Süddeutsche Zeitung

Waldmast:Die köstliche Freiheit der Eichelschweine

In Franken hat Hans Huss die Waldmast wiederentdeckt. Seine Schweine leben vor allem von Eicheln, ihr Fleisch ist besonders delikat. Und mit ihnen wächst auch der Artenreichtum im Wald.

Von Patrick Hemminger

Die Mußestunden von Eichelschweinen sind eng durchgetaktet: Aufwachen, ausgiebig frühstücken und ab zum Mittagessen in den Wald. "Dort fressen sie sich mit Eicheln satt. Dann legen sie sich dicht an dicht zur Mittagsruhe hier in den Wald. Die kann schon mal von 13 bis 15 Uhr gehen", erklärt Hans Huss zufrieden. Anschließend lassen die Schweine den Tag gemütlich ausklingen, bevor sie sich zur Nachtruhe eng aneinander gekuschelt wieder zum Schlafen legen. Der Tagesablauf trägt maßgeblich dazu bei, dass die Qualität ihres Fleisches später einzigartig sein wird: Freiheit, Bewegung, die Gemeinschaft, das Fehlen von Stress und Enge.

Einzigartig in Deutschland ist derzeit auch das Mastkonzept von Hans Huss. Der 49-Jährige ist Geschäftsführer der Eichelschwein GmbH; der Firmensitz liegt in Freising bei München, aber wer die Schweine sehen will, muss Huss in Unterfranken treffen, in einem Wald in der Nähe von Kitzingen. Dort leben die Tiere fast wie Wildschweine, nur dass sie eben nicht wild sind.

Es ist ein kühler Herbsttag, die Sonne steht noch tief, die etwa 200 Tiere werfen im Morgenlicht lange Schatten, der aufgewirbelte Staub leuchtet orange. Bis auf das Grunzen, Schmatzen und Quieken ist es still. Nach und nach beginnen die Schweine, sich in Gruppen von gut 20 Tieren zusammenzufinden und langsam zwischen den Bäumen zu verschwinden. Im Sommer, wenn die Eicheln zu fallen beginnen, kommen sie hierher, die ältesten sind dann zehn Monate alt. Sie fressen sich rund und gesund, und eben vor Weihnachten werden die letzten geschlachtet. Dann steht das riesige Gehege für acht Monate leer.

Früher war es normal, seine Tiere in den Wald zu treiben

Eichelschweine gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Am bekanntesten sind die spanischen, aus denen der würzige Jamón Ibérico de Bellota gemacht wird. Hauchzart aufgeschnitten schmeckt er am besten auf geröstetem Brot mit etwas Olivenöl. Im Grunde verwundert es, dass in Deutschland nur Huss die extensive Waldmast betreibt, denn früher wurden Schweine immer in die Wälder getrieben. Früher, das war vor der industriellen Massentierhaltung. Im Frühjahr trieb man die Schweine in die Flussauen. Nasser Boden macht ihnen nichts aus, Rindern oder Schafen aber schon. Im Sommer wechselte man. Dann kamen die Wiederkäuer in die nun trockenen Auen und die Schweine in die Wälder. Dort waren sie weit genug entfernt von den Gemüseäckern und -gärten, die sie sonst kahl gefressen hätten. Durch die Eicheln wurden sie dick und ihr Fleisch würzig, zugleich hielten sie den Wald in Ordnung.

"Das hier ist ein sogenannter Eichenmittelwald", erklärt Huss. "Hier stehen alle paar Meter große Eichen, und die überragen alle anderen Bäume, die Hainbuchen etwa. Die Eichen in solchen Wäldern gaben früher das Futter für die Schweine, und wenn sie alt wurden, fällte man sie und nutzte sie als Bauholz. Die kleinen Hainbuchen wurden zu Brennholz verarbeitet", sagt Huss. So sei alles optimal genutzt worden.

