Socken aus dem Sauerland:Paul Falke wünscht sich Männer in Kniestrümpfen

Socken aus dem Sauerland: Er ist gemeinsam mit seinem Cousin Franz-Peter Chef des Familienunternehmens: Paul Falke.

Er ist gemeinsam mit seinem Cousin Franz-Peter Chef des Familienunternehmens: Paul Falke.

(Foto: Falke)

"Italiener tragen fast alle knielang. Ist denen etwa zu warm?" Der Chef der letzten großen Strumpffirma Deutschlands über Billigsocken, Cellulite-Strumpfhosen und die Physiognomie chinesischer Füße.

Von Silke Wichert, Schmallenberg

Wann hat das eigentlich angefangen? Diese "Bloß keine Socken!"-Parolen, die Magazine und die versammelten Stilexperten des Landes jedes Jahr vor Weihnachten ausrufen? Im Hause Falke weiß man darauf auch keine Antwort, und klar finden sie das Ganze ein bisschen gemein. Aber glücklicherweise halten sich viele Kunden am Ende ja doch nicht an die schlauen Ratschläge. In der Weihnachtszeit gehen die Umsätze bei Falke regelmäßig durch die Decke.

Viele von den Socken und Strumpfhosen, die am 24. Dezember wieder unterm Baum landen, werden in diesen Tagen produziert. Ein Großteil davon - 12 000 bis 15 000 Paar pro Tag - immer noch am Stammsitz in Schmallenberg, mitten im Sauerland, wo die Firma vor mehr als 120 Jahren gegründet wurde.

Die nächste Autobahnauffahrt ist eine Dreiviertelstunde entfernt, die Bahn hat den Ort seit einer Ewigkeit vom Netz genommen. Pendeln? Kommt hier eher nicht infrage, Falke beschäftigt den halben Ort. Manche Mitarbeiter arbeiten bereits in der dritten oder vierten Generation im Unternehmen.

Von der "Arisierung" in Hitler-Deutschland profitiert

So wie die Familie Falke selbst. Der Gründer Franz Falke-Rohen war eigentlich Dachdecker; wenn im Winter nichts zu tun war, arbeitete er als Saisonstricker und eröffnete irgendwann seine eigene Strickerei. Von ihm übernahm sein Sohn und baute das Geschäft aus. 1938 erwarb er im Zuge der "Arisierung" günstig die Strickwarenfabrik des jüdischen Unternehmers Arthur Stern.

In den Fünfzigerjahren stiegen seine Söhne in den Betrieb ein, seit 1990 sind deren Söhne die Gesellschafter, Franz-Peter und Paul Falke. Aktueller Jahresumsatz: 225 Millionen Euro.

Billig-Konkurrenz hat Industrie ruiniert

In Deutschland kennt die Marke nahezu jeder. In Bürotürmen laufen die Anzugträger traditionell im Modell "Airport" aus Wolle-Baumwoll-Gemisch über die Flure, die Feinstrumpfhose "Seidenglatt" ist seit den Sechzigerjahren ein Bestseller, schon Neugeborene bekommen ihre ersten "Falkes" übergestülpt.

Dummerweise greifen sie später immer häufiger zum 5er-Pack von H&M. Die Deutschen kaufen ihre Socken auch gern beim Kaffeeröster oder im Supermarkt. Weniger als zwei Euro geben sie durchschnittlich nur noch für ein Paar aus, während eines von Falke im Schnitt über zehn Euro kostet. Die Konsumgewohnheiten haben sich so radikal verändert, dass von den 150 deutschen Strumpffabrikanten, die es in den Siebzigerjahren noch gab, nur noch eine Handvoll übrig geblieben sind. Kunert, die einst dreimal so groß waren wie Falke: insolvent. Ergee mit den Küken auf dem Etikett: verschwunden. Was tun, um zu überleben?

"Billiger wollen wir nicht, können wir nicht"

Paul Falke sitzt im Showroom der Firma, umgeben von bunten Socken. "Will ich im Supermarkt verkaufen? Will ich nicht", sagt er. Der 57-Jährige stellt gern Fragen, die er selbst beantwortet. "Wollen wir billiger produzieren? Wollen wir nicht, können wir auch nicht."

