Wintergemüse:Rosenkohl hat zu Unrecht ein mieses Image

Fußballgroß oder rosenblütenklein - Kohl ist vielseitig

Frischen Rosenkohl erkennen Verbraucher daran, dass die äußeren Hüllblätter der Köpfchen kräftig grün und die Schnittstellen hell weiß sind.

(Foto: picture alliance / dpa-tmn)

Über das geruchsintensive Wintergemüse lässt sich eigentlich nur Gutes berichten - wenn man es denn richtig zubereitet.

Von Titus Arnu

Es gibt glamouröseres Gemüse als den Rosenkohl. Die Ringelbete mit ihren schicken rot-weißen konzentrischen Kreisen etwa, der knallgrüne, spiralförmige Romanesco oder die knackige, knallrote Tomate - alle machen sie optisch ordentlich was her. Rosenkohl dagegen: kümmerliche Kügelchen, geschmacklich zweifelhafte noch dazu. Die Dinger werden gemeinhin als Stinkbomben gefürchtet. Manchmal, wenn die Kohlköpfchen falsch zubereitet sind, auch zu Recht.

Wie mies der Ruf von Rosenkohl ist, kann man in Lothar-Günther Buchheims Roman "Das Boot" nachlesen. Das Gemüse spielt in der beklemmenden Kriegsgeschichte eine fiese Nebenrolle als Stimmungs- und Luftverpester. Nach dem Verzehr von "Flottenspeck mit Kartoffeln und Rosenkohl hebt im U-Raum eine fürchterliche Furzerei an - der Rosenkohl!", schreibt Buchheim. Die Mannschaft veranstaltet in den Kojen einen unappetitlichen Körpergas-Wettbewerb, der kaum auszuhalten ist, da die U-Boot-Besatzung ja kein Fenster öffnen oder flüchten kann.

Die blassgrünen Bollen gehören zu den am meisten gehassten Lebensmitteln, vor allem wegen ihres Geruchs, den sie beim Kochen verströmen. Der herbe, bittere Geschmack ist verantwortlich für viele Tränen und Kindheitstraumata. Auslöser dafür sind die im Kohl enthaltenen Senföl-Glycoside. Die Agrarindustrie forscht schon länger, mit dem Ziel, diese schwefelhaltigen Glycoside so zu verändern, dass der Kohlgestank verschwindet - bisher ohne nennenswerten Erfolg. Die Abneigung gegen Bitterstoffe ist tief im Menschen verwurzelt und lässt sich am Essenstisch kaum wegdiskutieren. Wissenschaftler fanden im Erbgut der Neandertaler ein Gen, das genau wie beim modernen Menschen dafür sorgt, dass sein Träger eine Abneigung gegen den Bitterstoff Phenylthiocarbamid (PTC) besitzt. Dieser ist zum Beispiel in Rosenkohl, Brokkoli und Grapefruits enthalten. Die Abneigung gegen Bitterstoffe hat einen evolutionären Sinn: Sie schützt vor dem Verzehr giftiger Pflanzen.

Rosenkohl ist reich an Vitaminen und beugt Arteriosklerose vor

Rosenkohl gehört aber nachweislich nicht zu den giftigen Pflanzen. Im Gegenteil: Er gilt als gesundheitsfördernd. Die kleinen Knollen sind reich an Vitamin A, B 1 und B 2, sie enthalten doppelt so viel Kalium und Eisen wie Weißkohl. Sein Vitamin-C-Gehalt ist doppelt so hoch wie der von Orangen. Blutdruck- und Cholesterinwerte sollen durch den Verzehr von Rosenkohl gesenkt werden, auch beugt er arteriosklerotischen Veränderungen vor. Ernährungsphysiologen heben hervor, dass 200 Gramm Rosenkohl mehr Ballaststoffe enthalten als 100 Gramm Vollkornbrot. Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke weist zudem auf die schützende Funktion des Rosenkohls gegen Zellschäden hin. Klingt alles sehr überzeugend, nützt aber nichts, wenn das Zeug nicht schmeckt.