Auf die Idee mit den fränkischen Eichelschweinen kam Huss schon vor gut 20 Jahren, als er noch an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf studierte. Mit einem Professor für Waldbau saß er eines Tages beim Schweinebraten in der Mensa, und der schmeckte, wie Schweinebraten in der Mensa eben oft schmeckt - labberig, langweilig, zäh. Da geriet der Professor ins Schwärmen, erzählte vom delikaten Schweinefleisch, das er in Kroatien gegessen habe, von der Eichelmast der Tiere und dass Huss als angehender Agraringenieur davon doch wissen müsse. Der hatte aber noch nie etwas derartiges gehört. Huss begann zu recherchieren und schrieb schließlich seine Diplomarbeit über die Eichelmast und wie man sie wiederbeleben könnte.

"Als ich damals anfing nach Informationen zu suchen, fand ich keine Beschreibung dazu. Zum Beispiel wie viele Schweine auf einem Hektar zu halten sind", erzählt Huss. Er fand nur historische Bilder und den Spruch "die besten Schinken wachsen an den Eichen". Dabei ist die Waldmast schon gut 5000 Jahre alt. Lange waren Schweine der einfachste Weg für Menschen, an für die Ernährung wichtige Fette zu kommen. Als dann aber pflanzliche Öle immer wichtiger wurden, verloren Schweine an Bedeutung. Und mit Erfindung der Massentierhaltung verschwand das Wissen um die Eichelmast.

Huss läuft jetzt in den Wald hinein. Links vom Weg leben die Schweine, rechts nicht. Dazwischen ist ein Zaun. Der Unterschied ist deutlich zu sehen. Rechts wuchert das Unterholz, links wirkt der Wald wie aufgeräumt. Beim Laufen erzählt Huss, wie alles anfing, mit 19 Schweinen auf einem drei Hektar großen Waldgrundstück ganz in der Nähe, 2003 war das. Nach dem Studium hatte er sich zunächst als Berater in Landwirtschaftsfragen selbständig gemacht. Aber gleichzeitig ließ ihn die Waldmast nicht los. Wie könnte man sie neu erfinden?

Weil er für seine Diplomarbeit einen Förderpreis erhalten hatte, bekam er bald weitere Unterstützer für sein erstes Projekt: die Stadt Iphofen, den Bayerischen Naturschutzfonds und den Landschaftspflegeverband Kitzingen. Huss ging davon aus, dass schon bald ein Landwirt die 19 Tiere übernehmen werde, aber keiner meldete sich. "Im Gegenteil, wir wurden angefeindet, es hieß, wir wollten zurück in die Steinzeit und so", sagt Huss. Er machte allein weiter.

Zwei Jahre später gründete er die Eichelschwein GmbH, bald bekam er vom Iphofener Stadtförster 21 Hektar Wald, aus denen irgendwann 50 wurden. Derzeit steckt ein Viertel seiner Arbeitszeit in der Schweinemast. Ab einer Zahl von 150 Tieren lohne sich der Aufwand finanziell, sagt Huss. Trotzdem gibt es in Deutschland keine Nachahmer der extensiven Waldmast. Zu hoch ist der Aufwand, zu groß die Angst vor der Afrikanischen Schweinepest, die sich derzeit stark bei den Wildschweinen Osteuropas ausbreitet. Steckt sich ein Schwein aus einem Betrieb an, müssen alle Tiere getötet werden. Und natürlich ist die Ansteckungsgefahr im Freien größer als im Stall.

Vier Faktoren spielen eine Rolle für die Fleischqualität: Rasse, Alter, Futter, Bewegung

Fleisch und Wurst von Eichelschweinen kann man im Internet bei Huss bestellen. Vom halben Schwein über Fleischteile und Schinken bis zu Salami - alles schmeckt besonders würzig und doch fein. Die cremige Leberwurst etwa ist angenehm opulent, ihre Lebernote ist subtil, obwohl der Leberanteil mit 25 Prozent ungewöhnlich hoch ist. Besonders delikat ist der Speck. "Damit können sie eine Carbonara machen, da tränen ihnen die Augen", sagt Huss. Hauchzart aufgeschnitten schmilzt der würzige luftgetrocknete Rückenspeck auf der Zunge. Spitzenköche wie Hans Haas vom Münchner Gourmetrestaurant "Tantris" oder Andreas Krolik vom "Lafleur" in Frankfurt haben die Qualität längst erkannt und kaufen bei im ebenso ein wie herausragende Metzger und genussinteressierte Privatleute.

