Was beim Anzugkauf zu beachten ist:Jacke wie Hose!

Joshua Jackson

Trägt gerne und viel Anzug: Der Schauspieler Joshua Jackson auf einer Gala im Guggenheim Museum in New York.

(Foto: AP)

Kein Mann muss heute noch Anzug tragen. Er darf aber. Ein gut sitzendes Exemplar ist immer noch unschlagbar. Und keine Sorge: Der Kauf ist leichter als gedacht. Besuch beim größten Herrenausstatter der Welt.

Von Jakob Schrenk

Sechs Meter. Das ist der Abstand, den der Verkäufer Danijel Lacić zu einem Kunden halten muss, der zwischen den Ständern herumschlendert und sich nach einen Anzug umschaut. Keinen Schritt mehr und keinen Schritt weniger. Rückt Lacić auf fünfeinhalb Meter heran, könnte sich der Kunde bedrängt fühlen. Er würde fliehen wie ein scheues Reh. Mehr als sechs Meter dürfen es aber auch nicht sein, denn wenn der Kunde doch einmal hilfesuchend aufsieht, dann darf ihn Lacić nicht alleine lassen. Er muss sofort an seiner Seite sein, als Berater, als Beistand.

Danijel Lacić arbeitet in der Anzugsabteilung von Hirmer in München, dem größten Herrenausstatter der Welt. Lacić ist 29 Jahre alt, seinen Anzug hat er sich heute morgen offenbar auf den Leib gebügelt, die zurückgekämmten Haare sitzen so exakt, als würde er statt Gel Sekundenkleber verwenden. Mit fünfzehn Jahren möchten viele Jungs Fußballprofi werden oder Börsenhändler. Lacić, der Sohn eines Malermeisters, träumte davon, Anzüge zu verkaufen: "Die Verkäufer in den feinen Geschäften kamen mir vor wie Präsidenten", sagt er. "So wollte ich auch sein."

Lacić liebt die Form, den Stil, die Präzision, er hält den Sechs-Meter-Abstand zum Kunden exakt ein, eine professionelle Distanz, die gleichzeitig auch eine professionelle Nähe ist. Der deutsche Mann ist nun einmal kompliziert. Er will von der Modeindustrie und ihren Vertreten in Ruhe gelassen werden. Aber alleine kommt er auch nicht zurecht. Also trägt er in der Regel entweder gar keine Anzüge - oder solche, die ihm nicht passen. "Dabei ist es doch ganz einfach", sagt Lacić, "man muss nur ein paar Regeln beachten. Die Hose sollte zum Beispiel so lang sein, dass sie einen leichten Knick auf dem Schuh bildet."

Im 17. Jahrhundert trugen nur die Männer Absätze

Zehn Uhr morgens. Lacić begrüßt die ersten Kunden mit einem fast unmerklichen Kopfnicken. Er steht gerade, hat die Hände vor den Bauch gelegt und erinnert an einen Pfarrer. Auch er wacht über ein System fester Normen. Gut und Böse, schön und hässlich sind hier noch klar zu unterscheiden, ein Blick genügt oder ein Griff zum Maßband.

Lacić hat Nachsicht mit denen, die diese heilige Ordnung nicht auf Anhieb verstehen. Viele Kunden haben buchstäblich Angst, die Schwelle zur Anzugsabteilung zu überwinden, wenn sie der Aufzug nach oben gehoben hat, in den dritten Stock. Sie starren auf den Boden, als schämten sie sich ihrer Absichten. Oft bringen die Männer zur Unterstützung ihre Frau mit. Lacić weiß: Geht die Dame als erste aus dem Aufzug, hat sie nicht nur die Hosen an, sondern bestimmt auch, welche ihr Mann tragen wird.

Frauen neigen zum Glauben, dass der Sakkoärmel sehr lang sein muss. Lacić weiß nicht, woher dieser Irrtum kommt, vielleicht eine frühkindliche Prägung, Papa, wie er aus dem Haus geht, sein Anzug schlackert. Dabei ist die Sache doch ganz klar: "Der Ärmel des Sakkos soll bis zur Daumenwurzel gehen, vom Hemd soll etwa ein Zentimeter zu sehen sein."

Lacić legt Wert auf die Feststellung, dass der deutsche Mann modebewusster werde, er vertraut auf die Zukunft. Und auch die Vergangenheit gibt Anlass zur Hoffnung. Absätze trugen im 17. Jahrhundert zunächst nur Männer, die Frauen guckten es sich ab. Als der spanische Hof dem englischen König Heinrich VIII. eine große Freude machen wollte, schenkte er ihm kein Schwert und kein Pferd - sondern eine glänzende, hautenge Strumpfhose. Darüber trug Heinrich VIII. selbstverständlich nichts. Die Männer verstanden sich als das schöne und das protzende Geschlecht, legten sich eine sogenannte Schamkapsel um und zeigten "Beine, Po und Geschlecht", wie die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken in ihrem großartigen Buch "Angezogen - Das Geheimnis der Mode" schreibt.

Die Französische Revolution hat den Menschen die Freiheit gebracht und den Mann modisch entmündigt. Der Adel imitierte die langen Hosen der niederen Klassen, zog dazu passende Jacken in der gleichen, gedeckten Farbe an und signalisierte so Ernsthaftigkeit und Arbeitswillen. "Die Geschichte des Anzugs beginnt mit dem Verzicht, sich reizend zu inszenieren", schreibt Vinken. Die Mode wurde zu einer weiblichen Marotte wie lange Haare und Ohnmachtsanwandlungen.

