefroren! Also stieg man Anfang der Nullerjahre groß ins Filmgeschäft ein, mittlerweile gibt es jede Menge Bilder von Schauspielern, Regisseuren und Kameraleuten, die weite Strecken eines Drehs in den Jacken der Marke bestreiten. Für "X-Men" wurde der Schauspielerin Rebecca Romijn, die als Mystique lediglich ein Kostüm aus blauer Bodypaint trug, ein knöchellanger Parka zum Aufwärmen geschneidert.

"Funktion" siegt über "Fashion"

Bleibt noch zu klären, warum all die mitteleuropäischen Großstädter plötzlich glauben, auch so einen Antarktis-Parka zu brauchen, obwohl die meisten von ihnen höchstens mal in die Nähe von Bodenfrost kommen und einem in der U-Bahn damit sofort der Schweiß ausbricht. "Diese Jacken sind wie ein Land Rover zum Anziehen", sagt Dani Reiss, Enkel des Gründers und seit 2001 Geschäftsführer der Marke. Mit ihren SUVs würden die meisten ja auch nur selten wirklich im Gelände rumkurven. Aber allein der Gedanke an die Möglichkeit gebe ihnen das Gefühl von Freiheit. "Das Abenteuer findet im Kopf statt", glaubt Reiss.

Außerdem findet im Kopf wohl ein Umdenken in Sachen Mode statt. Birkenstocks statt High Heels, Turnschuhe in allen Lebenslagen, Hosen mit elastischem Bund - nicht Abenteuer, sondern Bequemlichkeit ist das eigentliche Freiheitsgefühl. Schon länger wird "Funktion" ein Sieg über "Fashion" vorausgesagt. Also intelligente Materialien, Mode mit Mehrwert statt reiner Bekleidung. Da passt Canada Goose mit seinem reduzierten Design, das man sich in allen Lebenslagen einfach überwirft, perfekt hinein. Das Modell "Snow Mantra" beispielsweise ist mit kleinen Nierenwärmern ausgestattet, die einen auch bei minus 20 Grad vor Verkühlungen schützen sollen. Wird man selbst in Berlin selten brauchen, leuchtet dann aber sofort ein bisschen mehr ein, warum die Jacken bis zu 1000 Euro kosten.

Die Temperatur ist für die Verkäufe kaum entscheidend

Vor allem bei den Millennials boomt die Marke. "Im Vergleich zum klassischen Woolrich- oder Moncler-Träger sind die Canada-Goose-Käufer deutlich jünger", heißt es beim Departmentstore Uzwei in Hamburg. "Die meisten kommen gezielt in den Laden und wissen, welches Modell sie wollen", sagt Store-Manager Thorsten Schermoly. Ob warmer Winter oder Kältewelle, ist für die Verkäufe offensichtlich kaum entscheidend. "Wir waren schon im Herbst ausverkauft, bevor es draußen überhaupt kühl wurde."

Gelegentlich stehen aber nicht nur Kunden in Scharen vor den Läden, sondern auch Tierschützer. Während sich Gucci und Versace gerade großspurig von Pelz verabschieden, verwendet Canada Goose nach wie vor echtes Kojotenfell an Kapuzen. "Wir produzieren Funktionsjacken, egal, wer sie später wo trägt", sagte Dani Reiss dazu in einem Interview. Künstliches Fell funktioniere nun mal nicht, es friere ein, wenn es nass wird. Außerdem gäbe es in manchen Gegenden von Kanada so viele Kojoten, dass der Bestand kontrolliert werden müsse, ähnlich dem Wildschweinbestand in deutschen Wäldern. Auch was die Produktion der Daunen angeht, gibt es immer wieder Kritik. Canada Goose beruft sich jedoch auf seinen selbstauferlegten "Down Transparency Standard". Danach dürfen Federn ausschließlich als "Beiprodukt" aus der Geflügelzucht stammen und nicht von lebenden Tieren gerupft werden.

Dem Verkauf hat es bislang kaum geschadet, und das Motiv "Kopf unter Fellkapuze" ist in diesem Winter wieder ein gängiges Selfie - vor allem, wenn es in einem Canada Goose "Cold Room" gemacht wurde. Einer Art begehbarem Kühlschrank als Anprobe in einigen Läden, die sofort zum Instagram-Hit avancierte. Bei Temperaturen bis zu minus 25 Grad können die Jacken live zeigen, was sie draufhaben. So einen Raum gibt es übrigens auch im neuen Peking-Store, der kurz vor Neujahr doch noch eröffnet wurde. Aktuelle Temperaturen in der Stadt: nachts bis minus 5 Grad. Da ist noch Luft nach unten.

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