Vegetarismus:Die Veggie-Wurst hat einen Haken

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Diese Soja-Würste kommen dem Original optisch schon mal sehr nahe.

(Foto: Westend61/Imago)

Vegetarische Teewurst, Tofu-Nuggets, Seitan-Gyros: Die Industrie setzt viel daran, Produkte herzustellen, die dem Fleisch möglichst nahe kommen. Warum? Das kann nur eine Übergangslösung sein.

Von Felicitas Kock

Wer heute in den Supermarkt geht, kommt an Fleischersatzprodukten kaum mehr vorbei. Der Aufwand, möglichst originalgetreue Imitate von Fleisch und Wurst herzustellen, ist immens - als hinge die Zivilisation davon ab, dass sich vegetarische Bolognese beim Kauen anfühlt wie das fleischhaltige Original. Ein Stück weit stimmt das sogar: Der Mensch muss dringend seinen Fleischkonsum einschränken, wenn er den Planeten nicht weiter zerstören will. Aber ist das Veggie-Ersatzprodukt, die "Wie"-Wurst also, wirklich das richtige Mittel?

Noch vor wenigen Jahren wartete im Kühlregal allenfalls etwas Tofu (aus Soja) oder Seitan (aus Weizen) auf einen Birkenstock tragenden Käufer. Es firmierte nicht als Wie-Fleisch, sondern ganz im Gegenteil, als Anti-Fleisch. Heute versucht es, dem Klassenfeind möglichst nahezukommen. Die Auswahl an Fleischersatz aus Soja und Weizen mutet geradezu absurd an. Für fast jede Fleisch- oder Wurstware gibt es ein Surrogat: Das "Bio Veggie Gulasch" reiht sich an "Veggie Döner Kebap", "vegetarische Teewurst" und "veganes Schnitzel".

Der Einstieg der großen Wurst-Hersteller im Jahr 2015 hat den Trend noch einmal verstärkt. Als erstes größeres Unternehmen der Branche setzte damals Rügenwalder Mühle auf fleischlose Produkte - und macht mittlerweile 20 Prozent des Umsatzes damit. Firmenchef Christian Rauffus sagte gerade der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, er könne sich sogar vorstellen, in 20 Jahren ganz ohne Fleisch zu arbeiten.

Die Ersatzprodukte sollen nicht nur genauso schmecken wie das Original. Sie sollen sich auch so anfühlen und so aussehen - von der Form über die Farbe bis zur Verpackung. Dabei könnte man theoretisch auch Fleischersatz in Regenbogenfarben und Schmetterlingsform herstellen. Die Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) im niedersächsischen Quakenbrück, die mit vielen Mittelständlern zusammenarbeiten, nutzen etwa ein Verfahren namens Extrusion: Sojamehl wird mit Wasser vermengt, erhitzt und gepresst, die Masse dann durch eine Kühldüse getrieben. Am Ende kommt ein heller Teig mit faseriger Konsistenz heraus. Damit das Mundgefühl stimmt. Die Textur ist in dieser Phase die einzige Ähnlichkeit, die der Teig mit echtem Fleisch hat. Erst dann werden Aromen und Farbstoffe hinzugegeben. Ganz nach den Vorstellungen der Wursthersteller.

Der Erfolg des Imitats lässt sich leichter verstehen, wenn man die Hintergründe des Veggie-Booms betrachtet: Mehr als ein Drittel der Haushalte in Deutschland reduziert inzwischen bewusst den Verzehr von Fleisch, heißt es in einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Die meisten von ihnen sind keine Vegetarier, sondern Flexitarier, die den Fleischkonsum zwar einschränken, aber nicht ganz einstellen. In beiden Gruppen dominieren ökologische und ethische Gründe für den Fleischverzicht, bei älteren Verbrauchern auch die Sorge um die Gesundheit. Die wenigsten von ihnen - laut einer Umfrage der Universität Jena nur elf Prozent - verzichten auf Fleisch, weil es nicht schmeckt. Heißt im Umkehrschluss: Die meisten Vege- und Flexitarier verzichten auf etwas, das sie eigentlich mögen.

