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Vanity Fair:Die Frau hinter dem Cover

Von Oskar-Gewinnern bis zum Präsidenten - die Titelfotos der amerikanischen Vanity Fair sind legendär. Wer es aufs Cover schafft, wird von einer Deutschen inszeniert: Jessica Diehl.

Von Dennis Braatz

Eine Tradition der Pariser Couture-Woche will es, dass sich die wichtigsten Modeleute am dritten Tag im Café Antonia im Hotel Bristol treffen. Weil es von hier aus nur ein paar Minuten zu Fuß bis zum Grand Palais sind, wo mittags Chanel zeigt, wartet man gemeinsam auf pistazienfarbenen Couches und trinkt Cappuccino für 15 Euro. Hinten im Eck tippt eine blonde Frau eine E-Mail in ihr Handy. Während in diesem Raum vermutlich jeder andere für seine Job-Beschreibung zu einem minutenlangen Monolog ansetzen würde, sagt sie einfach nur: "Ich ziehe Menschen an." Klingt überraschend bescheiden für jemanden, der Hollywoodstars inszeniert.

Jessica Diehl ist Kreativdirektorin der amerikanischen Vanity Fair, des prestigeträchtigsten Prominentenmagazins überhaupt. Establishment-Milliardäre öffnen für das Heft bereitwillig ihre Villa in den Hamptons, R'n'B-Diven geben den mitfühlenden Reportern das erste Scheidungsinterview, und jedes Jahr im Januar traben die Oscar-Anwärter zur Aufnahme des weltberühmten Aufklappfotos an. Auf dem Titelbild zu erscheinen gleicht einem Ritterschlag - und bedeutet meistens, von Diehl gestylt zu werden.

Caitlyn Jenner im champagnerfarbenen Body, Benedict Cumberbatch mit Griff in den runter gezogenen Bund seiner Jeans und erst vor Kurzem Serena Williams, nur mit Slip und dickem Babybauch: All diese Cover-Coups hat sie "produziert", wie man im Modesprech sagt. Das heißt, dass ihre Arbeit über das bloße Anziehen dieser Menschen sogar weit hinausgeht. Diehl ist für die Idee zum Shooting, den Ablauf, die Vor- und Nachbereitung, die Zusammenarbeit mit den Fotografen und den Agenten der Stars verantwortlich. Das macht die 40-Jährige zu einer der mächtigsten Moderedakteurinnen der Welt.

Ihre Karriere beginnt bei "Marie Claire". Erster Eindruck: "Völlig bescheuert, aber aufregend."

Jessica Diehl ist Deutsche. Nur hat Deutschland davon bislang keine Notiz genommen, nicht mal die deutsche Modelandschaft. Das ist bedauerlich, aber nicht außergewöhnlich - abseits von Designer-Posten gibt es in der internationalen Modewelt noch ein paar andere wichtige Germans, die hierzulande kaum einer kennt. Die PR-Königin Karla Otto gehört dazu oder Klaus Stockhausen, ebenfalls ein großer Stylist, der die Kostüme für John Gallianos legendäre Auftritte beim Show-Finale verantwortet hat. Mag sein, dass diese Menschen nicht so bekannt sind, weil sie hinter der Kamera stehen. Im Ausland aber wird ihre Arbeit seit jeher geschätzt und beachtet.

Diehl wurde in Darmstadt geboren. Ihre Mutter ist Amerikanerin, der Vater Deutscher, ein Chemieingenieur. Für die Tochter war New York schon immer der "most shiny" Ort überhaupt. Weshalb sie 1996 nach der Schule dorthin zog und seitdem nicht mehr wegwill. Sie lebt dort mit ihrem Mann, der als Fotograf arbeitet.

"Inzwischen fühle ich mich als New Yorkerin. Aber die Heimat kommt ab und zu noch durch", sagt sie ohne die Spur eines Akzents. Statt Cappuccino bestellt sie Filterkaffee. Dazu bittet sie den Kellner um einen Korb Croissants. Glutenfrei? Diehl winkt ab. "Als Deutsche geht so was ja nicht!" Breites Lächeln. Diehl ist modelgroß, hat die Haare locker zusammengebunden und trägt eine blau-weiß-gestreifte Wickelbluse zur knöchelkurzen Hose. Ihre Hände hält sie beim Gespräch auf dem Schoß, den Rücken auffällig gerade. Ihr Look sagt: völlig relaxed. Die Haltung verrät: voll diszipliniert.

Die immer im Januar und Juli stattfindenden Couture-Schauen sind für sie Pflichttermine, weil sie hier zwischen Meetings auch Kleider für kommende Shootings blockt. Zwar hat Vanity Fair ein gewisses Standing, ein Konkurrenzkampf ist es trotzdem: Couture-Kleider sind handgemachte Einzelstücke, die schon mal sechsstellige Summen kosten können und für die verwöhnte Kundin oft verbrannt sind, sobald eine Schauspielerin darin auf dem roten Teppich oder einem Magazintitel erschienen ist. "Im Januar vor der Award Season muss man sehr schnell und etwas aggressiver sein. Da reserviere ich einen Look oft noch am Show-Tag", sagt Diehl.

