Er wiegt nur 140 Gramm, doch der "Heilige Gral" soll dabei helfen, die Welt zu retten. Für diese Mission kommen seine Jünger gerne ins Curio, ein dunkles Lokal mit angeschlossener Konzerthalle im Mission District von San Francisco. Hier - und in weiteren 5000 Restaurants in den USA, Hongkong und Macau - gibt es ihn: den "Impossible Burger". Der Bratling, der zwischen zwei Brötchenhälften mit Tomatenaufstrich, halbierten Champignons, glasierten Zwiebeln und einer Scheibe Raclettekäse zum Gericht namens "Heiliger Gral" wird, soll es besser machen als jede Kuh. Schließlich ist er kein gewöhnlicher Fleischklops, sondern Inbegriff des feel good, der beweisen soll: Es geht ohne Tier. Und das besser als je zuvor. Denn der neue Burger kommt jetzt aus dem Labor.
Der Burger auf der Speisekarte ist so etwas wie ein lässiger Onkel. Unkompliziert, weil man den Burger mit den Händen isst. Vielseitig, weil es ihn auch mit Entenbrust oder Ziegenkäse belegt gibt. Und gern gesehen, ob bei Geschäftsessen oder am Valentinstag. Das macht ihn zu einem der erfolgreichsten Gerichte der westlichen Welt. Ob als Edelversion oder Fastfood - er ist so beliebt, dass selbst diejenigen, die kein Fleisch essen, nicht darauf verzichten möchten. Deswegen arbeiten sich Köche seit Jahren weltweit an einem kulinarischen Kompromiss ab: dem Veggie-Burger.
App-Restaurant:Essen aus dem Automaten mit Salz von der Theke
In einem neuen Berliner Lokal zieht sich der Gast übers Handy bestelltes Essen aus einem Fach. Ein Gastro-Konzept, das auf den zweiten Blick überzeugt - sogar geschmacklich.
Sie formen Pflanzerl aus Kichererbsen, Sojagranulat, Quinoa, roten Linsen, Weizenprotein, schwarzen Bohnen, Seitan, Roter Beete, Lupinen, Grünkern - mit unterschiedlichem Erfolg. Das Ergebnis mag hübsch aussehen, doch ist oft dermaßen trocken, dass es beim Angucken in seine Einzelteile zerfällt. Weil das Lieblingsgericht aber nicht nur was für das gute Gewissen ist, sondern auch ein Milliardengeschäft, forschen Start-ups in den USA, den Niederlanden, Israel oder Deutschland in ihren Labors am bestmöglichen Fleischersatz. Der Auftrag: Es soll nach Fleisch schmecken, aber keins sein. Und falls doch, soll kein Tier dafür sterben, was viel kostet. Als die Uni Maastricht ihren In-Vitro-Burger aus Kunstfleisch 2013 vorstellte, hatte sie dafür 250 000 Euro ausgegeben.
Für den veganen "Impossible Burger" zog sich Firmenchef Patrick Brown zwei Jahre in sein Labor zurück, nur um mit seinem Team die Frage zu klären: Warum essen wir eigentlich so gerne Fleisch?
Seine Antwort: Hämoglobin, auf Englisch Heme. Der eisenhaltige Blutfarbstoff ist in allen Tieren und Pflanzen zu finden, im Tierfleisch aber in besonders hoher Konzentration. Er macht das Fleisch für Menschen erst schmackhaft. Die Lust auf Fleisch sei eigentlich die Lust auf Hämoglobin, erklärt Brown, der seine Arbeit als Biochemiker an der Stanford Medical School unterbrach, um im Silicon Valley mit seiner eigenen Firma am alternativen Burger zu arbeiten. Das neue Hämoglobin stammt aus der DNA von Sojawurzeln, das genetisch angepasster und fermentierter Hefe entnommen wird, so wie manches belgische Bier. Statt Alkohol zu produzieren, wird daraus aber Heme. Die Liste der Zutaten - Weizen- und Kartoffelprotein, Wasser, Kokosnussöl und diverse Vitamine - klingt eher nach Labor als nach Natur, doch vermischt man alles, entsteht daraus ein veganer Burger, der aussieht, als würde er bluten und der beim Braten auch brutzelt.
