Süddeutsche Zeitung

Winterkleidung:Fantastisches Kleidungsstück für den Fuß

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Kalte Frauenfüße sind eine stoffwechselbedingte Realität. Deshalb ist jedes Mittel Recht, um sie in dieser Jahreszeit warm zu halten. Eine Verteidigung des Wollstrumpfs.

Von Tanja Rest

Kürzlich ging es auf Bayern 1 um kalte Frauenfüße. Seit jeher kennen sie beim öffentlich-rechtlichen Spaßradio ja vor allem zwei Themen, um sich an die Hörer ranzuwanzen, beziehungsweise sie "abzuholen", wie es heute richtig heißen muss. Das eine ist die Frage, wie lange es noch dauert, bis der Feierabend oder, noch besser, das Wochenende endlich erreicht ist (dies mit der penetrant gut gelaunten Stimme von Menschen, die gerade im Studio und also an ihrem Arbeitsplatz sitzen, was einem schon immer total verlogen vorgekommen ist). Das andere Thema ist das Wetter, genauer: wie unfassbar heiß, stürmisch, verregnet, hell oder dunkel es dort draußen gerade wieder ist. Und an diesem Tag ging es eben um das Wetter. Das zurzeit zu klirrend kalten Frauenfüßen führt.

Diese Füße, liebe Herren, sind mitnichten eingebildet, sondern beklagenswerte, stoffwechselbedingte Realität. Frauen haben einen geringeren Energieverbrauch als Männer und produzieren somit auch weniger Wärme. Das weibliche Wärmereservoir wird vernünftigerweise erst mal angezapft, um lebenserhaltende Organe in Kopf, Brust und Bauch auf die vorgeschriebene Betriebstemperatur von 37 Grad zu bringen - und an Kältetagen bleibt für so zweitrangige Gebilde wie Hände und Füße eben nicht mehr viel übrig. Eine Frauenfußtemperatur von unter zehn Grad ist keine Seltenheit.

Die Radiomoderatorin empfahl dicke, warme Wollsocken; womöglich fiel auch das Wort "mollig". "Aber noch besser", sagte sie mit ihrer penetrant gut gelaunten Bayern-1-Stimme, "wir stecken unsere kalten Fußbatscherl einfach zwischen die warmen Oberschenkel des Mannes."

Der Herbst ist ein ekelhafter Sexist, dachte man.

Wollsocken also. Selbst wenn man die Tatsache, dass Frauen von Natur aus zum Frieren und damit zur Schwäche verurteilt sind, großzügig ausblendet, so ist die Bildsprache, welche die Wohlfühlindustrie dieser speziellen Textilie zugedacht hat, auch schon wieder zutiefst diskriminierend.

Die Werbung zeigt Männer in Wollsocken als harte Kerle, Frauen eher als hilflose Hundewelpen

Der in einer Wollsocke verpackte Männerfuß, der in aller Regel in einem derben Schnürstiefel steckt, hat stets etwas kernig Federndes, den Widrigkeiten der Natur triumphal Trotzendes. Es ist ein Outdoor-Fuß, damit beschäftigt, einen vereisten Berghang hinaufzustapfen, Bodennebel zu durchpflügen oder bei der Suche nach Feuerholz fürs Winterbiwak in Matsch zu treten. Die Wollsocken tragende Frau in der Werbung und auf den Wellness-Seiten der Modemagazine trägt hingegen niemals Schuhe. Im flackernden Licht eines Duftkerzenensembles lagert sie auf der pastellfarbenen, mit Kissen dick ausgepolsterten Sofalandschaft, ein Buch auf den Knien, eine Tasse grünen Tee schon der Wärmezufuhr wegen mit beiden Händen fest umklammert und die wollweißen Sockenfüße unterm Popo verstaut, während sich hinter der Panoramascheibe ein Hagelschauer entlädt. Sollte sie sich doch einmal erheben, um übers Parkett aufs Klo zu tapsen, so erinnert sie in ihrer unbeholfenen Schutzbedürftigkeit an einen Golden-Retriever-Welpen.

Mit der Herbstrealität hat das alles nichts zu tun, denn die sieht für beide Geschlechter jeden Abend gleich aus: Raus aus den Sneakers, Loafern, Pumps - rein in die Wollsocken, die stets in unterschiedlichen Ecken der Wohnung im Staub liegen und so ranzig sind, dass man sie vor dem Anziehen besser keiner genaueren Betrachtung unterzieht. Wer es dennoch tut, wird zwangsläufig feststellen, dass es sich um löchrige, durch mehrmaliges Waschen eingelaufene, verfärbte und verfilzte Formen ungewissen Ursprungs handelt. Sie müffeln. In die grobmaschige Unterseite haben sich wie von Zauberhand Brotkrümel, Spaghettireste und das eine oder andere tote Insekt eingearbeitet.

