Veronica Etro:Muster an Beständigkeit

Die Italienerin hat nie davon geträumt, Modedesignerin zu werden. Schließlich lag der Job von Haus aus ja ganz nah. Ein Atelierbesuch in Mailand.

Von Dennis Braatz

Normalerweise läuft es am Tag vor der Show so: Im Atelier erwarten Schneider und Assistenten den ewig verspäteten Chefdesigner, der eigentlich nur letzte Kleinstveränderungen an der Kollektion vornehmen soll, dann aber doch noch eine Handvoll Looks komplett umschmeißt. Nähte müssen wieder aufgetrennt, aus Hosen ganze Röcke gemacht und manchmal sogar Kleider mit Filzstiften eingefärbt werden. Nichts ist fertig. Panik bricht aus. Nachtschicht.

Bei Etro geht das anders. Hier sammelt am Donnerstagmittag die Chefin selbst die letzten Stoffschnipsel vom Atelierboden auf. Draußen auf der Via Spartaco brummt der Mailänder Fashion-Week-Verkehr, drinnen wirkt das Atelierpersonal so entspannt, als begännen gleich die Sommerferien. Die Kollektion ist fertig, hängt schon zum Abtransport auf Kleiderbügeln. Ein bisschen Schmuck fehlt noch, dafür hat Veronica Etro aber bereits festgelegt, welches Model welchen Look vorführen soll.

Veronica Etro in her office

Veronica Etro in ihrem Büro in Mailand.

(Foto: Fabio Massimo Aceto/LUZ/fotogloria)

Sie selbst trägt an diesem Tag eine luftige Seidenbluse, klimpernde Holzarmreifen und das braune Haar mit Fernseh-Glanz. "Wenn du mir heute sagen würdest, dass ich morgen keine Show machen müsste, wäre ich happy." Sie schmunzelt. Das Wort Show ist hier im doppelten Sinne zu verstehen. Etro hält nicht viel vom Modezirkus, der Hektik und dem großen Auftritt. Weshalb sie am nächsten Tag, sobald die Kollektion über den Laufsteg geschickt ist, mit ihrem Mann und den beiden Söhnen für ein Wochenende aufs Land fährt. So will es die Tradition. Angesichts dessen, was man sonst so aus der Branche kennt und hört, ist das schon mal schwer in Ordnung. Angesichts ihrer Biografie sogar verständlich.

Veronica Etro, 42, hat von diesem Job nie geträumt, wie es andere tun. Irgendwie sei sie da reingerutscht, "aber ganz natürlich", betont sie. Ihr Vater Gimmo war Stoffdesigner, brachte von einer Indien-Reise einige Vintage-Stücke mit Paisleymuster mit. 1968 gründete er sein eigenes Unternehmen, druckte das Muster erst auf Stoffe, Taschen. 1986 kam eine eigene Homewear-Linie, wenig später erste Herren- und Damenkollektionen. Die stilisierten und halb aufgerollten Palmblätter wurden zum Markenkern. "Wir müssen unseren Namen nicht auf Produkte drucken, wir haben das Paisley", sagt Veronica Etro.

Etro - Backstage - Milan Fashion Week SS17

Für die Marke ist das Paisleymuster typisch, hier das Moodboard zur nächsten Sommerkollektion.

(Foto: Getty Images)

An den Moment, als sie zum ersten Mal mit dem Muster in Kontakt kam, erinnert sie sich genau: "Ich war sechs Jahre alt, und mein Vater zeigte mir Stoffe. Er wollte wissen, welcher mir am besten gefällt", sagt sie. "Für mich war das damals hier alles ein großer Spielplatz. Ich habe aus den Stoffresten kleine Puppen gebastelt."

An der Deutschen Schule in Mailand, die damals den besten Ruf in der Stadt hatte, machte sie ihr Abitur (ab und zu wechselt sie auch im Interview ins Deutsche). Mit 19 Jahren ging sie nach London, studierte am berühmten Central Saint Martins College für Kunst und Design; Stella McCartney war eine Klasse über ihr. Was ihr damals gefiel, sei die Tatsache gewesen, dass es nicht allein ums Kleidernähen ging, sondern auch darum, wie Farben und Muster miteinander funktionieren. 1997 machte sie ihren Abschluss, kurz darauf rief die Familie sie zurück.

