Süddeutsche Zeitung

Super Soaker:Einsame Spritze

Vor 30 Jahren erfand ein Raketenforscher aus Versehen die berühmteste Wasserpistole der Welt. Über den Siegeszug des Super Soaker.

Von Jan Stremmel

Einmal, im Frühjahr 1992, wäre alles fast vorbei gewesen. Es war ein Albtraum für jeden Erfinder: Ein Junge starb, 15 Jahre alt. Er war in Boston auf der Straße in eine Wasserschlacht geraten, als plötzlich einer eine echte Pistole zog. Der Bürgermeister von Boston forderte daraufhin einen sofortigen Verkaufsstopp - natürlich nicht von echten Waffen, sondern von Spritzpistolen der Marke "Super Soaker". Der Erfindung von Lonnie Johnson.

Das Verbot kam nie, im Gegenteil: Die Diskussion kurbelte den Verkauf der Wasserpistolen in jenem Sommer erst recht an. Aber die Ironie dahinter beschrieb Johnson vor ein paar Jahren in einem Interview mit der BBC: Da hätte man doch fast seine Spielzeugpistole verboten - obwohl er in seinem Leben so viele echte Waffen entwickelt hatte.

Lonnie Johnson, 69, ein groß gewachsener, etwas linkisch wirkender Mann mit grauem Schnurrbart und einem ansteckenden Lachen, ist Nuklearingenieur. Er hat lange für die Nasa gearbeitet und im Waffenlabor der Airforce. Dort forschte er gerade am ersten B2-Tarnkappenbomber, als er aus Versehen die wichtigste Erfindung seines Lebens machte, abends im Badezimmer.

Das Spielzeug, das ihn reich und berühmt machen sollte, brachte er 1989 auf den Markt, vor genau 30 Jahren. Damals saß Johnson, einen pinken Samsonite-Koffer auf dem Schoß, in einem Konferenzraum des Spielzeugherstellers Larami. Der Chef und ein paar Marketingleute hockten dort, leicht gelangweilt. So so, eine Spritzpistole, was die denn könne? Johnson öffnete den Koffer, nahm seinen Prototyp heraus, pumpte ein paar Mal - und schoss einen Strahl Wasser quer durch den Besprechungsraum, zwölf Meter weit. "Da sagten die erst mal: Wow."

Der Super Soaker ist eines der erfolgreichsten Spielzeuge aller Zeiten. Mehr als 200 Millionen Stück haben sich bis heute verkauft, deutlich mehr als zum Beispiel das Kartenspiel Uno. Das erste Modell, der neongelb-grüne SS 50, ist nicht nur in so gut wie jeder westlichen Kindheitserinnerung der Neunzigerjahre verankert - es ist auch längst eine Designikone. In diesem Sommer hat das Modelabel Supreme eine Sonderedition davon herausgebracht.

Was für eine Ironie: Eigentlich entwickelt er Waffensysteme für die Air Force

Um die revolutionäre Wucht von Johnsons Erfindung zu würdigen, muss man sich klarmachen, wie Wasserpistolen bis dahin größtenteils funktionierten: Ein hohles Plastikgehäuse, gefüllt mit etwas Wasser, und ein Abzughebel, der mit jeder Fingerbewegung - ffft, ffft - einen feinen Spritzer Wasser aus einem Ventil pumpte. Im Prinzip wie eine Flasche Glasreiniger, mit ähnlicher Reichweite. Johnsons Prototyp dagegen verfügte über einen litergroßen externen Tank. Der Schütze baute durch mehrmaliges Pumpen in einer Kammer Luftdruck auf. Der Abzughebel öffnete dann ein Ventil, aus dem sich sekundenlang ein dicker Strahl ergoss. Hartgesottene Wasserpistolenfans schreiben bis heute in Foren wie isoaker.com , mit dem SS 50 habe nicht weniger als ein "neues Zeitalter der Wasserkriegsführung" begonnen.