"Anfangs waren wir damit gar nicht zufrieden", sagt Nick Halla, Chief Strategy Officer von Impossible Foods. "Aber schon ein Jahr später konnten unsere Testesser den Unterschied zwischen Fleisch und Impossible Burger nicht mehr erkennen." Das fertige, aber erklärungsbedürftige Produkt sollte zunächst in Restaurants getestet werden, daher verteilten sie das Nicht-Fleisch erst einmal an bekannte Köche wie David Chang, der es neugierigen Gästen in seinem New Yorker Lokal "Momofuku Nishi" servierte. Das war 2016. Inzwischen bietet sogar die Fastfoodkette Whitecastle den Heme-Burger an, für 1,99 Euro, es gibt ihn in koscher und halal, und bald schon soll er im Laden liegen. Besser sein, als es Fleisch je sein kann - Patrick Brown und sein Team aus mehr als hundert Wissenschaftlern, Ingenieuren und Produktmanagern haben sich ein großes Ziel gesetzt. Nächste Station: Schwein, Fisch, Milchprodukte.
Aber schmeckt das Ersatzfleischmonstrum auch? "Der ist genmanipuliert", flötet die Bedienung im Curio, als sie den "Impossible Burger" für 19 Dollar auf den Tisch stellt. Jenseits des Silicon Valleys würde man den Teller vermutlich zurückgeben. Doch dann liegt da ein Patty, das schön saftig ist mit knuspriger Kruste und einer faserigen Konsistenz. Der Burger schmeckt nicht wie Fleisch; im Mund wird schnell klar, dass es "etwas anderes" ist, auch wenn einem geschmacklich nichts fehlt. Erst wenn man ihn ohne Brötchen, Belag, Soßen verkostet: Ohne Drumherum muss man dieses Ding nicht unbedingt essen. Damit hat er das gleiche Problem wie der "Beyond Meat"-Burger, eine ebenfalls vegetarische Version, dessen blutrote Farbe von Roter Beete stammt und der inzwischen sogar im Yankee Stadium in New York verzehrt wird. Sehr fleischnah, aber ziemlich fad, wenn man ihn nicht unter Brötchen, Zwiebeln, Salat und Soße versteckt.
Auch in Deutschland wird am Burger der Zukunft gearbeitet. Schließlich leben geschätzt 6,3 Millionen Deutsche weitgehend fleischfrei bis konsequent vegetarisch, zudem gibt es etwa eine Million Veganer. Und dann sind da noch Flexitarier, die ab und an Fleisch essen. Bei einer weltweiten Umfrage 2018 erklärten immerhin 37 Prozent der Deutschen, künftig pflanzenbasierte Produkte als Ersatz für Fleisch essen zu wollen.
Einer der Unternehmer, die gerade versuchen, den Markt der Pflanzenpattys weiter zu optimieren, ist Mazen Rizk aus Berlin, 33 Jahre alt und Doktor für Technische Mikrobiologie. Er stellt sich die gleiche Frage wie Patrick Brown: Wie sollen wir bald neun Milliarden Menschen ernähren? "Essen aus dem Labor mag künstlich klingen, aber es ist gesund und nachhaltig, man kann schneller und wetterunabhängig große Mengen herstellen mit einer höheren Versorgungssicherheit. Wir können darüber hinaus genau kontrollieren, wie viel Protein oder Ballaststoffe in den Produkten enthalten sind, um den Menschen bestmöglich damit zu versorgen", sagt Mazen Rizk.
Er setzt dafür auf Pilze. Seit März 2018 versucht er mit seinem Start-up "Mushlabs" daraus fleischähnliche Nahrung herzustellen. "Ich liebe Pilze", sagt der Libanese, der 2010 nach Deutschland gekommen ist. "Damit bekommt man den fleischigen Umami-Geschmack hin." Dafür werden die Pilzzellen mit Rohstoffen wie Bananenschalen oder Kaffeesatz fermentiert; der Masse, die übrig bleibt, entzieht man dann das Wasser. Zurück bleibt ein Teig, den man trocknen und als Pulver nutzen kann, oder aus dem man zum Beispiel Frikadellen formt.
Umweltschutz:Gutes von gestern
Nachhaltigkeit? Heute geht es vor allem um Ego und Lifestyle - und nebenbei um die Rettung der Welt. Dabei war es schon mal ganz selbstverständlich, nicht blind zu verbrauchen.
