Fehlt nur noch, dass Erika und Max Mustermann auf ihren Ausweisen den Kopf hip bedecken, dann wäre der Mützen-Peak erreicht. Es muss irgendwann Anfang dieses Jahrzehnts gewesen sein, als Männer vereinzelt dabei gesichtet wurden, wie sie ihre (damals noch schlicht graue oder schwarze) Wollmütze auch im Büro aufließen; ein winziger Akt der Rebellion in einem unrebellischen Leben. Ebenso vereinzelt wurde die Mütze dann in eher unwinterlichen Monaten wie Juli und August auf Großstadt-Köpfen gesehen, aber nicht mehr als funktional-essenzielles Kleidungsstück. Sondern als Distinktionsmerkmal in einer Welt, die so was von individuell ist, dass sie gar nicht mehr individuell sein kann. Kurze Zeit später kam das Selfie. Was man vielleicht erst für eine Höhöhö-Erfindung wie einst das Tamagotchi hielt, wuchs sich aus zu einer ganzen Ära der Selbstdokumentation, der Selbstvergewisserung.
Und da kommt wieder die Mütze ins Spiel. Weil die Leute so gerne ihren Kopf fotografieren, orientiert sich auch die Modeindustrie an dieser Fixierung auf das Haupt und damit auf große Ohrringe, Haarschmuck und eben die Kopfbedeckung. Es geht um die Ausstattung des Gesichts, ums Oben-Bleiben. Kecke Kapitänsmützen, Stirnbänder oder Beanies sind als Rahmen zu verstehen, in denen das Ich noch ichiger wirkt. Mit denen man etwas Nachlässigkeit signalisiert in absurd unnachlässigen Zeiten, was die Optik im Allgemeinen betrifft.
Nun also: Überall Mützen, gestreift, mit Glitzer, aus Kaschmir oder Polyester, pink oder taupe, mal an ein Kondom erinnernd, mal an die Schlümpfe. Dienten Hüte und Mützen früher auch dazu, die Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe zu demonstrieren, ist eine Ansammlung von Menschen heute auch eine Ansammlung von Wolle, egal, ob es kalt ist oder warm, ob sie nun über die Ohren geht oder nicht: Die Mütze ist Massen-Accessoire und Permanent-Frisur zugleich; sie packt einen ein, versteckt und macht zugleich sichtbar, entfernt einen ein Stückchen von dieser kalten Welt. Und wenn es jetzt wirklich wieder richtig kalt wird, dann ist sie sogar sinnvoll. Im klassischen Sinne jetzt.
Die Mütze: Traditionelle Kopfbedeckung aus Wolle, Baumwolle oder Mischgewebe mit lächerlich kugelförmigem Posament am Giebel. Modische Weiterentwicklung der bereits für das Bergbauwesen der Eisenzeit nachgewiesenen Zipfelmütze. Auch als Pudelmütze oder Plümmelhaube mit Bolle, Boppel oder Pompon bekannt. Optisch gefährlich verwandt mit der Narrenkappe. Fällt einmal der Bommel ab, so bleibt nur ein Stummel übrig (Baskenmütze). Wird getragen von: Tom Gerhardt, Grünen-Abgeordneten, italienischen Infanteristen, Maria Höfl-Riesch, Dolly Buster, Onkel Fritz und dem Engel mit der Pudelmütze. Taucht meist eher im privaten sowie sportlichen Kontext auf. Auf Vernissagen, Empfängen und Wirtschaftsgipfeln werden Bommelmützen gerne gemieden. Sieht aus wie: Die kleine Claudia möchte bitte aus dem Kinderparadies abgeholt werden. Aber kein Problem: Ein wenig Grütze unter der Mütze ist schließlich auch was nütze.
