Werbung:Voll das Leben

Dolce&Gabbana Kampagne

Die neue Kampagne von Dolce & Gabbana für Herbst 2016 hat Franco Pagetti fotografiert - sein Einsatzgebiet sind eigentlich die Krisenregionen der Welt.

(Foto: PR)

Graffiti-Künstler übermalen Taschen und Anzeigen, die Kampagnen von Luxusmarken werden auf realitätsnah getrimmt: Das Verlangen nach Authentizität verändert die Bildsprache der Mode.

Von Silke Wichert

Die ewige Frage: Soll die Mode möglichst viel mit dem echten Leben zu tun haben? Oder, ganz im Gegenteil, möglichst wenig Realität abbilden? Schließlich sieht die Welt da draußen schon trostlos genug aus, da muss ja irgendwo der Stoff zum Träumen herkommen. Die Antwort wird jede Saison neu definiert, vordergründig nach Gemütslage der Designer, zunehmend wohl eher gemäß der Stimmung der Konsumenten. Sie entscheiden am Ende, ob sie etwas gut finden - und dann womöglich echt kaufen.

Der neuen Werbekampagne von Dolce & Gabbana nach zu urteilen, ist die Mode gerade mitten im echten Leben angekommen. Statt einen klassischen Modefotografen zu engagieren, der die Models wie üblich an einem Pool, auf einer Yacht oder vor Star-Architektur ablichtet, ließen sie ihre Motive für die kommende Saison von dem Kriegsfotografen Franco Pagetti aufnehmen. Der Italiener war in allen Krisengebieten der Welt unterwegs, im Irak, in Kosovo, in Afghanistan. Nun darf man davon ausgehen, dass die Designer mit ihrer Wahl keinesfalls suggerieren wollten, das eigentliche Schlachtfeld von heute sei die Modewelt. Vielmehr wollten sie jemanden, dessen Name weniger für Inszenieren steht, sondern für Dokumentieren - kurzum: jemand, der sich darauf versteht, eine Modestrecke wie ein Abbild der Realität aussehen zu lassen.

Eine Armani-Tasche in der Dolce-&-Gabbana-Kampagne? Aber ja, das wirkt so echt!

Schauplatz ist die Altstadt von Neapel. Das ist erst einmal nicht überraschend, weil Dolce & Gabbana sich seit gefühlten zehn Jahren gedanklich nicht mehr aus Italien herausbewegt haben. Aber Neapel, die etwas schmuddelige Hafenstadt, ist natürlich nicht so pittoresk wie zuletzt Sizilien. Und statt der zusammengecasteten, reizenden Omas sind nun einfach Passanten im Bild. Typen in engen Stonewashed-Jeans und Jogginghosen, Fleischer mit dreckiger Schürze, eine ulkige Straßenmusikantin, junge Frauen, die über die Models johlen. Und das Bemerkenswerte ist, dass diese echten Menschen auch andere Labels tragen. Dass auf der Dolce-&-Gabbana-Werbung also deutlich ein Adidas-T-Shirt zu erkennen ist, eine Armani-Tasche, ein Louis-Vuitton-Schal. Das sei zwar so nicht geplant gewesen, heißt es bei den Italienern. Aber man habe nun mal diesen einen Moment in den Gassen von Neapel abbilden wollen. Dazu gehört dann auch, dass nicht die ganze Welt Dolce & Gabbana trägt.

"Seid ihr noch ganz echt?", hätte die Branche noch vor ein paar Saisons entgeistert gerufen. Sehenden Auges Werbung für die Konkurrenz zulassen? Wo man sich ansonsten schon aufregt, wenn in den Magazinen die eigenen Luxusprodukte im näheren Umfeld von günstigeren Labels abgebildet werden, wo Firmen immer häufiger auf der "Total-Look-Policy" bestehen, also den Stylisten untersagen, verschiedene Marken am Model miteinander zu kombinieren. Jetzt dagegen dürfte diese Kampagne als mutiges Statement gefeiert werden. Wo alle nur von Authentizität reden, macht es endlich mal einer. Bravissimo!