Wer selbst als langjähriger Fleischesser eine Zeit lang Verzicht geübt hat, dürfte das Problem kennen, das sich aus derlei Selbstkasteiung ergibt: Manchmal wird die Lust auf, sagen wir, eine Bratwurst sehr groß. Wer dann nicht von seinen ethischen Prinzipien abweichen will, dem kommt die Pseudo-Bratwurst aus Weizen durchaus gelegen. Klar, sie schmeckt nicht wirklich wie Wurst. Sie fühlt sich im Mund auch nicht wirklich wie Wurst an. Aber mit genug Soße und der richtigen Einstellung spendet das Ersatzprodukt zumindest so viel Trost, dass man danach wieder eine Weile auf Gemüsebasis leben kann.

Warum ein Maiskolben manchmal nicht reicht

Der Aufwand, der betrieben wird, um ein Lebensmittel zu erschaffen, das ein anderes imitiert, mag absurd erscheinen. Aber das Fleischersatzprodukt ergibt - zum gegenwärtigen Zeitpunkt - durchaus Sinn. Es ermöglicht einer wachsenden Zahl von Vegetariern, an einer karnivoren Gesellschaft teilzuhaben, ohne sich besonders umstellen zu müssen. Im Gegensatz etwa zur Küche Indiens dreht sich unser Essen größtenteils um Fleisch. Ohne Fleisch erscheint uns ein Gericht nicht als wertig. Das tote Tier ist das Zentrum, um das wir unsere Mahlzeiten bauen. Alles andere ist Beilage. Was passiert, wenn man das ändern will, durften zuletzt die Grünen vor der Bundestagswahl 2013 erfahren, als sie mit ihrer Idee scheiterten, einen allwöchentlichen Veggie-Day in deutschen Kantinen einzuführen.

Um bei der Bratwurst zu bleiben: Natürlich könnte man auch einen Maiskolben essen oder ein Stück Grillkäse. Glückliche Vegetarier, die keine Lust nach Fleisch verspüren, tun das. Aber traditionsbedingt fleischlüsternen Veggies reicht das oft nicht: Ein Maiskolben schmeckt nicht nur nicht wie Wurst - er versucht es nicht mal. Und er lässt sich weder vernünftig in Grillsoße dippen noch vor dem Verspeisen in ein Brötchen legen. Das ganze Grillerlebnis ist ohne (Veggie-)Wurst ein anderes.

Ganz zu schweigen von der sozialen Komponente: Wer als Vegetarier mit Fleischessern grillt, fühlt sich schnell als kulinarischer Außenseiter. Das ist, wenn man nette Freunde hat, nicht schlimm - nur anders. Angenehmer ist aber, wenn man kein Gemüsepäckchen in Alufolie braten muss, sondern eine unauffälligere Extra-Wurst, die genauso aussieht und sich genauso handhaben lässt wie das Original.

Drei Gründe, die gegen den Fleischersatz sprechen

Es gibt also viele Gründe, die für das Ersatzfleisch sprechen. Nur hat die Sache einen Haken: An dem eingangs beschriebenen Absurd-Gefühl, das die Fleischimitate hervorrufen (Teewurst aus Soja? Wirklich?) ist durchaus etwas dran. So mag sich der Genuss von Wie-Wurst für den bewussten Konsumenten ethisch richtiger anfühlen als der Genuss echter Wurst. Ein leichter Grusel bleibt trotzdem.

Erstens, weil es sich bei den Wie-Produkten meist um stark verarbeitete Lebensmittel handelt. Und die passen nicht zu Konsumenten, die sich bewusst ernähren. Stiftung Warentest zeichnete Ende September nur sechs von 20 vegetarischen Schnitzeln, Würsten und Frikadellen mit dem Urteil "gut" aus. Ökotest hatte im Mai sogar nur eines von 22 Produkten als gut bewertet. Als Grund für das schlechte Abschneiden nannten die Verbraucherschützer vor allem Mineralölrückstände, die in vielen Produkten gefunden wurden. Die müssen nicht zwangsläufig schädlich sein, wie die Hersteller und auch unabhängige Experten betonen. Tatsächlich überprüft wurde das aber bislang nicht.