Von Martin Zips
Die Mütze: Sitzt selten eng, schlabbert eher auf und hinter dem Kopf herum, weil sie dem Schädel Luft nach oben lässt. Ähnelt der Bommelmütze, hat aber keinen Bommel. Sie ist die Jogginghose unter den Mützen, wer sie trägt, verliert die Kontrolle über sein Haar: Die Beanie macht einfach alles platt. Wird getragen von: Den Schlümpfen. Und von Skatern, im ursprünglichen Sinne. Heute aber auch vom Anzugträger im Winter bis zum Surfer im Sommer. Oder von Kostümträgerinnen und Surferinnen - ein klassisches Unisex-Ding eben. Die Beanie ist die meist getragene Mütze, ob in Fußgängerzonen oder geschlossenen Räumen. Zu viele Haare, zu wenig Haare, schöne Frisur, missglückte Frisur, egal. Passt auch auf Köpfe, die weder Kappen- noch Hutkopf sind. Im Mainstream verankert, ohne Luft nach oben. Sieht aus wie: Eine zu groß geratene Bohne (engl. "Bean", daher ihr Name). Oder wie ein zu klein geratener Sack aus Wolle, der seines Trägers Kopf verschlingt.
Von Max Sprick
Die Mütze: Ist eigentlich nur eine halbe Mütze, oder vielleicht sogar nur zu 25 Prozent. Macht nichts, denn das Kopfband hat den Vorteil, dass es die Haare nicht an den Hinterkopf klatscht und dennoch verhindert, dass der Wind in die Ohren bläst. Trotz seiner wärmenden Funktion ist das Kopfband eher die spirituelle Tante von Haarreif, Diadem und Blumenkranz als eine Verwandte der Zipfelmütze. Wird getragen von: Mädchen und jungen Frauen. Wer sich am Morgen eine halbe Stunde die Haare glättet, hat keine Lust, sich von einer Mütze die Schau stehlen zu lassen. Männer tragen das Kopfband nur in Rocky-Manier vorne über die Stirn gezogen. Bei Joggern, egal welchen Geschlechts, lässt sich nicht sagen, ob sie das Kopfband zum Wärmen oder zum Schweißaufsaugen übergestreift haben. Sieht aus wie: Im besten Fall Brigitte Bardot mit ihrem fabulös voluminösen Haarhinterkopf. Im schlechteren Fall: wie aus einem Achtzigerjahre-Aerobic-Video entflohen.
Von Magdalena Pulz
Die Mütze: Wärmender Kopfschutz mit meist herunterklappbaren Ohren-, Nacken-, Wangen-, Kinn- und Stirnklappen aus Kaninchenfell, Schafwolle oder (hochwertig) Nerz- sowie Zobelfell. In Russland seit dem Zweiten Weltkrieg als Uschanka geschätzt. Nachfolgemodell der Koltschakowka und Budjonowka. Einst mit rotem Email-Stern geschmückt (lies: Emaiiiil, nicht Iiimäil). Beliebt auch bei Kasachen, Mongolen, Finnen, Kanadiern und Chinesen. Wird getragen von: Stalinisten, Rappern, Oligarchen, Ötzi, Fritz Pleitgen, Erich Honecker und Dolly Buster. Bestandteil der Winteruniform deutscher Polizisten. Bei Angehörigen der russischen Armee darf sich die Unterkante der Pelzmütze nicht mehr als vier Zentimeter über den Augenbrauen des Soldaten befinden. Sieht aus wie: Einer, der sich "zum Affen" macht, befand 2011 ein Vertreter der Gewerkschaft der deutschen Polizei. In Russland hat man seine Äußerung bis heute nicht vergessen.
Von Martin Zips
Die Mütze: Sitzt nicht fest auf dem Kopf, sondern ist nur von hinten aufgelegt. Die Kapuze ist ein Mehrfachtäter: Man findet sie an Jacken, Regenmänteln, Pullovern, Sweatshirts, Westen und Mänteln, mit plüschigen Fellkragen, aufgenähten Panda-Ohren oder Zuziehband. Im Gegensatz zum klassischen Mützenmodell muss man sie nicht morgens in einem Haufen aus Schals und einzelnen Handschuhen suchen. Wird getragen von: Ausnahmslos allen - zumindest daheim, wo es keiner sieht. Vermutlich findet man sogar ganz hinten im Schrank der Queen einen kuscheligen Kapuzenpulli im übergroßen Boyfriend- beziehungsweise Prinz-Philip-Style. Es ist eben das richtige Outfit für relaxte Kaminfeuer-Abende, gerade im Buckingham Palace. Sieht aus wie: Die personifizierte Gemütlichkeit mit einem Hauch von Gangsta-Rap. Spätestens jedoch seit Dieter Bohlen sich öffentlich im "Hoodie" zeigt, weiß man: Die Kapuze hat schon lange ihren Zenit überschritten.
