Süddeutsche Zeitung

Farbe des Jahres:Ganz neuer Ton

Die Pantone-Farbe des Jahres heißt "Very Peri". Sie ist sehr lila, klingt ein wenig seltsam - und passt perfekt in die Zeit.

Von Silke Wichert

Weiß noch jemand, wie die Pantone-Farbe des Jahres 2020 hieß? Von 2021? Na?

Wer nicht im gut sortierten Malerbedarf arbeitet, hat "Classic Blue" (Blau halt) und "Ultimate Gray + Illumination" (eine Doppelspitze aus Grau und Zitrusgelb für besonders ambivalente Zeiten) wahrscheinlich längst vergessen. Dafür hat die neue Farbe für 2022 "Very Peri" gute Chancen, langfristig im Gedächtnis zu bleiben. Und zwar nicht nur, weil der Name very bescheuert klingt und er eine Flut von lilafarbenen Meldungen ausgelöst hat.

Wobei man Lila laut dem amerikanischen Schöpfer Pantone eigentlich nicht sagen darf. Die Namenskreation Very Peri kommt nämlich von Periwinkle, der englischen Bezeichnung für Immergrün, dessen Blüten zwischen einem blassen Purpurton und Pastellviolett changieren. Irgendwo zwischen Milka-Kuh und Microsoft Teams also. Aber weil es die meisten mit solchen Peti- beziehungsweise Peritessen nicht ganz so genau nehmen, sah Social Media nach der Verkündung letzte Woche sehr lila aus. Wie beim Bingospielen schrien dort Nutzer, Modemarken, Trendagenturen, Frauen-Magazine sofort: "Hab ich!", und präsentierten sämtliche irgendwie lilafarbene Produkte aus ihrem Sortiment, mit denen sie nun ganz weit vorne liegen würden. Auch die Online-Galerie Singulart hatte schnell eine Auswahl von Kunstwerken parat, die farblich perfekt passen.

Eine Ladung triviales Pastellviolett kommt jetzt wie gerufen

Aber brauchen wir in unserer angeblich so individualisierten Gesellschaft mit ihren unzähligen Mikroströmungen ernsthaft noch eine ultimative Modefarbe? Ist das nicht Trendspotting von gestern? Die Wahrheit ist wohl: Wenn immer neue Hiobsbotschaften vermeldet werden, Omikron Weihnachten verhagelt und der Impfstoff knapp wird, kommt eine Ladung triviales Pastellviolett wie gerufen. Keiner weiß, wie die Regelungen der nächsten Wochen aussehen, aber welche Hintergrundfarbe in Werbeanzeigen demnächst dominieren wird, steht jetzt immerhin fest. Vielleicht kann man wie beim internationalen Fußballbetrieb auch hier schnell noch ein paar zusätzliche Schauplätze schaffen: Pastellton des Jahres, Herbstmeister des Jahres, Europafarbe des Jahres. Nur alle zwölf Monate sind doch viel zu langatmige Zyklen von gestern, an die sich nicht mal Virusvarianten halten. In diesen tristen Zeiten brauchen wir dringend mehr Frequenz an bunter Ablenkung.

In erster Linie ist das Ganze natürlich eine Marketing-Nummer der Firma Pantone, die damit nicht nur ein paar Kaffeetassen, sondern jede Menge ihrer standardisierten Farbreproduktionssysteme verkaufen möchte, die vor allem im Mode-, Grafik- und Produktdesign genutzt werden. Tatsächlich denken sich die Experten und Farbpsychologen der hauseigenen Trendforschung aber auch etwas bei ihrer Wahl. Die Farbe soll ja den Moment widerspiegeln, zum Zeitgeist passen, unsere Stimmung illustrieren (wir erinnern uns: 2020 blau, 2021 mehrheitlich grau ...).

Die Entscheidung für Very Peri wird also dementsprechend erklärt: Die Mischung aus dem Vertrauten Blau und dem abenteuerlustigen Rot sei ein Symbol für den Wandel, den wir gerade durchmachen. Nach einer intensiven Zeit der Isolation veränderten sich unsere Vorstellungen und Standards, und unser physisches und digitales Leben verschmelze auf neue Weise. Die Farbe stehe für kühne Neugier, die unseren kreativen Geist belebt, "sie hilft uns, diese veränderte Landschaft der Möglichkeiten anzunehmen, und öffnet uns für eine neue Vision", so Laurie Pressman, die Vizepräsidentin des Pantone-Instituts.

Wer will da nicht sofort die Wände lila streichen, um seinen persönlichen Aufbruch zu signalisieren? Den violetten Lidschatten auftragen, nur noch das lila Herzchen als Emoji verwenden und Zoom (Logofarbe Blau - so very 2020) sofort gegen Microsoft Teams tauschen, dessen lilafarbenes Symbol sich in den letzten Monaten auf unsere Displays geschlichen hat?

Vielleicht kein Zufall, dass Microsoft Teams very peri aussieht

Letzteres ist ein, nun, interessanter Zufall. Denn Microsoft wird Very Peri in Kooperation mit Pantone jetzt tatsächlich sogar in Bildschirmschoner und seine App-Hintergründe integrieren.

Auf der anderen Seite: Lila, Violett oder wie man es nennen möchte, deutete sich tatsächlich schon als Trendfarbe die letzten Monate an. Bei der Inauguration von Joe Biden trugen seine Frau, Kamala Harris und Hillary Clinton allesamt Varianten dieses Farbtons. Lady Gaga wählte bei der "House of Gucci"-Premiere eine leuchtend lila Robe, zuvor hatten Jared Leto und sein Schauspielkollege Daniel Kaluuya bei den Sag Awards beide Anzüge in Deep Purple an. Letzteres war besonders denkwürdig, ist Lila ja traditionell nicht die testosterongetränkteste Farbe, sondern eher ein Zeichen der Frauenbewegung. Das könnte den Aufbruch in bunt gemischtere Zeiten zwischen den Geschlechtern markieren. Genau damit muss Very Peri jetzt natürlich weitermachen.

Überhaupt lastet viel auf der neuen Farbe des Jahres. Mit ihr wurde erstmals seit 23 Jahren eine neue Schattierung kreiert, die so vorher nicht im Farbfächer vorhanden war. Ganz neue Zeiten erfordern eben ganze neue Töne. Die Nummer 17-3938 soll nicht weniger als den Weg raus aus der Tristesse, rein ins aufregende digitale Metaverse weisen. Und hatte Annalena Baerbocks Kleid bei der Ministervereidigung nicht auch einen Hauch Very Peri? Aufbruch, Wandel, Kreativität, wenn das kein gutes Omen ist.

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