Süddeutsche Zeitung

Virus:Auf die Finger!

Sorgenfrei die Geheimzahl eintippen: Mit Kupferprothesen sollen die Fingerkuppen vor Schmierinfektion geschützt bleiben.

Schmierinfektion! Schon das Wort ist eklig. Es passt also zu der unangenehmen Vorstellung, dass vor ein paar Minuten jemand auf die Tastatur des Geldautomaten gehustet hat und dort nun Viren des Typs Sars-CoV-2 eine Corona-Party feiern. Und nur darauf warten, dass der nächste Kunde vorbeikommt, an dessen Finger sie kleben bleiben können. Weiter geht's beim Popeln in der Nase, da sind schon die anvisierten Schleimhäute. Geschafft, Replikation läuft!

Man braucht kein Mysophobier, also ein Mensch mit krankhafter Angst vor Dreck und Ansteckung durch Bakterien und Viren zu sein, um dieser Tage jeglichen Kontakt mit eventuell kontaminierten Oberflächen vermeiden zu wollen. Auf Edelstahl- und Kunststoffflächen kann das Virus bis zu drei Tage überleben, besagen Studien. Schockierend! Seit einigen Wochen lassen sich daher interessante Vermeidungs-Choreografien im öffentlichen Raum beobachten: Manche drehen zum Eintippen der Geheimzahl die Hand um und benutzen die Knöchel statt der Fingerkuppen - vielleicht ist das wenigstens ein bisschen sicherer? Andere drücken Türklinken nur noch mit dem Ellbogen runter oder bedienen an der Ampel die "Bitte-grün!"-Taste mit der Schulter oder gleich einem Kampfkunst-Sidekick à la Bruce Lee. Schön und gut. Aber wäre es nicht praktischer, einen aseptischen Finger zu haben? Einen Viren-Killer-Zeigefinger, der als Behelf zum Einsatz kommt, wenn man die eigenen Finger lieber von einer Oberfläche lassen will?

Das ist genau das Versprechen von neuartigen Kupfer-Ersatzfingern. Sie sind so neu, dass sie noch gar keine einheitliche Produktbezeichnung haben, außer eben vielleicht: Kupfer-Ersatzfinger. Sie lassen sich wie Schlüssel an den Schlüsselbund hängen und situativ hervorziehen, wenn man ohne Hautkontakt Aufzüge rufen, Geheimzahlen eintippen, Bestätigungs-Signaturen auf Paketdienst-Tablets setzen oder Türklinken drücken möchte.

Das Metall greift Viren und Bakterien an

Die Firma StatGear aus New York nennt ihren Kupferfinger "Hygiene Hand", das funktioniert auch auf Deutsch. Bei der Firma KeySmart aus Illinois heißt das Produkt "Clean Key", also: sauberer Schlüssel. Sogar Türen aufziehen kann man mit so einem Hilfsmittel - mit dem Ellbogen geht das ja normalerweise schlecht. Das Ding hat nämlich einen Haken, der sich um die Klinke legen lässt. Ist das nun eine geniale Designidee oder nur Geschäftemacherei mit der aktuellen Corona-Kontaktphobie?

Sicher ist, dass die Auslieferung der recht hübsch, nämlich halb kantig und halb abgerundet gestalteten Kupferfinger Anfang Mai beginnt, und dass die verwendete Metalllegierung mit einem Anteil von etwas mehr als 60 Prozent Kupfer es dem Virus tatsächlich schwermacht. Die Ionen des Metalls haben eine schädigende Wirkung auf Krankheitserreger, nicht nur auf Bakterien und Pilze, sondern auch auf Viren. In der Wissenschaft nennt man es den "oligodynamischen Effekt".

Der war schon den alten Ägyptern bekannt, wie die wichtigste amerikanische Museums- und Bildungs-Institution Smithsonian auf ihrer Website schreibt: "Die erste Aufzeichnung über Kupfer als infektionsabtötendem Stoff stammt aus dem Edwin-Smith-Papyrus, dem ältesten bekannten medizinischen Dokument der Geschichte. Die Informationen darin werden einem ägyptischen Arzt zugeschrieben, der circa 1700 Jahre vor Christus lebte. Sie basieren auf Daten, die bis zu 3200 vor Christus zurückreichen. Die Ägypter kennzeichneten Kupfer in ihren Hieroglyphen mit dem Anch-Kreuz, es symbolisiert ewiges Leben."

Dem neuartigen Corona-Virus droht auf Kupfer dagegen ein beschleunigtes Ableben. Laut einer Studie des amerikanischen National Institute of Allergy and Infectious Diseases bleibt es auf dem Metall maximal vier Stunden aktiv - im Vergleich zu Kunststoff und Edelstahl erscheint das kurz. Man könnte sich mit so einem Kupfer-Ersatzfinger also in Sicherheit wiegen. Aber vier Stunden sind natürlich immer noch vier Stunden. Das heißt: Wenn man den Kupferfinger nach der Benutzung zurück in die Hosentasche steckt, können Viren am Stoff bleiben. Und wenn man zwei Stunden später gedankenlos mit den Händen in der Hosentasche herumspielt und danach die Augen reibt, droht möglicherweise doch eine Infektion. Wie immer sollte man daher wohl das Kleingedruckte lesen: "Die Benutzung einer Kupferlegierungs-Oberfläche ist kein Ersatz, sondern eine Ergänzung zu den Standardpraktiken der Infektionskontrolle", schreibt KeySmart zum "Clean Key". Die besten Schlüssel gegen das Virus bleiben eben doch: Hände waschen und Finger aus dem Gesicht lassen.

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SZ vom 02.05.2020
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