Von Magdalena Pulz
Die Mütze: Ein gestrickter Klassiker. Wird allerdings nicht über die Ohren gezogen, sondern lässt diese frei (sehr sinnvoll im Winter). Verdankt ihre Beliebtheit dem französischen Meeresforscher Jacques Cousteau, der stets ein rotes Exemplar trug.Wird getragen von: Hipstern, die diese Mütze souverän durch den Urban Jungle balancieren. Natürlich ironisch und so weit oberhalb der Ohren, dass sie Jacques Cousteau auf dem stürmischen Ozean glatt vom Kopf geflogen wäre. Die Botschaft: Was ihr hier seht, ist nur die Spitze des Eisbergs. Eigentlich bin ich viel tiefschichtiger. Bis die Mainstream-Mützenträger an der Haltestelle endlich verstehen, was das Woll-Ding für einen Sinn hat (das wertvolle Gehirn schützen, was sonst!), haben sie längst ihre Tram verpasst. Sieht aus wie: Ein Kondom, das man nicht ganz abgezogen hat. Der Albernheitsfaktor variiert je nach Größe der Ohren. Aber hey, genau darum geht es ja. Ironie, verstehste - zwinker!?!
Von Violetta Simon
Die Mütze: Der Fischerhut sieht aus wie die Kinderzeichnung eines Hutes, Kopfteil mit Krempe. Auf Englisch heißt er übrigens "bucket hat", Eimerhut - was der Wahrheit sehr nahe kommt. Wird getragen von: Anglern und Über-Hipstern, denen die Cousteau-Mütze zu sehr 2017 ist. Die einen wollen sich vor Sonne und Regen schützen, die anderen so cool sein wie Jérôme Boateng und Rihanna. Wer sich bei der Unterscheidung schwertut, sollte nach einer Angel und Blinkern Ausschau halten, dann handelt es sich beim Träger höchstwahrscheinlich um einen Angler. Wenn am Hut dagegen ein Fendi-Preisschild baumelt (520 Euro) oder der Hut farblich zur Handtasche passt, steckt ein Hipster drin. Sieht aus wie: Begossener Pudel. Der Fischerhut steht einfach niemandem und das ist auch das, was ihn zuletzt so populär gemacht hat: Er ist die letzte modische Provokation der Welt. Die Frage lautet nicht: Wem steht er besser? Sondern: Wem steht er am wenigsten schlecht?
Von Nora Reinhardt
Die Mütze: Ein unsichtbares (im Modejargon: transparentes) Etwas, das leider noch nicht im Onlinehandel verfügbar ist. Jeff Bezos arbeitet aber wohl schon an einer Lösung, auch immaterielle Gegenstände auf Amazon für viel Geld zu verkaufen. Wird getragen von: Konsumkritikern, für die jeder Besitz - abgesehen von Axt und Apple-Geräten - blanker Hohn ist. Oder Menschen, die so viele Haare auf dem Haupt sitzen haben, dass ihnen die Mütze sowieso immer wegfliegt. Oder eitlen Personen mit nicht ganz so viel Haar, das morgens ehrgeizig auftoupiert wurde und nicht von irgendeinem Polyester-Ungetüm platt gedrückt werden soll. Oder Leuten, die ihre Mütze im Haufen aus Schals und einzelnen Handschuhen nicht gefunden haben. Sieht aus wie: Ein Anblick aus vergangenen Zeiten, in denen man noch ohne Neon-Turnschuhe, Mütze und Silicon-Valley-Gestus zur Arbeit gehen konnte. Kurzum: der Nudist unter den nicht vorhandenen Kopfbedeckungen.
Von Friederike-Zoe Grasshoff