Süddeutsche Zeitung

Industriedesign:Schneesturm im Bahnhofsklo

Ein neuer Wasserhahn von Dyson lässt Menschen weltweit verzweifeln. Warum sammelt sich in öffentlichen Toiletten so viel unnützes Design?

Von Jan Stremmel

Da stand ich also, nass und mit Schaum am Ohr. Das Hemd, die Hose, der Spiegel, das Waschbecken im Herrenklo eines großen europäischen Flughafens: weiß gesprenkelt. Ein paar Seifenflocken trudelten noch zu Boden, während der Wasserhahn vor mir weiter röhrte wie ein Hochdruckreiniger. Was zum Teufel?

Ich war soeben Zeuge eines neuen Stücks Ingenieurskunst aus dem Hause Dyson geworden: Eine Armatur, aus der vorne links und rechts ein Henkel wächst, sie ähnelt einem Fahrradlenker. Aus diesen Seitenarmen schießt ohne Ankündigung Druckluft nach unten, wenn man die Hand vor einen unsichtbaren Sensor hält. Ein Trockner, integriert in den Wasserhahn.

Eine fabelhafte Erfindung: Die Firma wirbt in einer Broschüre mit einer Luftgeschwindigkeit von 549 Stundenkilometern und einer Trockenzeit von nur 14 Sekunden. Leider fand ich die Broschüre erst im Internet, als ich nass am Terminal 2E saß. Weil ich eine Hand mit Seifenschaum unter die Düse gehalten hatte, in dem Glauben, aus dem Wasserhahn käme Wasser.

Der Markenkern der Firma Dyson ist, alles neu zu denken, was im Prinzip schon perfekt funktioniert: ein Staubsauger ohne Beutel, ein Ventilator ohne Rotorblätter. Nach dem bislang erfolgreichsten Produkt, dem "Airblade"-Handtrockner, in den man die Hände steckt wie in einen Toaster, ist der neueste Streich der Briten das sogenannte "Wash+Dry"-Konzept, speziell für Flughäfen und Einkaufszentren: Wasserhahn und Trockner in einem, mit V4-Motor, 1000 Watt, dank einem geräuschreduzierenden "Helmholtz-Resonator" aber um ganze "39 Prozent leiser" als der normale Trockner. Und dank Bewegungssensor mit 52 Prozent weniger Wasserverbrauch. Wow!

Leider haben die Ingenieure in ihrem Zahlenrausch offenbar eine Kleinigkeit vergessen: die ahnungslosen Benutzer. Auf Reddit, im Unterforum "Crappy Design", lässt sich nachlesen, wie Dutzende von ihnen ein unverhofftes Schaumbad erlebt haben: Einer schwärmt von einer "netten Schaumparty" neulich am Flughafen von Reykjavík. Ein anderer beschreibt einen "fucking Schneesturm" in einem Bahnhofsklo in London. Das System findet sich in Tankstellen in Neuseeland und Shoppingmalls in Texas. Einer stellt die Frage: "Testen die das überhaupt an richtigen Menschen?"

"User Experience" steht heute überall im Mittelpunkt. Nur nicht auf dem Klo

Die Wut ist berechtigt. Schließlich sind die technischen Eigenheiten öffentlicher Toiletten schon erratisch genug. Wie oft hält man seine Hände regungslos vor den vermeintlichen Sensor im Wasserhahn, um dann zu merken, dass es doch einen Hebel gibt? Um die Sache spannend zu halten, funktioniert der daneben hängende Seifenspender aber dann garantiert berührungslos. Ganz zu schweigen von den WC-Spülungen, die zwar mittels Bewegungssensor auslösen, dafür aber viermal hintereinander, während der Benutzer noch dahockt und versucht, die wagendradgroße Klorolle tief im Stahlgehäuse mithilfe des einlagigen Papiers abzurollen.

In Zeiten, in denen jede App und jeder neue Fahrkartenautomat nach Vorgaben der "User Experience" (UX) programmiert wird, in denen also die Nutzererfahrung wichtiger denn je ist, scheinen öffentliche Klos das letzte Refugium für selbstherrliche Industriedesigner zu sein. Die Nielsen Norman Group, eine amerikanische Beratungsfirma spezialisiert auf UX, hat kürzlich als Aprilscherz eine kleine Analyse zum Thema Toiletten veröffentlicht. Das Fazit: Öffentliche Bäder seien "verseucht von unbenutzbaren Klopapierspendern und schwierigen Spülmechanismen". Von Hähnen und Trocknern stand da nichts - was sich die Dyson-Ingenieure offenbar als Ansporn genommen haben, dieses eigentlich zu Ende gedachte Segment auch noch maximal verwirrend zu gestalten.

Bazillenregen und verkeimtes Seifengemisch

Es geht dabei übrigens nicht nur um Geschmack, sondern auch um ein mikrobiologisches Problem: Handtrockner, besonders die ultrastarken "Jet-Trockner", sind hocheffiziente Bakterienschleudern. Studien zeigen, dass die Hightech-Gebläse einen Raum deutlich stärker mit Keimen kontaminieren als andere Trockenmethoden. Deshalb kommen in Krankenhäusern auch Papierhandtücher zum Einsatz.

Die Hersteller kontern diesen Vorwurf meist mit dem interessanten Hinweis, das Problem seien nicht etwa ihre Geräte - sondern die schlampige Handwäsche vieler Benutzer. Wer seine schlecht gewaschenen feuchten Hände in einen Dyson-Trockner stecke, sei selbst Schuld am Bazillenregen. Nun gut. Wäre diese Erkenntnis aber nicht vielleicht ein guter Anlass gewesen, einen möglichst einfach zu bedienenden Wasserhahn zu entwickeln, anstatt hübscher Edelstahlskulpturen, die das verkeimte Seifengemisch aus der Hand ahnungsloser Toilettenbenutzer allen Umstehenden ins Gesicht blasen?

Papierhandtücher, das sei fairnesshalber gesagt, sind natürlich schlechter fürs Klima. Sie sind aus Holz und müssen an- und abtransportiert werden. Wer gerne an die Umwelt denkt, sollte also schon weiter den Handtrockner benutzen, zumal die Keime an den Geräten für gesunde Menschen meist ungefährlich sind. Außerdem ist in vielen Flughäfen ja neben Handseife auch Desinfektionsspray vorhanden. Übrigens sind die meisten dieser Sprühspender recht einfach zu bedienen. Vielleicht könnte sich die Firma Dyson hierzu mal was ausdenken?

Eine frühere Version dieses Artikels enthielt einen Fehler: Im Flughafen Charles de Gaulle in Paris sind keine Händetrockner des Modells "Wash+Dry" im Einsatz, sondern ein ähnliches Produkt eines anderen Herstellers. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.

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Quelle:
SZ vom 31.08.2019/olkl
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