Noch ist daraus kein Burger geworden, gemeinsam mit einigen Köchen arbeitet Mazen Rizk derzeit an einem Prototyp. Der Erste soll im Herbst 2019 in Restaurants angeboten werden. Ähnlich wie bei Impossible Foods will auch Rizk sein Produkt erst in Restaurants servieren lassen; er fürchtet, wenn der Kunde direkt im Laden mit Essen aus dem Labor konfrontiert wird, könnte er zu viele Berührungsängste haben. "Unsere Pilzburger haben eine große Gemeinsamkeit mit Bier und Brot: Sie sind fermentierte Lebensmittel", sagt der Unternehmer. "Aber nicht jeder kann sich etwas darunter vorstellen." Seiner Meinung nach müsse künftig nicht alles Fleisch aus dem Labor kommen, das sei nicht die alleinige Lösung in Hinsicht auf die weltweite Versorgungslage. "Aber die Kombination von Laborfleisch, pflanzlichen Proteinquellen und Pilzen wird eine bedeutende Alternative zur herkömmlichen Fleischindustrie sein," sagt Mazen Rizk.
Mit Klimawandel und Weltbevölkerung argumentieren inzwischen sogar die großen Fleischanbieter, das Unternehmen Rügenwalder Mühle zum Beispiel - bekannt für Wurstprodukte - fährt seit Monaten eine große Kampagne, um seine Veggie-Burger aus Soja und Weizengluten zu bewerben. Auch dabei geht es weniger um die Weltrettung als ums Geschäft. Allein in Deutschland wurden 2018 mit vegetarischen und veganen Lebensmitteln knapp 960 Millionen Euro Umsatz gemacht. Und der Markt wächst: 2016 entfielen 20 Prozent aller neu eingeführten Fleischwaren hierzulande auf Produkte aus Fleischersatz. 2011 waren es noch sechs Prozent.
Die entscheidende Frage: Wie kann man Fleischesser für vegane Produkte begeistern?
Dass es nicht unbedingt ein Labor braucht, um einen guten vegetarischen Burger hinzubekommen, beweist hingegen die österreichische Firma Vegini, eine der wenigen, die auf Soja und Weizen verzichten. Sie nutzen Erbsenprotein für ihre Fleischersatzprodukte. "Für uns kommen nur Rohstoffe aus der EU in Frage, die Erbse ist im Gegensatz zu Soja optimal an das wechselhafte europäische Klima angepasst", sagt Andreas Gebhart, der Geschäftsführer. "Wir verarbeiten einen Rohstoff, bei dem nicht über Gentechnik, Hormone und Allergene diskutiert wird."
Gebhart stammt aus einer Metzgerfamilie aus der Nähe von Konstanz, die Firma übernahm er von Vater und Großvater. Doch mit 36 Jahren erfüllte er sich einen Traum: Er verkaufte das Familienunternehmen und begann, Lebensmitteltechnologie zu studieren. Nach einem Zwischenstopp bei einer Firma, die unter anderem Milchproteine als Rohstoff für Lebensmittel herstellt, stellte er sich die Frage: Wie kann ich mich als Fleischesser für vegane Produkte begeistern? "Jedes Kilo Fleisch, das nicht gegessen wird, ist der richtige Schritt in die Zukunft", sagt Gebhart.
Auf dem Firmengelände nahe Amstetten in Niederösterreich arbeiten mittlerweile 50 Mitarbeiter an veganen Burgern, Schnitzeln oder pulled chunks, also Putenbruststreifen ohne Pute. Erbsenprotein, Erbsenfasern, Trinkwasser, Kartoffelstärke, Sonnenblumenöl, Salz: Mehr braucht es nicht. Auch die Marinaden stellen sie selbst her. Nach eigenen Angaben wird für ein Kilo Vegini-Fleisch im Gegensatz zu einem Kilo Rindfleisch zwölf Mal weniger Wasser und 75 Prozent weniger Land verbraucht und 60 Prozent weniger CO² ausgestoßen. Mit diesem Ergebnis hebt sich die Firma von vielen Veggieburgern aus dem Convenience-Bereich ab. Selbst wenn auch er ohne Drumherum nicht so schmeckt wie ein Rindfleischburger und seine Konsistenz an Putenfleisch erinnert, saftig mit gutem Biss: Er schmeckt.
Der Veggie Burger, das war mal die farb- und geschmacklose Variante des "echten" Burgers. Die Firmen werden weiter am perfekten Nicht-Fleisch tüfteln. Und ihre Kunden davon überzeugen müssen, dass die Zutaten für den heiß geliebten Burger in klima- und tierfreundlich nicht immer aus dem Gemüsegarten kommen, sondern auch mal aus der Petrischale.