Ihre drei älteren Brüder hatten inzwischen in der Firma begonnen. Heute führen sie die Geschäfte zu viert, der Vater hat sich zurückgezogen. Etro ist eines der letzten italienischen Modehäuser, das noch komplett in Familienhand liegt: Jacopo kümmert sich um die Accessoires und die Homewear, Kean um die Menswear, Ippolito sitzt im Vorstand, Veronica entwirft die Frauenlinie. Seit 2000 macht sie das in Eigenregie und nicht eine Saison ohne das Paisleymuster.

Das Paisleymuster

Es gehört zu den ältesten Mustern überhaupt, wenn es um Bekleidung geht: Frühe Beispiele gehen auf das Jahr 1500 zurück und stammen aus dem persischen Raum. Die Grundform ist ein Palmblatt mit spitz zulaufendem und gebogenem Ende. In den USA nennt man das Muster "persian pickles". In Europa kam es zu seinem Namen, weil es im 19. Jahrhundert in der schottischen Stadt Paisley hergestellt und verarbeitet wurde; britische Soldaten brachten es aus Indien mit. In der Luxusmode wurde das Muster erstmals 1968 von Gimmo Etro aufgegriffen. Später arbeiteten Dolce & Gabbana damit, aber auch Gucci und Raf Simons für Jil Sander. Zuletzt Stella McCartney, Haider Ackermann und Acne. Es ist längst zum Klassiker geworden.

Ob sie sich vorstellen kann, das Muster ein einziges Mal wegzulassen? Die Frage beantwortet sie mit freundlicher Strenge: "Nein!" Kunstpause, erhobener Zeigefinger, Lächeln. "Wenn eine Kundin bei uns in den Laden kommt, will sie das Paisley sehen. Es ist mein Job, ihre Erwartung zu erfüllen." Etro findet es völlig in Ordnung, nicht jedem neuen Trend hinterherzujagen. Für sie ist Paisley auch nach all den Jahren noch nicht langweilig, sondern eine beständige Mission. Mal interpretiert sie es mit Blumen romantisch, mal mit Karos rustikal. Die Grundaussage bleibt gleich: "Wenn ich an Paisley denke, dann an Rockbands, an Jimmy Hendrix, an 1968, Freiheit und Revolution."

Etro-Kollektionen sind immer zu 80 Prozent Hippie und deshalb im Sommer stärker als im Winter. Flatterdünne Seidenkleider und Tops lassen sich mit dieser Idee nun mal besser vereinen als dicke Wintermäntel.

Bedenkt man jetzt, dass sich die meisten Luxusmarken inzwischen immer hysterischer neu erfinden, kann man Etros Ansatz repetitiv finden. Oder aber: extrem fokussiert. Fakt ist, dass gerade immer mehr Häuser Umsatzeinbrüche vermelden mussten, darunter Prada, Burberry und zuletzt sogar Chanel. Etro konnte den Umsatz erneut steigern, um sieben Prozent auf knapp 320 Millionen Euro. Ein Minus gab es in den letzten Jahren nie.

Signora Etro scheint also sehr genau zu wissen, für wen sie da arbeitet. Im nächsten Sommer serviert sie ihren Kundinnen das Paisleymuster auf Kaftanen, Ponchos und zu Streifen. Sie zeigt jeden Look einzeln, hebt besonders eine Kurzjacke mit Troddeln am Bund zur Pyjamahose hervor, und einen Morgenmantel zur Bikerröhre.

Wie sie es wohl finden würde, wenn ihre Söhne später ebenfalls ins Unternehmen einsteigen wollten? "Die interessieren sich eigentlich nur für Autos", lacht Etro. Dann fällt ihr auf, dass sie die beiden auch noch nie zu einem Defilee mitgenommen hat. "Vielleicht ja morgen, da haben sie früher Schulschluss." Schule ausfallen lassen für die Show der Mama: "Kommt für mich nicht infrage."

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