Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Eigener Herd":Unterschätze Vitaminpillen

Trauben sind nicht nur gut zum Weinmachen. Roh sind die Beeren ein gesundes Obst - und gebraten oder geschmort eine besondere Zutat in herzhaften Gerichten.

Von Titus Arnu

Wenn Liebe deutlich spürbar, aber nicht greifbar ist, drehen selbst geduldige Menschen irgendwann mal durch. Besonders, wenn Alkohol im Spiel ist. "Schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann", schrieb Kurt Tucholsky. War der Autor unglücklich verliebt in Rot- oder Weißwein? Möglich. Der Wein und die Liebe haben ja tatsächlich einige Gemeinsamkeiten: Am Anfang Reiz und Rauschzustand, später dann so ein warmes Grundgefühl im Bauch, das sich aber auch durch komplizierte biochemische Vorgänge in einen faden Nachgeschmack und schlimmstenfalls einen Kater verwandeln kann. Nicht zufällig werden Ex-Partner und -Partnerinnen "Verflossene" genannt.

Man muss kein Psycho- oder Önologe sein, um Tucholsky zu widerlegen. Doch, man kann Wein streicheln! Zwar nicht im flüssigen und vergorenen Zustand, sondern in seiner Ursprungsform als Traube. Orthodoxe Weinliebhaber behaupten, es sei Verschwendung, Weinbeeren nicht zu keltern und stattdessen roh zu verzehren. Aber die Vorteile liegen hübsch auf der Hand: 1. kein Glas nötig, 2. Streicheln ist möglich, 3. kein Kater. Okay, dafür auch kein Rausch.

Dass ein paar Gläser Wein täglich gut sind für die Gesundheit, ist ein Mythos und durch mehrere Studien widerlegt. Rotwein enthält zwar Polyphenole, die zu den zellschützenden Antioxidantien zählen. Diese Sekundärpflanzenstoffe sind aber vor allem in den unverarbeiteten Trauben (und in vielen anderen Obst- und Gemüsesorten) enthalten. Wer also den Alkoholkonsum minimiert und den Konsum von Trauben und anderem Obst maximiert, tut wirklich etwas für die Gesundheit. Schon der griechische Arzt Hippokrates erkannte: Das erste Glas Wein ist für die Gesundheit, das zweite Glas für die Fröhlichkeit, das dritte für den guten Schlaf - und jedes weitere Glas ist eine Gefahr.

Die Heilkräfte der Trauben dagegen wurden schon in der Antike gelobt. Unreife sollten bei Halsschmerzen helfen, Rosinen bei Tuberkulose und Verstopfung. Reife Trauben galten als Mittel gegen Cholera, Pocken, Übelkeit, Haut- und Augeninfektionen sowie Nieren- und Lebererkrankungen. Heute weiß man, dass die meisten gesunden Stoffe sich in den Traubenkernen befinden.

Weintrauben sind appetitliche Vitaminpillen, die man schnell zwischendurch einwerfen kann. Die Traube ist, nach Äpfeln und Bananen, das drittbeliebteste Obst der Deutschen, noch vor Erdbeeren. Von Juni bis in den Herbst kommen die meisten Trauben aus Südeuropa, sonst aus Chile oder Südafrika. Hauptsaison ist September bis November. Der Großteil geht ganz in Tucholskys Sinne in die Wein- und Sektproduktion, ein kleinerer Teil wird als Tafeltrauben verzehrt, der Rest getrocknet und als Rosinen, Korinthen oder Sultaninen verkauft.

Trauben gelten längst als Superfood, aber beim Kochen werden sie unterschätzt

Neuerdings werden Weintrauben sogar als Superfood gehandelt, weil sie so viele Ballast- und Nährstoffe, Vitamine, Magnesium und Kalium enthalten. Immer noch unterschätzt aber wird ihre Eignung für süß-salzige bis herzhafte Gerichte. Gerade in Kombination mit Nüssen, Gemüse und Käse kommt die Säure der Traube gut zur Geltung, etwa in einem Salat mit Roter Bete, Schafskäse, Meerrettich und Walnüssen.

Trauben kann man übrigens nicht nur flüssig als Wein oder im Rohzustand zu sich nehmen, man kann sie, Überraschung, auch braten oder kochen. Risotto- und Pasta-Gerichten verleihen sie eine frische Note, sehr gut passen geschmorte Trauben auch zu Wild und gebratenem Fisch. Süße, Säure und herzhafte Noten harmonieren in einem originellen Rezept, das sich schnell und einfach umsetzen lässt: Gnocchi mit Trauben, Nüssen und Gorgonzola.

Dafür 50 g Butter in einer Pfanne schmelzen. 300 g Trauben (am besten Muskateller oder eine kleine rote Sorte) zugeben und kurz schmoren, bis sie weich, aber nicht schrumpelig sind. Herausnehmen und für später zur Seite stellen. Eine Knoblauchzehe hacken, mit schwarzem Pfeffer andünsten. Mit 100 ml Sahne aufgießen, 250 g Gorgonzola einrühren und schmelzen lassen. Gnocchi in Salzwasser garen, zusammen mit den Trauben zur Sauce in die Pfanne geben. Je nach Konsistenz der Sauce etwas Kochwasser zugeben. Eine Handvoll gehackter Haselnüsse in einer Pfanne ohne Fett anrösten und über die Gnocchi streuen. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und mit geriebenem Parmesan finalisieren. Dazu ein schönes Glas Wein - und man möchte nur noch dasitzen, Tucholsky-Gedichte deklamieren und irgendwas oder irgendwen streicheln.

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