Süddeutsche Zeitung

Wein:Das Trollinger-Dilemma

Sein Ruf als Saufwein lässt Qualitätswinzer zweifeln. Andere forcieren die Zeitenwende des Rotweins, wollen ihm Charakter, Tiefe und Niveau verleihen. Was also tun mit dem Trollinger?

Von Patrick Bauer

Würde man Rebsorten nach ihren Widersprüchen beurteilen, dann hätte der Trollinger reihenweise Preise verdient. Er steht auf den besten Hanglagen Württembergs, braucht viel Sonne und nährstoffreiche Böden. Eine anspruchsvolle Diva, die Arbeit macht: Die Beeren reifen spät und sind groß, die Häute, in denen der Geschmack sitzt, sind dünn. Die Rebe ist empfindlich gegen Kälte und pilzanfällig. Dafür liefert sie große Erträge. Sie ist die Cashcow vieler Winzer im Südwesten. Etwa 20 Prozent der Anbaufläche in Württemberg sind mit Trollinger belegt. Im Glas entpuppt sich die Diva aus bester Lage dann als einfacher Trinkwein, der Inbegriff des schwäbischen Viertele. Man liebt den Trollinger. Er hat Tradition. Doch man achtet ihn nicht. Als Tafeltraube ist er unter dem Namen "Black Hamburg" in aller Welt bekannt. Böse Zungen behaupten daher, der Obststand, nicht die Flasche sei seine wahre Bestimmung.

Vor allem ambitionierte Winzer stellen die Widersprüche vor ein Dilemma: Sollen sie den Trollinger austauschen gegen qualitativ Vielversprechenderes oder sollen sie versuchen, ihn weiterzuentwickeln?

Manche Weingüter wie Dautel aus Bönnigheim beantworten diese Frage damit, dass sie die Trollinger-Fläche stark reduzieren, auf zuletzt einen halben Hektar. Stattdessen wachsen auf den Lagen jetzt Riesling und Lemberger, Rebsorten mit Potenzial. Der Grund sei einfach, sagt Ernst Dautel: "Der Trollinger ist eine regionale Spezialität, ein leichter Vesperwein." Man schätze die Tradition, "aber mit dieser Rebsorte werden wir unsere Region nicht weltweit an die Spitze bringen".

Und dann gibt es Winzer, die gerade dabei sind zu versuchen, so etwas wie eine Zeitenwende für den Trollinger einzuläuten. Sie wollen Charakter, Tiefe und Niveau. Dafür kitzeln sie alles aus der Sorte raus. Zu ihnen gehört Markus Drautz vom Weingut Drautz-Able. Er setzt einerseits weiter auf den Klassiker: Trollinger, trocken. Ein frischer und saftiger Gutswein, eine kräftige Alternative zum Rosé oder gute Basis für rote Weinschorle. Drautz findet: "Der Trollinger spiegelt unsere Mentalität wider. Wir waren früher Händler und Bauern, schlichte Menschen, schlichter Wein." Das meint er durchaus positiv. Er mag diesen Wein, der immer passt. Gekühlt zu Wurstsalat, Spätzle mit Linsen und Saitenwürstchen oder eben zur einfachen Vesper.

Aber der Winzer hat da noch einen anderen Trollinger, mit rotem Etikett, den "Drei Tauben". Die drei Tauben bekommen bei Drautz nur harmonische, kräftige Weine. Er liebt große Rotweine, Syrah, Zinfandel, Primitivo. Warum den Trollinger nicht mal genauso behandeln? 2008 fing der Winzer an, im Weinberg zu reduzieren, weniger Trauben, weniger Ertrag, mehr Kraft in der einzelnen Beere. Offene Maischegärung. Ausgebaut im kleinen Holz, in älteren Fässern. "Das ist unser Versuch aus dem Trollinger einen richtigen Rotwein zu machen", erklärt Markus Drautz. "Sei nicht so bescheiden, das ist ein richtiger Rotwein", sagt seine Mutter Monika.

Den "Drei Tauben 2014" hat Drautz vor der Gärung leicht angereichert, das verleiht ihm Kraft und 13 Prozent Alkohol. Bei einem Wein, der sonst nebenbei weggetrunken würde, schmeckt man plötzlich Wildkirsche und Johannisbeere. Seine frische Frucht erinnert nun an die von Pinot, und sie harmoniert wunderbar mit den würzigen Gerbstoffen im langen Abgang. Ein Wein, der zwar sortentypisch, nur eben viel kräftiger daherkommt. Einer, den man ernst nehmen sollte. Bleibt nur eine Frage: Passt das zum Image der Sorte?

"Ich will nicht die halbtrockene Plörre verkaufen, die hier überall gemacht wird"

"Viel kann man davon nicht verkaufen", sagt Markus Drautz. Über die Region hinaus hat Trollinger keinen guten Ruf, in der Region hingegen ist der "Drei Tauben" mit knapp elf Euro den meisten zu teuer. Das sei okay, sagt Drautz. Er wollte eine Spezialität schaffen. "Man kann beim Trollinger Herkunft zeigen, er reagiert gut auf den Boden, aber es bleibt in der Masse ein Sauf- und Zechwein."