Die Geschichte ist im Grunde eine typisch amerikanische Heldenstory. Sie zeigt einerseits, dass Tüfteln und jahrelange Ausdauer am Ende belohnt werden. Sie ist aber auch typisch amerikanisch, weil sie von Rassismus und Waffenkult erzählt - also genau den Themen, die das Land bis heute beschäftigen.

Als der Afroamerikaner Johnson in Alabama in die Highschool geht, werden Schüler noch nach Hautfarbe getrennt. Sein Vater, ein Bastler, lässt den Sohn alles ausprobieren. Einmal kocht Lonnie in einem Kochtopf Treibstoff für seine Raketen, um ein Haar fliegt die Küche in die Luft. Die Eltern schicken den Jungen raus in den Garten. Mit einer Camping-Herdplatte.

Als Teenager bewirbt sich Johnson bei einem Erfinderwettbewerb der Universität, mit einem selbstgebauten Roboter, der mit Luftdruck betrieben wird. Er ist fasziniert von den Robotern aus Science-Fiction-Filmen. "Niemand sagte mir, dass da Schauspieler drin saßen." Bei dem Wettbewerb ist er der einzige schwarze Teilnehmer. Er wird Erster. Aber statt dem talentierten Jungen sofort ein Ingenieurstudium zu empfehlen, schlagen die Laudatoren nur kühl vor, er könne ja Mechaniker werden.

Von wegen. Johnson studiert an der afroamerikanischen Universität in Tuskegee, Alabama. Danach geht er zur Air Force, ins Waffenlabor nach New Mexico. Später wechselt er zur Nasa und entwickelt die Galileo-Sonde mit, die schließlich zum Jupiter geschickt wird. Nach Feierabend bastelt er an eigenen Erfindungen. Als er eines Abends eine neuartige Wasserkühlpumpe testet, schießt ein Strahl quer durchs Bad - so stark, dass der Duschvorhang flattert. "Ich dachte: Jeez, das wäre eine gute Wasserpistole!" Er baut ein paar Prototypen aus Plexiglas und verteilt sie an die Freunde seiner Tochter. Als Wassertank dient eine Limonadenflasche. Am 14. Oktober 1983 meldet er ein Patent an, Nummer US4591071: "Eine Spielzeugspritzpistole, die einen dauerhaften Hochgeschwindigkeitswasserstrom schießt." Aber bis daraus die Revolution der Wasserkriegsführung wird, soll es noch einige Jahre dauern.

Johnson hat nicht genug Geld für die Herstellung, er braucht einen Investor. Also tingelt er mit seinem Koffer über Spielzeugmessen. Verschiedene Firmen sind interessiert, sie heißen Daisy oder Entertech, große Namen der damaligen Spielzeugpistolenbranche. Aber es ist kompliziert: Der Markt ist Ende der Achtziger stark unter Druck. Die damals üblichen Wasserpistolen sind echten Waffen nachempfunden, etwa der Maschinenpistole Uzi, sie sehen täuschend echt aus. Weil es deshalb immer wieder zu Verwechslungen und Todesfällen kommt, verbietet das US-Handelsministerium 1989 Spielzeuge, die echten Waffen ähneln. Seitdem müssen Wasserpistolen eine orangefarbene Mündung haben. Einige Firmen gehen pleite.

1990, nach seinem Auftritt im Konferenzraum von Larami, kommt Johnsons Pistole endlich in die Läden. Sie heißt "Power Drencher" und kostet zehn Dollar. Die Verkäufe laufen langsam an. Wegen eines Streits um die Namensrechte tauft die Marketingabteilung die Pistole schließlich um: "Super Soaker". Parallel schaltet man TV-Werbung. Ein Clip ist heute auf Youtube abrufbar und sagt viel über den Wandel der Zeit: Zwei Teenager wollen da auf eine Gartenparty, werden aber von der Gastgeberin an der Tür abgewiesen. Daraufhin schwören die beiden Rache, besorgen sich einen Super Soaker, laden durch und stürmen mit schwarzen Hüten und Sonnenbrillen im Gesicht die Feier. Von heute aus betrachtet wirkt der Clip, nun ja, befremdlich. Immerhin sei es "ein bisschen weniger unangenehm", kommentiert jemand auf Youtube, "wenn man weiß, dass das vor Columbine rauskam". Das erste große Schulmassaker, ebenfalls eine Racheaktion zweier Außenseiter, passierte erst Jahre später.

