Süddeutsche Zeitung

Wein:Glückliche Lage

Früher dachten bei Frankenwein viele noch an schwachbrüstige Tropfen und Bocksbeutelzecher. Diese Zeiten sind vorbei.

Von Patricia Bröhm

"Unser Elefantenbaby", so nennt Rainer Sauer liebevoll das graue Ungetüm aus Beton, das mitten im alten Gewölbekeller seines Weinguts steht. Und auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht: Zwischen all den Stahltanks, in denen der Escherndorfer Winzer seine besten Silvaner-Trauben ausbaut, ist das Beton-Ei mit 900 Liter Fassungsvermögen so etwas wie der Star. "Ab Ovo", aus dem Ei, so heißt der Wein, der in dem für deutsche Winzer noch ungewöhnlichen Werkstoff heranreift. Sauer und sein Sohn Daniel, die das Weingut gemeinsam führen, zählten 2008 zu den ersten deutschen Winzern, die sich an die neue Ausbauform heranwagten. Was aber macht der Beton mit dem Wein? "Beton ist ein poröses Material", sagt Sauer. "Durch den Luftaustausch kommt Sauerstoff an den Wein, ähnlich wie beim Holzfass, aber ohne die Holznoten. Das Ei beeinflusst vor allem die Struktur des Weins, weniger den Geschmack. Und es verleiht ihm gutes Reifepotenzial." Der "Ab Ovo" ist ein Wein von erstaunlicher Länge, der am Gaumen deutlich nachwirkt, ein mineralischer Silvaner mit feiner Kräuterwürze, wie er typisch für das Weingut Sauer ist.

Am Pfingstwochenende haben die Sauers alle Escherndorfer in ihr Gut eingeladen, um ihnen die ultramoderne Vinothek zu zeigen, die sie in ihr Natursteinhaus von 1890 gebaut haben. Die Architektur ist augenfälliges Symbol für das neue Denken im fränkischen Weinbau. Hatte die Region in den 90er-Jahren den Anschluss ein wenig verpasst, so zeigt man spätestens seit dem Jahrgang 2003, welche Qualitäten hier möglich sind.

Durch die Fenster blickt man auf den Escherndorfer Lump. Es ist eine der großartigsten Weinlagen Deutschlands, ein majestätischer Steilhang, der sich über 37 Hektar ausbreitet und die 370-Seelen-Gemeinde Escherndorf dominiert. Reine Südlage, sprichwörtlich von der Sonne verwöhnt, beste Muschelkalkböden. In jeder anderen deutschen Weinregion wäre eine solche Top-Lage mit Riesling bestückt. Im Lump aber wächst zu über 50 Prozent Silvaner. "Jedes Gebiet braucht ein Profil", sagt Rainer Sauer. "Wir wollen zeigen, dass der Silvaner vom unkomplizierten Trinkgenuss bis zu Spitzenqualitäten alles liefert." Schmeckbarer Beweis ist sein Silvaner "L" von 2008, ein noch immer sehr präsenter Weißwein, der nach Honig duftet und am Gaumen eine Ahnung von getrockneten Aprikosen entfaltet, wie sie charakteristisch ist für gereifte Weine aus dem Lump.

Wie bei den Sauers macht sich in vielen Weingütern Frankens eine junge, bestens ausgebildete Generation daran, die Arbeit der Väter fortzuführen. Das Bild von bocksbeutelseligen Eichenholzweinstuben und schwachbrüstigen Zechweinen sitzt zwar noch fest in den Köpfen von vielen Konsumenten und auch von manchem Weinkritiker. Gerade in München, das sich gerne als nördlichste Stadt Italiens feiert, zeigte man den Winzern aus dem eigenen Bundesland lange die kalte Schulter und orderte gewohnheitsmäßig einen Lugana oder Pinot "Gritscho".

Das aber ändert sich gerade. Mit dem Restaurant am Alten Hof und dem Genussfestival am Odeonsplatz hat fränkische Weinkultur mitten in der Landeshauptstadt Fuß gefasst. Und auch Münchner Spitzensommeliers haben die Region längst für sich entdeckt. Stéphane Thuriot, Sommelier des Restaurants Königshof, erweiterte die legendäre Weinkarte des Hauses jüngst um eine ganze Seite Frankenweine, darunter auch landläufig weniger bekannte Namen wie das Randersackerer Weingut Störrlein & Krenig oder den Escherndorfer Michael Fröhlich, der oft im Schatten seiner berühmten Ortskollegen Horst Sauer und Rainer Sauer (nicht verwandt oder verschwägert) steht.

Profis wie Thuriot schätzen die Region übrigens nicht nur für ihre Silvaner. Zwischen Mainviereck und Steigerwald gedeihen auch spannende Rieslinge, die Scheurebe ist eine Alternative zum international so beliebten Sauvignon Blanc, die Spätburgunder gewinnen an Profil, und selbst dem Müller-Thurgau, noch immer die meistangebaute Rebe in Franken, verleihen engagierte Winzer neue Identität. Den größten Ehrgeiz aber setzt man in den Silvaner. Zu den Winzern, welche die Qualitätsoffensive anstießen, zählen auch die Brüder Wolfgang und Ulrich Luckert. Der Zehnthof Luckert - der Name stammt noch aus jener Zeit, als jeder Bauer den zehnten Teil seiner Ernte an die Würzburger Erzbischöfe abgeben musste - liegt im Dörfchen Sulzfeld, einer kopfsteingepflasterten Idylle. Auch im ökologisch zertifizierten Weingut der Luckerts steht der Silvaner im Mittelpunkt, allen voran eine echte Spezialität: "Weiß der Himmel, was dieser Weinberg schon alles erlebt hat", sagt Wolfgang Luckert über seinen Weinberg Creutz, der mitten im Dorf liegt und anno 1870 mit Silvanerreben bepflanzt wurde. Eine vinologische Antiquität, mit hoher Wahrscheinlichkeit sind es die ältesten Silvanerreben weltweit.

