Süddeutsche Zeitung

Vetements-Jeans:Die begehrteste Hose der Modewelt

Lesezeit: 3 min

Eine umgenähte Levi's 501 kostet jetzt 1150 Euro - die Geschichte eines blauen Wunders.

Von Silke Wichert

So wie frisch gewaschene Jeans beim Tragen langsam ausleiern, scheint sich auch die Schmerzgrenze für Jeans-Preise nach und nach zu dehnen. Nach 99 Euro, dann 160 Euro und schließlich 500 Euro liegt der aktuelle Spitzenwert bei stolzen 1150 Euro - für ein gebrauchtes Paar, wohlbemerkt.

Natürlich geht es hier nicht um irgendein Modell. Es geht um die Jeans, von Vetements, dem französischen Label, das zwar erst seit zwei Jahren existiert, aber in Modekreisen bereits semi-religiös verehrt wird. Die Sachen sind so irrsinnig begehrt, dass irgendwer im Designteam wahrscheinlich gewitzelt haben muss, sie könnten selbst DHL-T-Shirts für 250 Euro unter die Leute bringen. Und genau das machen sie jetzt auch bei Vetements.

Besagte Hosen sind jedenfalls nur auf den ersten Blick irgendwelche gebrauchten Jeans. Bei genauerer Betrachtung sind es zwei gebrauchte Jeans, klassische Levi's-501, die perfekt aufeinander abgestimmt, komplett dekonstruiert und aufwendig von Hand wieder zusammengesetzt wurden. Inklusive modernisiertem Schnitt, asymmetrischem Bund oder Saum, und hübschem, meilenweit identifizierbarem Patchwork-Hintern. Die Vetements-Jeans ist also extrem individuell, und deshalb zurzeit die wichtigste Währung in der Mode. Dafür kann man schon mal 1150 Euro hinlegen.

Viel Minus ergibt irgendwann ein klares Plus

Dummerweise ist die Vintage-Hose allerdings so schnell erfolgreich geworden, dass sie in gewissen Kreisen schon wieder nicht mehr ganz so individuell ist. Bei den letzten Modenschauen in Paris zählte man ein halbes Dutzend alleine in der Front Row. Dabei ist es gar nicht so einfach an die Veredel-Jeans zu kommen. Die Hose wird fast ausschließlich online verkauft (wer so viel Geld für Mode ausgibt, hat längst aufgehört, Dinge anzuprobieren) und ist bei Internet-Shops wie Net-A-Porter oder Stylebop meistens vergriffen. Selbst Second Hand, also quasi doppelt gebraucht, sind die Hosen auf Online-Portalen wie Vestiaire Collective so gesucht, dass der Preis nahezu genauso hoch ist. Als gäbe es auf der Welt keine andere Jeans mehr.

Manche Frauen sehen das allerdings genau so: Die nicht totzukriegenden Skinny-Jeans können Trendsetter schon lange nicht mehr ertragen. Baggy-Jeans aber machen keinen guten Hintern, Schlaghosen bleiben lieber bis zum nächsten Siebziger-Themenabend unter Verschluss. Die alte Levi's-Ästhetik dagegen - hoher Bund, kein Stretch-Anteil, klassisch verwaschen - war so lange "bäh", dass man sie jetzt unbedingt wieder toll finden darf. Das klassische Umkehr-Phänomen der Mode also: Viel Minus ergibt irgendwann ein klares Plus.

Obendrein passt der Trend natürlich auch perfekt ins aktuelle 90er-Jahre-Revival. Damals erlebten gebrauchte Levi's-501 ihre erste große Wiederauferstehung. Horden von Kreisstadt-Jugendlichen fuhren in die nächstgelegene Metropole, um in irgendwelchen Army-Shops 99 Mark für ein gebrauchtes und oft durchlöchertes Paar hinzulegen. Rückblickend erscheint es geradezu niedlich, dass schon dieser Preis so manche Mutter auf die Barrikaden brachte.

Vetements war deshalb auch nicht das einzige Label, das auf die Idee mit den "Customized Vintage-Jeans" kam. Sean Barron und Jamie Mazur haben 2014 in Los Angeles damit begonnen, alte Levi's-Jeans ein bisschen umschneidern zu lassen. Der Bund lässiger, das Bein enger. Das klassische rote Levi's-Schildchen am Hintern ließen sie an Ort und Stelle, am Bund brachten sie ein neues weißes Label mit "Re/Done" an. So verkauften sie die Einzelstücke dann für 250 bis 500 Dollar im Internet - und kamen mit dem Umnähen gar nicht mehr hinterher. Zeitweise standen mehrere tausend Kunden auf der Warteliste.

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, bis Levi's ihnen die Anwälte auf den Hals hetzen würde. Aber es passierte erst einmal nichts. Ein Jahr lang schaute sich der Konzern aus San Francisco den Erfolg der Guerilla-Levi's offenbar ungerührt an, um dann sinngemäß zu verkünden: "Spitzen Idee, Jungs! Lasst uns das Ganze doch ab jetzt zusammen machen." Seit Ende vergangenen Jahres tragen die Hosen also ein neues weißes Schild mit "Re/Done Levi's".

So profitiert Levi's von dem Hype

Levi's-Markenchef James Curleigh lobt derweil die aufregende Zusammenarbeit mit den kreativen Köpfen und wie nachhaltig der Trend zur "Vintage Customization" doch sei. Opportunistisches Laisser- faire könnte man diese Taktik nennen - und sie war das Klügste, was Levi's machen konnte. Das Unternehmen hätte sonst als garstiger Goliath da gestanden, in Zeiten des Social-Media-Shitstorms keine gute Idee. Dafür verdient der Jeans-Hersteller jetzt sogar noch mit am Erfolg. Und durch die coolen Vintage-Hosen ist auch die Marke Levi's (im Denim-Bereich immer noch die größte) wieder angesagter. Nach langer Stagnation steigen zumindest die Umsätze in den Läden wieder.

Nicht, dass das Ur-Label in den letzten Jahren nicht versucht hätte, auch bei anderen Jeanstrends mitzumachen. Es wurden zusätzlich zur Konfektionsgröße verschiedene "Curves" entwickelt. Mit der "501 CT" legte man vergangenes Jahr gar selbst eine überarbeitete 501-Version auf und verkaufte sie mit großem Marketingaufwand - und geringem Erfolg. Beruhigend zu sehen, dass der Zeitgeist manchmal doch noch macht, was er will und selbst entscheidet, wann er etwas wiederentdeckt. Jetzt also hat er das 501-Revival ausgerufen. Zumindest das der "veredelt-gebrauchten".

Wem gerade einfällt, dass er im Schrank noch mindestens zwei alte Levi's rumliegen hat: Designer Demna Gvasalia sagte in einem Interview, Vetements würde vielleicht irgendwann das Schnittmuster für die begehrte Vintage-Hose ins Netz stellen. So sollen Jeans-Liebhaber ihre alten 501 selbst umnähen können, statt mehr als tausend Euro dafür zu bezahlen. Bis jetzt ist im Internet allerdings noch keine Vorlage aufgetaucht.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2927436
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 02.04.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.