Für Fußballfreunde ist die Sache klar: Ohne eine gute Nummer 6 im Spiel kann man keine Champions League, keine EM und erst recht keine WM gewinnen. Die Qualitäten von Hacki Wimmer, Jens Jeremies (ein Weinfreund übrigens) und Sami Khedira beschreibt die Fachwelt mit Worten wie "unauffällig", "ohne Allüren" und "vielseitig einsetzbar". Qualitäten zwar, aber zum echten Star taugen sie nicht.
Man entdeckt sie nur bei genauem Hinsehen. Oder im Fall der Nummer 6 der Rebsorten, beim Weißburgunder, nur beim genauen Hineinriechen und Schmecken. Diese Rebsorte drängt sich nie in den Vordergrund wie etwa der Sauvignon blanc mit seiner vordergründigen Arroganz und den Primäraromen, die aus großflächigen Maracuja-und Limettenplantagen gespeist erscheinen. Der Weißburgunder kann nicht angeben mit einer unendlichen Fähigkeit zur Reife wie die deutsche Paraderebsorte, der Riesling, für den Jahrzehnte im Keller nur Fußnoten der Alterung sind. Er bringt Kenner nicht um den Verstand wie ein großer Chardonnay aus dem Burgund, der zugleich die Kreditkarte zum Schmelzen bringt. In der Familie der Burgunderrebsorten führt er neben dem Chardonnay (auch eine Burgundersorte), dem Pinot Grigio und dem großartigen roten Spätburgunder (Pinot Noir) ein randständiges Dasein, zusammen mit seinen ebenfalls stillen Verwandten, dem roten Schwarzriesling und dem weißen Auxerrois.
Die Klimaveränderung in unseren Breitengraden kann ihm wenig anhaben. Da der Weißburgunder nicht zu hohen Mostgewichten neigt, steckt er starke Sonneneinstrahlung und hohe Temperaturen gut weg ohne zur fetten Alkoholbombe zu werden. In der Startelf der großen Rebsorten war Weißburgunder nicht von Beginn an zu finden. Erst nach und nach erkannten die Weinmacher, was sie an ihm haben. "Eigentlich stand bei uns der Grauburgunder im Vordergrund mit seiner Sahnigkeit", gibt der badische Winzer Joachim Heger aus Ihringen am Kaiserstuhl zu. Das überrascht nicht, schließlich ist diese Rebsorte ein Teil des deutschen Weinwunders der vergangenen Jahre. Sie löste mit substantiellen Weinen die dünnen Wässerchen aus dem Veneto ab, deren italienischen Namen man unfallfrei und lässig ("Pino Grietscho") aussprechen konnte. "Der Grauburgunder ist ein Kraftprotz, der Weißburgunder hingegen ein Tänzer." Mittlerweile bietet Heger (Lieblingsessen dazu: getrüffelte Poularde) sieben verschiedene Tanzpartner an. Einige davon sind im Stahl ausgebaut um die fruchtigen Anklänge an gelbe Früchte wie Mirabellen und Aprikosen zu betonen. Andere reifen im alten Holz oder auch in neuen Barriques und gewinnen dadurch eine milde Textur und diese Noten nach Vanille, Brioche oder frischer Brotkruste, die viele Weintrinker so sehr am Weißburgunder schätzen. Es gibt nicht viele Rebsorten, die in solch verschiedenen Kleidern immer wieder so gut aussehen.