"Man muss viel Zeit und Liebe in solche alten Gewächse stecken", sagt Luckert. Während man im industrialisierten Hochleistungsweinbau aus einem Stock ein bis zwei Flaschen Wein gewinnt, ringt er hier vier bis fünf Rebstöcken gerade mal eine Flasche ab - die Senioren liefern nur noch wenig Ertrag. Aber was für ein Wein! Füllig, voller Intensität, am Gaumen lange nachhallend, mal mit Aromen von Wiesenkräutern, mal schmeckt das Mineralische vor. Wie viele große Weine entfaltet der Sylvaner Creutz bei jedem Schluck neue Facetten. "Franken hat einfach großartige Lagen und geniale Böden", erklärt Luckert.

Sie entstanden vor 230 Millionen Jahren, im Trias: vom Buntsandstein in Tauberfranken über den Muschelkalk rund um Würzburg bis zum Keuper im Steigerwald. Vor allem die jungen Winzer erkennen heute den Wert dieses Terroirs. "Ich bin ein Geologie-Freak", sagt zum Beispiel Markus Schmachtenberger aus Randersacker, der das Weingut seiner Familie in zwölfter Generation übernommen hat und mit seinem günstigen Preis-Leistungs-Verhältnis noch als Geheimtipp gelten kann. Der 35-Jährige steht in seinem Weinberg Sonnenstuhl und schaut auf den Main, der sich tief unten durch die Landschaft windet. Man kann von hier oben sehr gut erkennen, wie der Fluss einst die Region geformt hat, wie er sich seinen Weg bahnte und dabei die Steilhänge auftürmte, die dem Wein ihren Charakter verleihen. Am Wasser entlang reihen sich die besten Lagen von Randersacker: Teufelskeller, Pfülben, Marsberg und Sonnenstuhl.

"Wir haben hier ein enormes Lagenpotenzial", sagt der Winzer, "das will ich ausschöpfen." Wie deutlich man aus dem Wein herausschmecken kann, wo er wuchs, zeigt sich, wenn man zwei Silvaner aus den Lagen Marsberg und Sonnenstuhl im Glas hat. Der Sonnenstuhl gibt sich am Gaumen rund und beinahe opulent, er füllt den Mund mit den für viele Silvaner typischen Aromen von gelben Steinfrüchten wie Pfirsich und Aprikose. Eine ganz andere Ausprägung der Rebsorte zeigt der Marsberg: Er ist viel schlanker, entfaltet am Gaumen viel Kräuterwürze, fast meint man eine zartbittere Note auszumachen.

Seinen Böden zuliebe hat Markus Schmachtenberger beschlossen, auf Herbizide zu verzichten: "Für mich ist das eine Todsünde, weil dadurch die Mikroorganismen im Boden zerstört werden, die doch die Grundlage für den Charakter der Weine bilden." Auch Christian Müller empfindet "vor allem Andacht", wenn er in seiner besten Lage, dem Volkacher Ratsherrn, steht. Wahrscheinlich kann man nicht anders, wenn man in einem Haus von 1692 aufgewachsen ist, in dem noch die Originalholzböden knarzen und die Stuckdecken von der Lebensart der Würzburger Erzbischöfe erzählen. Das barocke Gebäude im Herzen der Weinbaugemeinde Volkach ist Sitz des Weinguts Max Müller I.

Doch bei aller Achtung vor der Tradition geht der 28-jährige Juniorchef auch seine eigenen Wege: "Früher waren viele Silvaner ein bisschen brav und vor allem trinkig. Ich will neue Ecken ausloten, wie man die Rebsorte interpretieren kann." Trauben aus seinen besten Lagen baut er deshalb im kleinen Holzfass aus: "Ich möchte zeigen, dass der Silvaner auch das verkraftet." Der Vater war zunächst gegen den Ausbau im Holz, heute ist er stolz auf den Wein "Eigenart", intensiv und voller Schmelz, mit feinen Röstnoten und Aromen von gelben Früchten.

Der Frankenwein schließt an große Traditionen an und an jene Zeit, als Kurt Tucholsky 1927 mit seinen Freunden Jakopp und Karlchen die Region durchwanderte und diesem Wein ein schönes literarisches Denkmal setzte: "Als wir das erste Glas getrunken hatten, wurden wir ganz still. Ein 21er, tief wie ein Glockenton, das ganz große Glück. (Säuferpoesie, Säuferleber, die Enthaltsamkeitsbewegung - Sie sollten, junger Freund . . . ) Das ganz große Glück. . . . Man wurde ganz gerührt; schade, dass man einen Wein nicht streicheln kann."

Das Glück ist ins sonnige Franken zurückgekehrt. Und wie ernst es Christian Müller mit der fränkischen Traditionsrebsorte Silvaner ist, zeigt auch ein Blick auf seinen Unterarm. Dort prangt ein Tattoo, das wie ein Mantra für das neue Franken klingt: Main Silvaner rockt.

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Quelle:
SZ vom 06.06.2015
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