Dieses Dilemma werden ein paar Winzer allein schwer lösen können. Württemberg ist gefangen in der Tradition. In den Achtzigerjahren wuchs der Markt für Trollinger, Winzer kauften sogar Trauben aus Südtirol zu. Immer mehr Zechwein wurde produziert, die Weinberge auf Masse getrimmt. Daran hat sich bis heute wenig geändert. Aber die Winzer, die plötzlich zeigen, dass man durchaus gute Rotweine mit dem Trollinger produzieren kann, müssen sich nun fragen: Lohnt es sich, mit so einer Rebsorte für einen guten Ruf zu kämpfen?

"Ja", sagt Frank Kayser. Der Winzer, Mitglied im Ökoverband Ecovin, wollte im Grunde nichts zu tun haben mit dem Württemberger Nationalgetränk. Seit 2010 führt er das Weingut Hirth in Obersulm-Willsbach bei Heilbronn. Ein kräftiger Typ, Basecap, T-Shirt, kurze Hose. Sein Auxerrois und sein Chardonnay räumen regelmäßig Preise ab. Er ist schnell ausverkauft. Kayser will große Weine machen, den Charakter der Rebsorte herausarbeiten, "nicht die halbtrockene Plörre in Literflaschen" verkaufen, "die hier größtenteils gemacht wird". Das Weingut Hirth, ist ein moderner, schlichter Betrieb, gelegen in den Weinbergen. Der Keller ist eine gekühlte Halle, kein Gewölbe mit uralter Tradition. "Trotzdem geben wir allem eine gewisse Zeit und Ruhe", sagt Kayser.

Mit diesem Stil machte er die Branche so schnell auf sich aufmerksam, dass der bekannte Weinhändler Lobenberg anrief, ob Frank Kayser nicht einen Trollinger machen könne, einen wie keinen anderen zuvor? 2013 war Kayser so weit. Der Name: "Quod erat demonstrandum" - "was zu beweisen war". Für seinen Qualitätsbeweis hat der Winzer die Erträge von den üblichen 150 Hektoliter pro Hektar auf 60 Hektoliter reduziert. Die Reben sind 20 Jahre alt und wachsen auf einer Steillage mit Südausrichtung. Vier Wochen Maischestandzeit, anschließend in großem und kleinem Holz ausgebaut. Und dann wartet Kayser. Auch sein Trollinger kriegt Ruhe und Zeit.

Ein perfekter Einstieg für alle, die sagen: Ich trinke keinen Rotwein

Ungewöhnlich ist auch der 2014er: die Nase üppig mit Schokolade, roten Früchten und intensiver Würze. Mit 11,5 Prozent nicht zu schwer im Alkohol. Im Geschmack hat er Wucht, bleibt trotzdem frisch und cremig, mit Gerbstoffen auf der Zunge. Ein feiner, edler Trollinger, der sich aber nicht so recht einordnen lässt. Kayser weiß warum: "Trollinger ist nun mal kein richtiger Rotwein." Zu leicht, zu fruchtig, zu hell. Das größte Problem ist der Aufwand. Hirths Trollinger ist mit knapp 20 Euro einer seiner teuersten Weine. Am Ende zahlen das vor allem Weinfreaks für diese Rebsorte. "Aber wenn einige Winzer es schaffen, den Trollinger nach vorne zu bringen, dann ist etwas für die Region getan", glaubt Kayser.

Etwas weiter im Süden, im Remstal, einer der dynamischsten Weinregionen des Landes, arbeitet sich auch Rainer Schnaitmann am Trollinger ab. Als er 1997 sein Weingut gründete, war er binnen Kürze deutschlandweit bekannt. Er inspirierte Mitbewerber und verbesserte Niveau und Verständnis für die roten Burgundersorten in der ganzen Region. Sein "Trollinger Alte Reben" gehört zu den besten im Remstal. Das alles würde Rainer Schnaitmann zum Pionier des Trollingers prädestinieren. Eigentlich. Denn auch er weiß nicht recht, ob sich das lohnt. Natürlich könne die Sorte mehr, als man ihr zutraut, sagt er. Aber Qualität ist harte Arbeit, die Rebsorte habe ihre Grenzen. Und "schlechte Trollinger blockieren in der Gastronomie den Ruf", sagt er. Im Lokal will der Württemberger den Trollinger trinken, wie er ihn kennt, zart fruchtig, frisch, billig. Die Ausdrucksstarken mit Fülle und Tanninstruktur haben in der Gastronomie keine Chance.

Schnaitmann mag den Trollinger reduziert, leicht und saftig. "Er braucht etwas Fruchtnote, er soll nicht nach Holz schmecken und darf nicht überreif sein." Sein "Trollinger Alte Reben 2015", hat zwölf Prozent, lag nur im großen Holz und hat keinen Schwefel in der Flasche gekriegt. "Das würde ihm nur schaden." Wenig Tannine, wenig Farbe, in der Nase intensive Aromen von Pflaume und Kirsche. Tolles Mundgefühl. Leicht erdig, würzig. Geschmeidige Struktur. Ein perfekter Einstieg für alle, die sagen: "Ich trinke keinen Rotwein."

Trotzdem will Schnaitmann in den kommenden Jahren den Trollinger-Anteil reduzieren und lieber Lemberger-Reben auf die Lagen pflanzen. "Wir können hier in Württemberg so viel mehr als Trollinger", sagt er. Die Sorte klebe an Württembergs Image. Es bleibt fraglich, ob sich dieses Image drehen lässt. Der Versuch mehr aus der Rebe rauszuholen ist nobel, aber mühevoll. Wer wissen will, was die Rebsorte wirklich kann, sollte sie probieren, solange ein paar Winzer es noch mit ihr versuchen.

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Quelle:
SZ vom 09.09.2017
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