Auch wenn keine Schadstoffe zu finden sind, lässt der Blick auf die Zutatenliste einer durchschnittlichen Veggie-Wurst den bewussten Konsumenten erschaudern: Neben den Grundstoffen Soja und Weizen braucht es oft Verdickungsmittel, um die Wurst oder Schnitzel in Form zu halten. Außerdem Aromen, Farbstoffe, Säureregulatoren, Zucker sowie sehr viel Salz und Glutamat, um Würze in die Masse zu bekommen, die sonst nur nach Pappe schmecken würde.

Zweitens, weil ein Ersatzprodukt eben immer nur ein Ersatzprodukt ist. "Das Wie-Fleisch wird nie an echtes Fleisch heranreichen und das weiß der Konsument, auch wenn er vielleicht versucht, es zu verdrängen", sagt etwa der österreichische Food-Designer Martin Hablesreiter. "Ersatzprodukte werden traditionell eher abgelehnt. Man will immer das Original haben." Wer sich insgeheim nach Fleisch sehnt, so könnte man das herunterbrechen, für den fühlt sich Wie-Fleisch eben nicht an wie Fleisch. Sondern wie Wie-Fleisch. Und das ist auf lange Sicht eher frustrierend.

Das führt dann auch zum dritten, eher langfristig gedachten Argument gegen den dauerhaften Erfolg des Fleischimitats: Wenn immer mehr Menschen ihren Fleischkonsum verringern - und in diese Richtung bewegen wir uns gerade tatsächlich - dann wird Fleisch in unserer Gesellschaft eine viel geringere Rolle spielen. Dazu tragen die Fleischersatzprodukte bei. Sie sind aber kein Selbstzweck. Einfacher gesagt: Wenn wir uns bald, in ferner Zukunft, nicht mehr nach Fleisch sehnen sollten, weil wir uns entwöhnt haben - dann brauchen wir auch keinen Fleischersatz mehr. Wenn unsere Freunde keine Würstchen mehr grillen, geraten wir nicht mehr in Versuchung, uns anpassen zu wollen.

Was wir dann essen werden? Zum Beispiel Gemüse. "Das ist eine Alternative zu Fleisch", sagt Hablesreiter, "und die macht eindeutig mehr Sinn als ein Ersatz." Aus der Sicht unserer vornehmlich karnivoren Gesellschaft mag eine auf Gemüse basierende Ernährung abwegig erscheinen."Heute Abend gönne ich mir eine Möhre" - wer denkt so etwas schon? Aber wenn die bereits begonnene Werteverschiebung hin zu einem vegetarischen Alltag voranschreitet, könnten Gemüsegerichte durchaus eine Aufwertung erfahren. Und wenn Gemüse nicht mehr nur als Beilage gedacht wird, wird auch die Experimentierfreude größer werden, sodass wirklich gediegene Hauptgerichte entstehen. Ohne Fleisch - und ohne Ersatzfleisch.

Als Schritt in diese Richtung könnte man auch die Ankündigung von Rügenwalder-Chef Rauffus verstehen, er wolle künftig auch Produkte herstellen, die tatsächlich nach ihren Bestandteilen schmecken - also nicht nach Wurst, sondern nach Erbsen, die er künftig verstärkt einsetzen will.

Und wer weiß, vielleicht werden wir uns am Ende sogar alle paar Wochen ein echtes Stück Fleisch gönnen. Mit gutem Gewissen. Weil wir mit unserem stark eingeschränkten Fleischverzehr dann nicht mehr die Umwelt zerstören und weil Bauern dann keine ethisch fragwürdige Massentierhaltung mehr betreiben müssen, um einen riesigen Fleischhunger zu stillen wie heute. So könnte in einer echten Verschiebung hin zum Vegetarismus auch eine Chance für das Fleisch liegen, wieder zu dem zu werden, was es einst war. Ein Lebensmittel, das wirklich etwas wert ist.

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