Eine weitere Qualität des Weißburgunders ist, dass er sich der Spielsituation am Tisch problemlos anpassen kann. Ausgestattet mit einer moderaten Säure und Primäraromen, die nicht vorlaut daherkommen, spielt er den Doppelpass mit gedünstetem Fisch und Krustentieren ebenso wie mit Kalb und Pilzgerichten. "Er ist nicht prätentiös, sondern dient immer dem Essen", sagt der fränkische Winzer Paul Fürst aus Bürgstadt (Lieblingsessen dazu: Pasta mit Steinpilzen), der die Rebe auf Buntsandsteinboden in der berühmten Lage "Centgrafenberg" gepflanzt hat. Fürst hätte es mit seinen Spätburgundern, die zur absoluten Weltklasse gehören, nicht mehr nötig, sich dem Weißburgunder zu widmen. Er traut genau dieser Rebsorte allerdings eine ganz große Karriere zu, überlässt deshalb seinem Sohn Sebastian die großen Roten und arbeitet selbst an zwei verschiedenen Stilrichtungen. "Der Weißburgunder geht auf deutsch und auf burgundisch", sagt er und meint damit den Ausbau im Stahl bei dem er dem Wein ("pur mineral") die Frische, Anklänge an gelbe Steinfrüchte und zitrische Noten mitgibt. Mit dem Holzkontakt und der "malolaktischen" Gärung bei der die spitzere Apfelsäure in die mildere Milchsäure umgewandelt wird, gelingen ihm Weine, die in die nussige Richtung gehen, einen Anklang von Limette haben auf dem Weg ins Butterkaramell (siehe Empfehlung). Fürst sieht den Weißburgunder in einer ganz eigenen Liga, die in Deutschland seiner Meinung nach nicht so oft gespielt werde: "Er könnte nach dem Riesling der zweite Türöffner für Weißweine aus unserem Land in der Welt werden."
In der Tat, wenn man nur einen einzigen Weißwein auf Vorrat haben möchte, der ohne größeres Nachdenken zu fast jedem Gericht funktionieren soll, dann ist der Weißburgunder sicherlich eine sehr gute Wahl. "Passt immer" - genau diese "Eigenschaft" sieht Hansjörg Rebholz aus dem südpfälzischen Siebeldingen (Lieblingsessen dazu: Wildgeflügel) als durchaus hinderlich für die Bildung einer eigenen Identität für diese Rebsorte an. Die hat sich der verwandte Chardonnay schon längst weltweit erobert. Rebholz, der biodynamischen Weinbau betreibt, geht mit seinen Weißburgundern einen ganz eigenen Weg. Er baut sie auf Muschelkalkböden an und ausschließlich im Stahltank aus. Sie sehen niemals Holz. Sein Ziel ist klar: Feinheit und Mineralität, das Spiel zwischen diskreter Salzigkeit und Säure eben. Dies hat Auswirkungen beim Trinkgenuss sagt der Winzer, der mit seinem Weingut "Ökonomierat Rebholz" beim Weißburgunder in Deutschland vorne mit dabei ist: "Da hat man noch lange etwas im Mund, auch wenn man den Wein schon geschluckt hat."
Vorteile also auf allen Ebenen. Kein Wunder, dass die Rebsorte auch in Frankreich (Pinot blanc), Italien (Pinot Bianco) und Österreich vertreten ist. Bei uns gibt es sie in jedem der 13 Anbaugebiete. Spitzenreiter ist Baden, gefolgt von der Pfalz und Rheinhessen. Deutschland ist mit 4973 Hektar mittlerweile zur Nummer eins in der Welt aufgestiegen, was die Fläche angeht. Trotzdem kam bis vor Kurzem keine Region auf die Idee, sich den Orden "Weißburgunder-Land" ans Revers heften.
Erst auf die visionäre Anregung von Otto Geisel (Lieblingsessen dazu: lauwarme Meeresfrüchte), dem ersten vereidigten Sachverständigen für Wein in Deutschland, haben sich im vergangenen Jahr die Regionen Kraichgau (im Fußball verortet durch den Bundesligisten TSG Hoffenheim) und die Badische Bergstraße zusammengetan um die "Weiße Burgunder Charta" ins Leben zu rufen. 15 Weingüter verpflichten sich darin, ihre "Charta-Weine" nur noch von Hand zu lesen und ausschließlich trocken auszubauen. So wollen sie diese Rebsorte erkennbar auf die Landkarte bringen, an der Otto Geisel schätzt, dass "sie eine Bühne für ambitionierte Winzer bietet, wie kaum andere Sorte." Fußballerisch gesehen, könnte also aus der unauffälligen Nummer 6 bald ein strahlender Matchwinner werden - mit meist moderaten Ablösesummen für die Weinfreude.