Das Modell von 1996 war so stark, dass es später entschärft werden musste

Damals aber trifft der Super Soaker einen Nerv, bei Kindern wie Erwachsenen. Allein 1991 verkauft sich die Pistole mehr als zwei Millionen Mal. Michael Jackson liefert sich damit auf der Neverland Ranch wild kichernd Wasserschlachten mit Macaulay Culkin, wie man auf später veröffentlichten Heimvideos sieht. Lonnie Johnsons Erfindung ist Teil der Popkultur.

Er entwickelt nun im Hauptberuf Spritzpistolen. Für den Nachfolger des SS 50 fügt er eine zweite Kammer hinzu. Statt Luft sorgt nun Wasser für den Druck, der Widerstand sinkt, das Pumpen geht auch für jüngere Kinder leichter. Auch dieses Modell wird ein Bestseller. 1993 bringt Johnson den SS 300 auf den Markt, den ersten Super Soaker, dessen Wassertank man als Rucksack trägt. Er bricht den Rekord als kräftigste Wasserpistole aller Zeiten. Laut den akribischen Historikern von isoaker.com ein weiterer Meilenstein: Mit ihm bricht das "zweite Zeitalter der Wasserkriegsführung" an. Das dritte Zeitalter beginnt schon drei Jahre später, als Lonnie Johnson sich mit dem CPS 2000 selbst übertrifft. Bis heute gilt dieses Modell unter Kennern als die beste Spritzpistole aller Zeiten: Sie verfügt im Inneren über eine Gummiblase, die den Strahl während des Spritzens konstant hält. Diese Pistole, die man aufgrund ihres Gewichts an einem Schultergurt trägt, schießt über 15 Meter weit. Gerüchten zufolge kommt es bei Schüssen aus nächster Nähe zu Gehirnerschütterungen. Die Nachfolgermodelle werden jedenfalls, so glauben Kenner, durch unauffällige Umbauten etwas entschärft. Lonnie Johnson schweigt dazu.

Bis heute sind mehr als 175 verschiedene Modelle erschienen. Was treibt Johnson zu diesen immer neuen Erfindungen? Ist die Begeisterung für Spielzeugwaffen eine Art Buße für die Kriegswaffen, die er vorher entwickelt hat? Man würde ihn das gerne fragen. Aber Johnson lässt ausrichten, dass er nicht mehr über den Super Soaker sprechen möchte.

Anhand der 132 öffentlich einsehbaren Patente, die er bis heute registriert hat, lässt sich aber immerhin ein grobes Bild seines kindlichen Ingenieurgeists zeichnen. Er erfindet im Monatsabstand: einen Luftdruck-Raketenwerfer. Eine Wasser-Bazooka. Eine neue Generation der Nerf-Gun, der berühmten Schaumstoffpfeilpistole. Aber unter den Patenten sind auch ein Lockenföhn, ein Angelhaken und ein Detektor für nasse Windeln.

2015 wird der Super Soaker in die "Toy Hall of Fame" aufgenommen. Für Spielzeugentwickler eine Art Heiligsprechung. Die Spritzpistole ist nun offiziell in der Riege der unsterblichen Spielzeuge, gemeinsam mit dem Flipperautomaten, der Barbie oder dem Atari 2600. Mit dem Geld finanziert Johnson heute Förderprogramme, die schwarze Jugendliche für Ingenieurwissenschaften begeistern sollen. Den Rest steckt er nach eigenen Angaben fast komplett in seine neuesten Erfindungen. Auf eine davon ist er besonders stolz: Der "Johnson Thermo-Electrochemical Converter" ist eine Maschine, die mittels Wasserstoff Hitze in Elektrizität verwandelt. Es ist sozusagen der Ururenkel der Erfindung, die er damals im Badezimmer testen wollte. Endlich hat er mal Zeit dafür.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2019/aner
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