Menschen kennen und schätzen seit der Antike den Nährwert dieses unscheinbaren Gemüses. Es wurde bereits im alten Rom angebaut. Sein englischer Name, Brussels sprouts, ist abgeleitet von der Stadt Brüssel, wo er bereits im 13. Jahrhundert schriftlich erwähnt wurde. Seine Popularität ging in den vergangenen Jahren allerdings fast komplett verloren. 2013 verzehrten die Deutschen nur 300 Gramm Kohlköpfchen pro Kopf, 1991 lag der Verbrauch noch bei 800 Gramm. Dagegen isst jeder Deutsche statistisch gesehen 24,8 Kilo Tomaten jährlich. Der Rosenkohl hat absolut mehr verdient.

Im Winter hat Rosenkohl Hochsaison

Neuerdings scheint es aber aufwärtszugehen: Spitzenköche wie Yotam Ottolenghi veröffentlichen Alternativrezepte für karamellisierten Rosenkohl mit Orangensaft oder Rosenkohlsalat aus dem Ofen mit Grapefruit; Foodblogger preisen die Wunderkräfte der Knolle und empfehlen die Kombination mit süßen Zutaten wie Orangen, Ahornsirup oder Honig-Chili-Butter.

Gerade ist Hochsaison: Rosenkohl ist ein typisches Wintergemüse, das von Oktober bis Februar geerntet wird und die im Winter dringend benötigten Vitamine und Mineralstoffe liefert. Einige Sorten vertragen Temperaturen bis minus zehn Grad. Geerntet wird nicht die gesamte Pflanze, wie bei Kopfkohlsorten, sondern die bis zu fünf Zentimeter großen Knospen, die sich an den Stängeln bilden. Rosenkohl-Apologeten betonen, man müsse das Gemüse nach dem ersten Frost ernten, ebenso wie den Grünkohl, dann würde Stärke in Zucker umgewandelt und milder schmecken. Einfrieren nutzt übrigens nichts, der Rosenkohl muss während der Frostphase schon noch leben. Wissenschaftlich ist die Frosttheorie kaum haltbar. Und die Frusttheorie besagt: Wenn etwas bitter und muffig schmeckt, hat man als Koch keine Chance, es den Essern anzudrehen. Verkohlen lässt sich so leicht keiner.

Was gegen den Muff hilft? Sieben bis acht Minuten in Salzwasser blanchieren

Was tun? Den Rosenkohl so zubereiten, dass er nicht bitter schmeckt. Das funktioniert, wenn man ein paar Tricks kennt. Wichtigste Grundregel: Nicht so lange kochen, bis die Kohlköpfchen zu Matsch zusammenfallen. Besser nur sieben bis acht Minuten in Salzwasser blanchieren, so dass sie gerade al dente sind. Der Londoner Spitzenkoch Atul Kochhar zerlegt die Knöllchen in seinem Zwei-Sterne-Restaurant Benares in ihre Bestandteile und röstet die Blätter einzeln in Butter an, zusammen mit Kastanien. Sein Kollege Yotam Ottolenghi kocht den Rosenkohl nicht, sondern röstet ihn im Ofen und übergießt ihn dann mit einem Sirup aus Wasser, Sternanis, Zimt und Zucker (siehe Rezept oben).

Wem Sternanis nicht schmeckt, der kann es auch mit einer Orangen-Honig-Marinade versuchen. Der Rosenkohl wird zwei Minuten blanchiert, halbiert und in einer Marinade aus abgeriebener Orangenschale, zwei Esslöffel Olivenöl, Thymian, Salz und einem Esslöffel Weißweinessig gebadet. Anschließend wird der Rosenkohl bei 220 Grad zehn bis zwölf Minuten geröstet, währenddessen einmal wenden, mit Orangensaft und Honig übergießen und weitere fünf Minuten bräunen lassen. Das Ergebnis: garantiert kein Kohldampf in der Küche, und ein Gemüsegericht mit fruchtiger, karamelliger Note - so fein, dass es sogar Kohlhasser überzeugt.

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