Hat man die Beulenpest erst einmal an den Füßen, ist eigentlich auch schon wieder alles egal, der Weg zum Jogginganzug und der beim "Tatort"-Gucken übers Sofa gebröselten Salamipizza also nicht weit. Sollte der Abend noch in sexuelle Handlungen münden, bei denen die Socken anbehalten werden, womöglich gar im Einvernehmen, ist der Gipfel der Tristesse erreicht.

Dabei hat es Wikipedia so vornehm formuliert: "Ein Strumpf bzw. eine Socke (regional auch der Sock, der Socken; Mehrzahl: Strümpfe) ist ein Kleidungsstück für den Fuß." Frage also: Was sagt eigentlich die Mode dazu? Antwort: nicht viel.

Betrachtet man die internationalen Laufstege für den Herbst 2019, so sind bei den Damen sehr viele Stiefel, Söckchen zu Kitten-Heels und in Pumps steckende Barfüße zu sehen, aber kein einziges Paar Wollsocken. Es handelt sich aus Sicht der Mode offenbar um Un-Dinge, in die man zu Hause vielleicht hineinschlüpft, nachdem man die kalbsledernen Gucci-Stiefel ausgezogen hat, über die man in der Öffentlichkeit aber nicht oder nur hinter vorgehaltener Hand sprechen würde. Einzig Miuccia Prada hat ihrem Publikum vor Jahren den Vorschlag unterbreitet, maximal dicke Strümpfe mit maximal hohen Sandaletten zu kombinieren, quasi die Schnittmenge aus dem Bedürfnis nach Wärme und nach Eleganz. Ein einziges Mal hat man versucht, diesen Look in den Alltag zu überführen. Es stellte sich heraus, dass ihm weder die nähere Umgebung noch man selbst gewachsen war.

Dieses Kleidungsstück ist so fantastisch, dass man nicht auch noch gut darin aussehen kann

Halten wir also fest: Wollsocken sind antifeministisch, antiästhetisch, antisexuell und antimodisch. Und jetzt kommt's: Das interessiert Frauen nicht die Bohne! Es gibt in diesem Land vermutlich keine einzige Frau, die beim Gedanken an warme, dicke, mollige Wollsocken keinen ekstatisch verklärten Gesichtsausdruck bekommen würde. Frauen lieben Wollsocken. Unübersehbar viele fertigen sie sogar selbst an. Dass man selbst nicht mehr die Jüngste ist, lässt sich schon daran erkennen, dass man die selbstgestrickten Socken, die man früher von der Oma zu Weihnachten erhielt, heute von Freundinnen regelrecht aufgedrängt bekommt. Sie sind alle hässlich (die Socken), aber ungeheuer warm und herbstgemütlich und insofern unbedingt lebenserhaltend.

Außerdem ist Schafwolle ein astreines Naturprodukt, mit erstaunlichen Eigenschaften: Ihre Oberfläche stößt Wasser ab, ihr Inneres aber speichert Feuchtigkeit. So kann sie bis zu einem Drittel ihres Trockengewichts aufnehmen, ohne sich nass anzufühlen. Keine weiß das besser als Angela Langer, die beim Traditionshersteller Falke für die Produktentwicklung Strick zuständig ist. Sie unterscheidet zwischen gröberer Wolle vom heimischen Crossbredschaf und feiner Wolle vom Merinoschaf. Manche Merinoprodukte, sagt sie, seien so zart, dass man sie beim Anfassen nicht mehr von Kaschmir unterscheiden könne. Langer zufolge liegt die Kratzgrenze bei 18 µ (sprich: mü), was einem Faserdurchmesser von 0,000018 Meter entspricht. Um die Haltbarkeit zu verbessern, werden Polyamidfasern beigemischt, Polyacryl dagegen sorgt für mehr Wärme. Und das elende Verfilzen? "Ist eigentlich gut, so kann die Wärme nicht entweichen."

Man sieht schon: Wer ein solch fantastisches Kleidungsstück für den Fuß sein Eigen nennt, kann nun wirklich nicht verlangen, darin auch noch gut auszusehen. Es gibt Jahreszeiten im Leben, da muss man als Frau Prioritäten setzen.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2019
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