Gefertigt wird nur in eigenen Fabriken, außer in Schmallenberg unter anderem in Serbien oder Südafrika. Falke könne nun mal nur Premium. Man müsse bessere Produkte machen als die anderen und den Kunden dazu bekommen, sie anzuziehen. "Dann spürt er sofort den Unterschied." Bessere Durchlüftung, besseres Tragegefühl, längere Haltbarkeit.

Wie eine Falke-Socke entsteht

Bis dahin sind es fast ein Dutzend Arbeitsschritte. Die teuersten Strümpfe in Kaschmir oder Seidengemisch werden in Schmallenberg noch immer auf 60 Jahre alten Maschinen gestrickt. Nur unifarben, Muster waren früher noch nicht möglich. Gleich nebendran, auf den neueren Modellen, geht das natürlich längst. Dort entstehen gerade die klassischen "Burlington Socks", die Traditionsmarke, die Falke 2012 gekauft hat.

Strickmaschinen sind laute Ungetüme aus Stangen und Rohren mit einem Ring bunter Spulen obendrauf, die so lange hin und hertanzen, bis ein fast fertiger Socken aus einer der Röhren ploppt. Vorn ist er dann noch offen, das berühmte "von Hand geklöppelte" Zehenteil wird erst später vernäht. Nur wenn die dünne Naht perfekt gearbeitet ist, drückt später im Schuh nichts. Danach wird kontrolliert, gewaschen, geformt, noch mal kontrolliert und schließlich ein Linker mit einem Rechten gepaart.

Socken aus dem Sauerland: In sogenannten Stricksälen wurden früher die Strümpfe hergestellt. Das Motiv stammt aus dem Jahr 1924.

In sogenannten Stricksälen wurden früher die Strümpfe hergestellt. Das Motiv stammt aus dem Jahr 1924.

(Foto: Falke)

Der Chef trägt Rosa

Paul Falke ist es gewohnt, dass man ihm nur kurz ins Gesicht und dann gleich auf die Füße schaut. Heute trägt er also: rosa Strümpfe. Passend zum weiß-rosa gestreiften Hemd, dem dunkelblauen Anzug und dunkelblauen Schuhen. Falke trägt immer Kniestrümpfe, weil die nicht rutschen, also kein nacktes behaartes Bein beim Sitzen freilegen. Jedenfalls bei Falke rutschen sie nicht, weil die Wade einen Ticken breiter als das Bündchen gearbeitet ist.

Seiner Meinung nach sollten alle Männer Kniestrümpfe tragen, und weil er schon weiß, dass man jetzt argumentieren will, das sei den meisten wahrscheinlich zu warm, schiebt er gleich hinterher: "Italiener tragen fast alle knielang. Ist denen zu warm? Anscheinend nicht." Kann er die Deutschen ändern? Kann er nicht.

Strümpfe für Deutschlands TV-Moderatoren

Nur manchmal versucht er es doch. Einmal hat er allen Talkshow-Moderatoren Kniestrümpfe geschickt. Seine Frau hat damals Paul Wolfowitz ein Paar zukommen lassen, nachdem der ehemalige Weltbankchef in einer Moschee mit zerrissenen Strümpfen fotografiert wurde. "Der Chef des Geldes hat Löcher in den Socken", lästerten die Medien.

Er verstehe nicht, warum manche Leute sich einen Brioni-Anzug leisten und dann bei den Strümpfen sparen, sagt Falke. Oben hui, unten pfui. "Glauben die wirklich, das sieht man nicht?"

Kristina Falke zog von Paris ins Kaff um

Seine Frau Kristina Falke ist PR-Chefin des Hauses. Groß, blond, Geena-Davis-Lächeln, Jaguar vor der Tür, erfrischend ehrlich. Nein, den Kaffee im Hause könne sie wirklich nicht empfehlen, lieber solle man beim Wasser bleiben.

Sie hat früher in Paris gelebt, die Familie mit den zwei Kindern hat jetzt dort ihren Zweitwohnsitz. Dass ausgerechnet sie in einem 15 000-Seelen-Ort landen würde, wo man es bis ins Büro riecht, wenn der Nachbar Gülle streut: absolut unvorstellbar. "Aber was soll man machen, wenn man sich verliebt und der Mann hier verwurzelt ist?"