So sieht der moderne Anzug aus

Am frühen Nachmittag bedient Danijel Lacić einen Ingenieur um die 40, der einen dunklen Anzug für die Weihnachtsfeier seiner Firma sucht. Der Ingenieur blickt immer nur ganz kurz in den Spiegel, dann dreht er den Kopf und schaut Lacić ins Gesicht, weil sich dort seiner Meinung nach viel zuverlässiger ablesen lässt, ob das Sakko nun passt oder nicht. Lacić ist zufrieden: "Man kann an einem Anzug viel im Nachhinein ändern, aber an der Schulter muss er von Anfang an perfekt sitzen." Das Schulterpolster darf nicht herausgedrückt werden, weil die Jacke zu eng ist, es darf aber auch nicht über den Arm hinausstehen, sondern muss bündig abschließen. Der Ingenieur hebt die gestreckten Arme bis auf Brusthöhe und sieht aus wie eine Holzmarionette.

Wenn sich der große Georg Wilhelm Friedrich Hegel einmal nicht mit dem Weltgeist beschäftigte, ereiferte er sich über den Herrenanzug. Dieser sei eine Art Zwangsjacke, verdecke die lebendigen "Rundungen und Schwellungen" des Körpers und nehme ihm so jeden Reiz und jede Individualität. Dank der Massenproduktion konnte sich von den 1920er-Jahren an jeder Mann einen Anzug leisten, ein demokratisches Kleidungsstück. Die Jacken waren dick gepolstert, die Hosen weit und steif, so verwischten die Unterschiede von Klasse, Schicht und Body-Mass-Index. Dünne und dicke Männer verwandelten sich gleichermaßen in kastenförmige Wesen, die sich morgens um acht in Büro und Firma saugen ließen. Dort diente der Anzug dann auch als Tarnuniform, man fiel nicht weiter auf und konnte sich vor den Arbeitsaufträgen, Wutausbrüchen und Spontankündigungen des Chefs verstecken.

Der moderne Mann aber will kein Massenmensch sein. Er fühlt sich als Regisseur, Drehbuchschreiber und Kostümbildner des eigenen Lebens und fürchtet sich vor steifen Formen und steifen Kleidern. Der Anzug, der geschichtlich gesehen die Antimode verkörperte, gilt nun plötzlich als zu modisch, als Verkleidung. Der Herr von heute möchte authentisch und individuell sein und trägt Jeans, Pulli und ähnliche Kindergartenklamotten, so wie alle anderen authentischen Individualisten auch.

Der moderne Anzug macht seinen Träger glamouröser. Und weiblicher

Am Abend muss sich Lacić noch einmal anstrengen, er tut das gerne, es ist ja für die gute Sache. "Ich fühle mich da einfach nicht wohl, das ist doch einfach nicht bequem", sagt ein Mann, schlank, Anfang 30. Seine Frau passt mit auf. Lacić fährt dem Mann über die Schulter, mit perfekt einstudierten, symmetrischen Gesten, er will nicht nur Falten glätten, sondern auch die Sorgen wegstreicheln. Lacić erklärt, dass sich früher beim geschlossenen Sakko keine Querfalte auf Knopfhöhe bilden durfte, mittlerweile ist eine feine Falte erlaubt, "es muss etwas Zug auf der Jacke sein." Die Hosen sollen eng sitzen, allerdings nicht so eng, dass sich die Taschen öffnen. Wie ein guter Showmaster bringt Lacić zum Ende hin die guten Sprüche: "Das Blau passt zu ihren Augen." Dann hebt er das Sakko des Mannes: "Sitzt auch am Gesäß." Die Frau kichert geschmeichelt und greift nach der Geldbörse.

In seiner grundsätzlichen Form hat sich der Anzug seit dem 19. Jahrhundert nicht verändert. Seit zwei Jahrzehnten aber werden die Schnitte schmaler, die Stoffe dünner, die Jacken unstrukturierter, die Schulterpolster kleiner. Die Hosen sind zwar noch nicht so eng wie die Strumpfhosen von Heinrich VIII., aber ein moderner Anzug erlaubt nun doch den Blick auf die "Rundungen und Schwellungen" des Körpers. Hegel hätte das gefreut. Aber vielleicht hätte er sich im Fitnessstudio anmelden müssen.

Ein Anzug kann immer noch besser als die Alltagsuniform von Jeans und T-Shirt eine weiche Hüfte oder eine Hühnerbrust kaschieren, aber ganz so großzügig und gnädig wie früher ist er nicht mehr. Der Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken gefällt diese Entwicklung: "Das Moment der weiblichen Mode par excellence, die Ästhetisierung des Körpers und sein Hervortreiben durch Mode, ist in die Männermode gewandert."

Der klassische Anzug hat den nüchternen Bürger konstituiert, der moderne Anzug macht den Mann nun wieder weiblicher und glamouröser. Wer heute einen Anzug trägt, verschwindet nicht in der Masse, sondern sticht heraus. "Eine gewisse Eitelkeit gehört schon dazu", sagt Danijel Lacić, der auch um kurz vor acht Uhr abends noch so adrett aussieht wie eine frisch dekorierte Schaufensterpuppe. Sein halbes Leben lang arbeitet er schon in der Spiegelwelt der Bekleidungsgeschäfte, manchmal hat es den Anschein, als würde er extra flach atmen, damit sein Sakko keine Falten wirft. Als Geck will er trotzdem nicht erscheinen. "Das Einstecktuch sollte schlicht und weiß sein", sagt Lacić und schaut sehr ernst. "Und ich falte es so, dass es eine schräge Kante bildet, alles andere wäre übertrieben."

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