Huss sagt, es gebe vier Dinge, die Einfluss auf die Fleischqualität haben: Rasse, Alter, Futter und Bewegung - und bei den Eichelschweinen stimme alles. Die Tiere sind eine Kreuzung aus Deutscher Landrasse und Duroc, der Rasse mit dem höchsten intramuskulären Fettanteil. Die Tiere werden oft älter als ein Jahr, ein gewöhnliches Mastschwein kommt schon nach 140 Tagen zum Schlachter. Das Futter besteht hauptsächlich aus dem, was die Schweine im Wald finden: Eicheln, dazu Würmer, Schnecken, Käfer, Moos, Rinden, Blätter und Kräuter. Bis auf Gras und Pilze fressen die Tiere alles, was sie finden. Dazu kommt die Bewegung. "Wenn die Schweine aus der Vormast im Sommer hierher kommen, haben sie erst mal Muskelkater vom vielen Laufen. Am Ende sorgt die Bewegung dafür, dass weniger Wasser im Fleisch ist", erklärt Huss. Die Eicheln allein machen es also nicht. Schweine im Stall mit Eicheln zu füttern, führe zu nichts. "Ohne Weidehaltung gibt es kein Spitzenfleisch", sagt Huss.

Wenn die Schweine jetzt im Dezember zum Metzger kommen, geschieht das ohne Stress. "Die Fahrer der Transporte sind immer ganz begeistert, weil die Tiere so gelassen sind", sagt Huss. Schweine aus konventioneller Stallhaltung geraten in Panik, wenn sie auf dem Weg zum Lkw zum ersten Mal den Himmel sehen und fremde Geräusche hören. Huss läuft an dem Zaun entlang, der die derzeit 50 Hektar Wald und Wiesen eingrenzt. Genauer gesagt sind es zwei Zäune. Der erste, aus grob gezimmerten Brettern und Draht, hält die Wildschweine draußen. Der zweite ist ein Elektrozaun, etwa eineinhalb Meter davon entfernt, der verhindert, dass Eichel- und Wildschweine sich begegnen und Krankheiten übertragen werden.

Huss deutet über die ein Hektar große Wiese am Rand des Geheges. "Hier vorne füttern wir den Schweinen etwas zu. Das muss sein, damit sie regelmäßig hierher kommen. Dabei können wir sie kontrollieren und am Ende laden wir sie hier auf den Transporter." Auf der Wiese haben die Tiere einen Unterstand. Dorthin ziehen sie sich zurück, wenn es besonders nass und kalt ist. Weiter hinten ist die meiste Zeit ein früherer Karpfenteich aufgestaut, in dem die Schweine wühlen und sich suhlen können. Dadurch schaffen sie neue Lebensräume, bringen Samen in den Boden ein. "Hier im Teich haben sich der bedrohte Kammmolch und die Sumpfschnecke wieder angesiedelt. Auch der Wald ist artenreicher geworden", sagt Huss. Durch die Schweine wuchert nicht alles zu, ein Mosaik an Lebensräumen entsteht. Weberknechte und Käfer zum Beispiel gibt es mehr als früher, das gefällt wiederum anderen Tieren, bei denen die Insekten auf dem Speiseplan stehen.

All das hat man mit Monokulturen und Massentierhaltung nicht. Es hat schon seinen Sinn, wie sich das Zusammenleben von Menschen und Tieren über Jahrtausende entwickelte. 15 Jahre ist es her, dass Huss sich von den Landwirten der Umgebung anhören musste, die Waldmast sei ein Zurück in die Steinzeit. Heute weiß er, dass sie vor allem ein Weg in die Zukunft sein kann.

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SZ vom 15.12.2018/mane
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