Frisurentrends:Der Vokuhila ist zurück

Miley Cyrus bei der Ankunft zur Tom Ford Autumn/Winter 2020 Show am 7.02.2020 in Hollywood, Los Angeles Tom Ford Autumn

Auch Miley Cyrus trägt ihn, den Mullet, wie der Vokuhila auf Englisch heißt.

(Foto: imago images/APress)

Doch, wirklich! Und das ist kein Zufall. Denn die meistgehasste Frisur aller Zeiten beweist in der Corona-Pandemie eine vulgäre Praktikabilität.

Von Jan Stremmel, Berlin

Nach einem Jahr Pandemie hat sich Kerr Sutherland an so einiges gewöhnt. Die Arbeit mit Maske, das ständige Lüften, alles längst Routine. Aber ein Phänomen erstaunt den Friseur und Inhaber von "CoBarbers", einem winzigen und ausgesprochen hippen Salon in Berlin-Mitte, noch immer: "Ich muss jetzt pro Woche acht bis zwölf Vokuhilas schneiden."

Selbst für das trash-affine Berlin ist das erstaunlich. Waren es vor der Pandemie nur eine Handvoll Exzentriker, Künstler und Leute aus dem Nachtleben, die diese Frisur bei ihm bestellten, habe sich die Zielgruppe komplett geändert, sagt Sutherland: "Jetzt wünschen sich plötzlich auch Leute mit seriösen Jobs einen Mullet", so heißt der Vorne-kurz-hinten-lang-Schnitt auf Englisch. Und: Die größte Nachfrage gebe es unter Frauen.

Schon klar, was sagt das schon, es könnte Zufall sein. Aber das Staunen des Friseurs passt zu einem Gerücht, das auf Modeblogs schon seit vergangenem Frühjahr intensiv diskutiert wird: Könnte es sein, dass der meistgehasste Haarschnitt der Geschichte gerade zurückkommt?

Es sieht ganz danach aus. Die Popstars Rihanna, Miley Cyrus und Dua Lipa, das Supermodel Cara Delevingne und der DJ Diplo sind nur die bekanntesten Stars, die sich aus dem letzten Lockdown mit einer Frisur zurückgemeldet haben, die man noch vor wenigen Jahren höchstens auf Mottopartys gesehen hat. Zufall? Von wegen, erklärte kürzlich das "Style"-Ressort der BBC: Es sei doch konsequent, dass eines der "chaotischsten, traumatischsten Jahre seit Menschengedenken" nun eben auch die umstrittenste Frisur der letzten 30 Jahre hochgespült habe.

Und tatsächlich: Wer den Trend zurückverfolgt, erkennt eine gewisse Kausalität. Auf der einen Seite sieht man die Nackentapete schon seit zwei, drei Jahren immer mal wieder auf Modenschauen, bei Gucci oder Saint Laurent. Für den Alltag war diese Ästhetik aber lange zu extrem. Bis das Virus kam.

Frisurentrends: Paul McCartney präsentierte spätestens ab 1967 eine sanfte Version des Vokuhila.

Paul McCartney präsentierte spätestens ab 1967 eine sanfte Version des Vokuhila.

(Foto: mauritius images / Theodore lias)

Der miese Ruf des Vokuhila ist nicht ganz fair. Er war ursprünglich mal ein avantgardistisches Statement. Paul McCartney präsentierte spätestens ab 1967 eine sanfte Version davon, als einer der ersten Stars (und er trägt ihn bis heute). David Bowie radikalisierte die Form ein paar Jahre später mit einem rotgetönten Flauschball auf dem Kopf, aus dem hinten lange Strähnen hingen. Von dort etablierte sich der Schnitt zum Zubehör so gut wie jeder Subkultur der Achtziger. "Egal ob du Metal, Country, Yuppie oder Punk, Jock oder Biker warst, der Vokuhila war dein Style", schreibt der Autor Alan Henderson in "Mullet Madness!", einem der wenigen Sachbücher zum Thema.

Damit erlag der Schnitt allerdings seiner eigenen Beliebtheit. Die deutschen Fußballweltmeister machten die einstige Avantgarde-Frisur 1990 endgültig zum Prollo-Accessoire. Die Beastie Boys erklärten den "Mullethead" 1994 zum Tuning-Trottel, der sich samstags die Spitzen hochgelt und Schlägereien sucht.

Nein, in den Neunzigern mit ihren ausrasierten Nacken und auch sonst eher wieder scharf definierten Geschlechtergrenzen, wirkte der "Frisurenking", wie ihn Die Ärzte verspotteten, rettungslos unzeitgemäß. Nur im Zuhältermilieu und in amerikanischen Trailerparks überlebte der "Kentucky Waterfall", als nostalgischer Mittelfinger gegen den Mainstream.

Joseph Maldonado-Passage, Joe Exotic

Was tun mit dem wuchernden Haar? Wer konnte da ein besseres Vorbild sein, als Joe Exotic, der Hauptdarsteller der Netflix-Doku "Tiger King"?

(Foto: AP)

Bis das Virus kam. Und mit ihm der Hype um die Netflix-Doku "Tiger King", die plötzlich die meist gestreamte Serie der Welt war. Nicht nur brauchte die Welt jetzt dringend etwas Aufmunterung. Sie suchte auch nach Ideen, was mit dem wuchernden Haar zu tun sei. Wer konnte da ein besseres Vorbild sein als Joe Exotic, der Hauptdarsteller der Doku? "Der Vokuhila", sagt Kerr Sutherland, der Berliner Barber, "ist der einzige Schnitt, den man sich halbwegs vernünftig im Spiegel selbst schneiden kann." Viele der neuen Mulletheads haben also vielleicht ganz unbedarft angefangen, mit einem selbst geschnittenen Pony.

Bei genauerer Betrachtung aber passt der Haarschnitt mit seiner vulgären Praktikabilität (freie Sicht nach vorne, warme Decke im Nacken), mit seinem verstörenden Mix aus adrett und ungepflegt, überraschend gut zu dem Spagat aus Privat- und Berufsleben, in dem wir alle seit einem Jahr hängen: Das Anzughemd mit Krawatte zur Jogginghose, der schnell noch aus dem Bild geschobene Wäscheständer, bevor die Videokonferenz losgeht. Was würde diesen Lifestyle stimmiger abrunden als eine Frisur, die schon seit Jahrzehnten mit dem Satz verknüpft ist: "Business in the front, party in the back"?

Davon abgesehen trifft der Haarschnitt einen gesellschaftspolitischen Nerv: Die Überschreitung der Geschlechtergrenzen. "Es ist eindeutig ein non-binärer Schnitt", sagt Sutherland, der zwar nur Herrenhaarschnitte anbietet, aber schon immer viele lesbische Kundinnen hat. Gerade das Macho-Image, mit dem die Frisur einst in die Verbannung geschickt wurde, macht sie jetzt interessant für die Queer-Kultur, die mit den Insignien traditioneller Männlichkeit spielt. Die Haarstylistin Laurie Heaps, die einige der aktuellen Star-Mullets zu verantworten hat, spricht in der amerikanischen Glamour sogar von einer "Renaissance des weiblichen Empowerments".

Auch wer es nicht ganz so hoch einhängen will, kann die Rückkehr der Nackentapete in diesen Zeiten eigentlich nur begrüßen. Und wenn auch nur als guten Anlass, endlich mal wieder zu lachen.

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joe exotic

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