Lebensnah wirken, nicht zu glatt, sondern betont echt daherkommen, das ist so etwas wie das neue Glaubensbekenntnis der Mode. Schon länger wird auf nonchalante Nachlässigkeit beim Styling geachtet, der Bluse werden Knitterfalten verpasst, das Sofa unter dem Model muss bitte ein bisschen abgewetzt daherkommen. Damit der Konsument auch mal denkt: Das bin ja ich! Saint Laurent und Vetements buchten zuletzt für ihre Schauen nicht nur Profi-Models, sondern auch Mädchen und Jungs von der Straße. Selbstverständlich genauso dünn wie die anderen, aber ohne deren Ebenmaß und Perfektion.

Dass nun auch andere Marken nachziehen, dürfte viel mit dem Erfolg eben jener beiden Labels zu tun haben. Der amerikanische Street Artist Michael de Feo, genannt "Theflowerguy", sorgte Anfang des Jahres für Aufsehen, weil er die Poster von Nobelmarken aus den Rahmen an der Busstation klaute und mit Blumen verzierte. Dior- und Chanel-Anzeigen wurden schier überwuchert. Das hätten die meisten Firmen vor ein paar Jahren als puren Frevel empfunden - nun verwendete Christian Louboutin de Feos Arbeiten gleich für eine Social-Media-Kampagne. Dasselbe Spiel bei Gucci: In der neuen Kollektion wurden Taschen, Pelzmäntel und Lederjacken von einem bislang unbekannten Graffiti-Künstler besprüht. Trevor Andrew alias "Gucci Ghost" hatte schon eine Weile seine Heimat New York mit den Doppel-Gs verschönert. Früher hätte das Luxuslabel ihm zur Belohnung sämtliche Staranwälte auf den Hals gehetzt. Jetzt lud Gucci-Designer Alessandro Michele den kreativen Geist ein, doch gleich bei der Kollektion mitzuhelfen. Klar, was der auf einen großen Shopper sprühte: "REAL."

Die umworbene junge Klientel schätzt allzu werbliche Inszenierungen nicht mehr

Warum plötzlich so viel Tuchfühlung mit der Welt da draußen? So viel Verlangen nach "Echtheit"? Weil es gut ankommt, besonders bei der jungen Zielgruppe, den heiß begehrten Millennials. Zu viel machtbewusste Goliath-Mentalität schätzen die nämlich nicht. Einen Street-Artist seiner Meinungsfreiheit zu berauben, wäre mit einem gehörigen Shitstorm bestraft worden. Wer immer mehr mit den Kunden interagieren will, muss sie eben auch bei Laune halten - und für die etwa 15- bis 35-Jährigen ist Authentizität zurzeit einfach am wichtigsten. Ein Drittel von ihnen gibt in Umfragen an, ein Produkt eher zu kaufen, wenn der Kontext nicht zu werblich daherkomme. Das ist auch eine Gegenreaktion auf die vermeintlich echte, aber meist ausgefeilt inszenierte Instagram-Realität. Dort machen gerade die User Karriere, die statt der ewigen grünen Säfte und Quinoa-Salate extra viele Schokoriegel posten.

Kulturhistorisch betrachtet, wirft das eine interessante Frage auf: Ist dieser neue Realitätssinn der Mode gar eine Renaissance der brutalehrlichen Ästhetik eines Oliviero Toscani? Des italienischen Fotografen, der von 1982 bis 2000 die Werbung für Benetton inszenierte, unter anderem mit einer ölverschmierten Ente oder der blutbesudelten Uniform eines gefallenen bosnischen Soldaten? Wohl nicht ganz. Toscani war immer provokant, meist politisch. Davon kann aktuell in der Mode kaum die Rede sein. Ach ja, und Kleidung war in seinen Anzeigen natürlich auch nicht zu sehen.

Bei Dolce & Gabbana dagegen sind jede Menge neuer Herbst-Looks im Bild. Um die geht es schließlich. Und - das wird im Kontrast zu den neapolitanischen Passanten noch einmal schön deutlich - für ganz gewöhnliche Leute sind die gemusterten Anzüge, Teddybär-Mäntel und Glitzerpumps noch immer nicht gemacht.

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