Victoria Beckham gehört zu den Fans

Jetzt ist Frau Falke die perfekte Markenbotschafterin, im vergangenen Jahr hat sie eine Kooperation mit Manolo Blahnik eingefädelt, gerade verhandelt sie die nächste. Früher hat Falke in Lizenz für Armani bis Kenzo produziert, heute wollen sie ihren Namen nicht mehr verstecken.

40 Prozent der Umsätze erzielt der Hersteller im Ausland. Victoria Beckham und Caroline von Monaco sind Fans. (Beim Online-Store "Mr. Porter" sind Falke-Socken als einzige mit "Essentials" gekennzeichnet: unverzichtbare Grundausstattung.)

Eines der besten Jahre war 2009, mitten in der Krise. In schlechten Zeiten müssen die Socken offensichtlich wieder halten, alte Sparstrumpf-Mentalität. "Es war mir fast unangenehm, wenn befreundete Unternehmer klagten", sagt Kristina Falke, weil sie vor lauter Anfragen gar nicht mit den Lieferungen nachkamen.

Lagerfeld, ein Kunde wie jeder andere

Und dann rief auch noch das Büro von Karl Lagerfeld an, sie hätten gern Strümpfe für die Chanel-Show. Ihr Mann sagte: Keine Chance. Sie sagte: Aber es ist Chanel! Ihr Mann erwiderte: Egal, die anderen haben schon bezahlt. Einige Wochen später kam eine Karte von Lagerfeld: Wenn er etwas haben wolle, bekomme er es auch - er habe sich die Strümpfe am Ende im Laden gekauft.

Womöglich im Pariser Bon Marché, wo Falke zu den bestverkauften Marken überhaupt gehört. Die großen Kaufhäuser sind noch immer der Hauptumsatzbringer. Umgekehrt sei für die Kaufhäuser die Strumpfabteilung nach wie vor eine Goldgrube, sagt Paul Falke. "Was sie da erwirtschaften, können sie kaum mit anderer Bekleidung erreichen." Weniger Saisonwechsel, 80 Prozent der Ware wird zum regulären Preis verkauft.

Längst mehr als nur Socken

Doch darüber hinaus gibt es nicht mehr viel Einzelhandel, weltweit mussten in den vergangenen fünf Jahren mehr als 2000 Kunden ihre Geschäfte schließen. Falke investiert deshalb in eigene Läden. Nach Zürich wurde gerade ein neuer Shop in Antwerpen eröffnet, am besten laufen die Geschäfte am Frankfurter Flughafen und auf dem Berliner Ku'damm.

Die Falkes brauchen die Läden, um zu zeigen, dass sie längst nicht mehr nur Socken herstellen. Gerade haben sie funktionale Sportunterwäsche mit Woll- und Silikonnoppen entwickelt, die angeblich die Haut so stimulieren, dass sich die Körperhaltung beim Training verbessert. Die "Leg Energizer", also Kompressionsstrümpfe, setzen sich immer mehr durch, weil solche "Shapewear" nicht nur gut tut, sondern auch eine Größe dünner schummelt. Demnächst kommen Strumpfhosen auf den Markt, die gegen Cellulite helfen sollen.

Mit diesen Produkten versucht Falke zu wachsen, im Vergleich zum Vorjahr sind die Umsätze leicht gestiegen. International muss noch viel passieren. Die USA könnten besser laufen, gibt Paul Falke zu. "Die Amerikaner kaufen gern pflegeleicht und 'One Size Fits All' mit viel Elasthan, das entspricht nicht ganz unserer Philosophie." Kein Deutscher mit Schuhgröße 40 würde einen Socken kaufen, der bis Größe 46 passen soll.

Socken für China - ein riesiger Aufwand

Und China? Vor Kurzem haben sie dort eine Tochtergesellschaft gegründet, aber auch dieser Markt sei für ihre Socken nicht so einfach. Weil den Chinesen die Premium-Qualität nicht so wichtig ist?

"Die Physiognomie ist eine andere", erklärt Falke. Kürzere Beine, dünnere Waden, kleinere Füße. Jede Passform müsse kleiner gemacht, alle Proportionen neu berechnet werden. Ein riesiger Aufwand.

Kann man den kleineren Chinesen nicht einfach kleinere europäische Modelle verkaufen? Einen Tag lang nur Männersocken in Größe 38 nebenan in die Körbe ploppen lassen? Paul Falke schaut nach unten auf seinen glattsitzenden Kniestrumpf. Kann man wohl nicht.

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