Veganer Imbiss:Attila Hildmann: Er las, zürnte und heulte

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Der vegane Koch hat in Berlin eine neue Imbissbude eröffnet. Die Meinung einer Testerin macht ihn erst wütend, dann traurig - ein gutes Beispiel für die schwierige Beziehung zwischen Köchen und Kritikern.

Von Franz Kotteder und Antonie Rietzschel, Berlin

Attila Hildmann befindet sich in bester Gesellschaft. Denn der vegane Starkoch, der in Berlin gerade eine neue Imbissbude eröffnet hat, war erzürnt über den Tagesspiegel. Der hatte eine Kritik über den Imbiss gedruckt, beziehungsweise, in Hildmanns Worten: einen "dreckigen Kackartikel". Wer meint, dieser Jargon passe vielleicht in eine Imbissbude, nicht aber zu einem gehobenen Sternelokal, täuscht sich. Thierry Marx, Chef des Pariser Zwei-Sterne-Restaurants Sur-mesure by Thierry Marx nannte die publizistischen Verächter seiner Version der Molekularküche in einem Interview 2010 zum Beispiel schon mal "Fotzen und Essigpisser".

Trotzdem sind die Tiraden des deutschen Protagonisten der veganen Küche ungewöhnlich. Eine derartige Aggressivität wird in Veganer-Kreisen normalerweise eher Fleischfressern nachgesagt, weshalb Hildmanns Facebook-Post zu der Angelegenheit bei eher sanften Naturen nicht so gut ankam. Daraufhin lud Hildmann am Mittwoch zur Pressekonferenz in sein Charlottenburger Restaurant. Dort kamen dem Mann, der gerne mit Pumpgun posiert und der Tagesspiegel-Kritikerin seine Pommes in die "Wannabe-Journalisten-Visage" stopfen wollte, die Tränen.

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Gerade liefen über den Bildschirm neben ihm noch Bilder von ausblutenden Kühen und Hühnern, denen die Schnäbel abgeschnitten werden. "Es geht mir um den Tierschutz", sagte Hildmann und schluckte. Deswegen sei er in der Debatte etwas emotional geworden. Um ihn herum stehen dicht gedrängt mehr als 30 Journalisten, filmen live oder schreiben in ihre Notizbücher. Erleichtert, dass keine Kraftausdrücke fallen. Denn in der Einladung hatte Hildmann noch geschrieben, sie bräuchten keinen Bodyguard, er versuche ruhig zu bleiben. Aber wenn jemand scheiße schreibe oder rede, dann raste er aus. Doch statt eines aggressiven Restaurantbesitzers fanden die Journalisten einen Mann vor, der ein paar Tränchen verdrückte, um sich zu vermarkten. Man braucht sich dann eben doch gegenseitig.

Hochgeniale Kochkünstler und gottvatergleiche Kritikerpäpste

Das Verhältnis zwischen Köchen und Restaurantkritikern ist generell ja nicht so, wie man es aus Film und Fernsehen kennt. In der Welt der Drehbücher gibt es nämlich nur gottvatergleiche Kritikerpäpste, vor denen selbst hochgeniale Sterneköche in Ehrfurcht erschaudern und deren Besuch im Lokal der endgültigen Entscheidung über Tod oder Verklärung gleichkommt. Das mag dramaturgisch sinnvoll sein, mit der Wirklichkeit hat es nichts zu tun.

Erstens kommen Kritiker, wenn sie ihren Job ernst nehmen, inkognito zum Essen und zweitens würden ambitionierte Köche niemals in letzter Minute ihr Menü umwerfen, das wäre viel zu riskant. Wer in der Küche noch Ehrgeiz hat, der versucht sowieso, das Vorhandene möglichst in Perfektion auszuführen. Und die wichtigsten Kritiker, die der großen Gastroführer Michelin und Gault & Millau nämlich, kennen nur die wenigsten Köche persönlich. Meistens handelt es sich um grauhaarige, ältere Herren, heißt es in der Branche. Sie kämen alleine oder höchstens zu zweit, und würden dann die ganze Karte gründlich abessen.

Im Idealfall treffen bei der Begegnung von Koch und Kritiker zwei sehr begabte Kunsthandwerker aufeinander. Im ungünstigsten Fall jedoch begegnen sich zwei Kunsthandwerker, die sich beide für Künstler halten. Dann wird es schwierig, weil sie dann wechselseitig meist nicht mehr in der Lage sind, die jeweils unterschiedlichen Talente und Begabungen zu würdigen. Wer sich selbst für ein Genie am Herd hält, wird daran keinen Zweifel dulden. Und wer seinen Geschmack und seine Formulierungskunst einzigartig findet, der wird nichts mehr dazulernen wollen.

Mit der Vorzugsbehandlung der Kritiker ist es ebenfalls oft weniger weit her, als man glauben möchte. Der langjährige Chefredakteur der deutschen Ausgabe des Gault & Millau, Manfred Kohnke, hatte sich zum Beispiel einmal vergeblich bemüht, beim Pariser Drei-Sterne-Koch Alain Ducasse einen Tisch zu bekommen. "Tut mir leid, wir sind ausreserviert", beschied man ihm am Telefon. Als er unter Hinweis auf seine Funktion nachhakte, hieß es nur, er könne gerne nach Paris kommen und im Reservierungsbuch nachsehen. Was Kohnke auch tat. Einen Tisch bekam er trotzdem nicht. Und Jürgen Dollase, dem wohl sprachmächtigsten und bekanntesten deutschen Restaurantkritiker, ist es angeblich nie geglückt, im El Bulli, dem legendären Restaurant des spanischen Molekularkochs Ferran Adrià, zu reservieren.

Bei den Foodbloggern beschränke sich alles oft auf die Vokabel "lecker"

Das muss noch lange nicht heißen, dass Kritiker bei Köchen unbeliebt seien. Eckart Witzigmann, erster deutschsprachiger Drei-Sterne-Koch und einer der Begründer des sogenannten deutschen Küchenwunders in den Siebzigerjahren, ist manchen sogar sehr dankbar: "Wolfram Siebeck und Gerd von Paczensky haben mir damals sehr geholfen". Mit dem 2016 verstorbenen Siebeck war er später auch befreundet, die beiden bekochten sich gelegentlich sogar wechselseitig zu Hause.

Von seinem Kritiker auch noch verköstigt zu werden: Das möchte man heute aber nicht jedem Koch wünschen. Denn Witzigmann hat ja auch recht, wenn er sagt, Kritik sei "wichtig und gut. Voraussetzung ist jedoch, der Kritiker hat Ahnung und weiß, worüber er spricht. In der digitalen Welt habe ich da manchmal meine Bedenken". Tatsächlich beschränkt sich die Urteilskraft in der Welt der Foodblogger allzu oft nur auf die Vokabel "lecker". Die wichtigste Kritik, sagt Eckart Witzigmann, sei ohnehin die, die nie gedruckt werde, denn: "Herausragendes kann man nur leisten, wenn man selbst sein schärfster Kritiker ist".

Wenn das so ist, dann möchte man jedenfalls ungern zuhören müssen, wenn Attila Hildmann Selbstgespräche führt.

© SZ vom 26.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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