Wie sie an diesen Job kam, ist eine Geschichte, die Hollywood nicht klischeehafter hätte inszenieren können. In New York angekommen, will Diehl nämlich eigentlich Schauspielerin werden, hat aber kein Talent und arbeitet erst mal in einer Bar. Eines Tages serviert sie einer Frau ein Glas Merlot und sieht, wie diese in ihrem Kalender die vielen Modetermine durchgeht. Die Frau arbeitet bei Marie Claire. Diehl fand Mode immer gut. Sie löchert, lässt nicht locker und bekommt ein Praktikum in der Requisite, also dort, wo jeden Tag Tonnen von Designerkleidern für anstehende Shootings eintreffen, ausgepackt und registriert werden müssen. Und wehe, es geht mal was verloren! Erster Eindruck: "Völlig bescheuert, aber aufregend."

An manchen Tagen arbeitet sie zwölf Stunden und lernt nach Feierabend noch die Postadressen der Modefirmen auswendig. "Alles unbezahlt. Mir war es egal. Ich wollte das unbedingt machen." Sie steigt zur Assistentin auf und wird an Grace Coddington empfohlen, die berühmte Stylistin mit der roten Trapezfrisur, die damals Kreativchefin der amerikanischen Vogue  ist.

Zum Vorstellungsgespräch geht sie in einem dekonstruierten Trenchcoat und Turnschuhen. "Grace gefiel, dass ich nicht wie das typische Vogue-Mädchen aussah", erzählt Diehl. Eine Woche später hatte sie den Job - fast. "Grace sagte, ich müsste noch zu Anna Wintour und bat mich, etwas anderes anzuziehen - High Heels, Rock und Bluse." Sie lacht. Wer es in der Mode zu etwas bringen will, sollte die Branche nicht allzu ernst nehmen.

Diehl investierte in ein Paar Manolo Blahniks und wurde eingestellt. Schon nach ein paar Jahren war sie Redakteurin. "Kalt und abweisend, wie so viele sagen, fand ich Anna nie", erzählt sie. "Eher direkt, und das ist gut." Im 1 World Trade Center sind die Damen weiterhin Büronachbarn; Vogue und Vanity Fair gehören beide zum Condé Nast Verlag.

Für den Redaktionswechsel konnte sich Diehl auch deshalb qualifizieren, weil sie bei Vogue die wichtigsten Fotografen kennengelernt hatte: Mario Testino etwa, Steven Meisel oder Annie Leibovitz. Deren Bildsprachen sind schön im amerikanischen Sinne, also jedem schmeichelnd, weil extrem weichgezeichnet. "Die meisten Fotografen haben mich am Anfang nicht gemocht, weil ich ständig durch die Kostenvoranschläge gegangen bin und Sachen fand, die nicht stimmten", sagt sie. "Wieder so was Deutsches."

Der Anfang als Redakteurin bei Vanity Fair war gewöhnungsbedürftig. Vogue-Models werden dafür bezahlt zu tragen, was ihnen der Stylist vorgibt. Stars hingegen bringen eine Vorstellung von sich selbst mit ans Set. "Das schränkt diese Leute oft ein. Sie von einer Idee zu überzeugen kann extrem schwierig sein, weil sie eh schon pausenlos gesagt bekommen, was sie zu tun und zu lassen haben." Wenn es eine Schauspielerin gewohnt ist, ihren Scheitel auf der rechten Seite zu tragen, das Foto aber schöner mit einem Scheitel links wäre, kann sich der Weg bis zum Umkämmen schon mal wie ein diplomatischer Kraftakt anfühlen. Genau das ist Diehls Job.

Sie selbst ist der gelassene Typ. Wo andere aufgeregt sind, bleibt sie ruhig. "Aber manchmal stehe ich auch da und denke: Wieso kannst du dich denn nicht einfach in diese eine Ecke stellen, wenn doch genau da Peter Lindbergh noch für zwanzig Minuten Tageslicht hat?!" Anmerken lassen darf sie sich das natürlich nicht. Am Ende verkauft sich ein Cover nur dann gut, wenn darauf jemand zu sehen ist, den man so noch nie sah, der sich also öffnet. Dafür ist sie "Therapeutin und Entertainerin in einem".

Womit man bei der Frage wäre, wer denn nun aufs Titelbild kommt. Letztlich hat das natürlich etwas damit zu tun, wer gerade etwas zu vermarkten hat. Spannender wird es, wenn es um ein Ereignis aus dem Privatleben geht, mit dem der Prominente im Gespräch bleiben will. Je privater es wird, desto geheimer laufen die Vorbereitungen ab.

Beim Coming-out von Caitlyn Jenner etwa wussten nur wenige in der Redaktion Bescheid. Diehl hatte mit ihr gemeinsam die Idee zu einem Styling, das an die glamourösen Stilikonen vergangener Zeiten erinnern sollte, Lauren Bacall und Jackie Kennedy. Sozusagen der elegant gehobene Konterpart zum gängigen Look des Kardashian-Clans (als Mann war Caitlyn Jenner mit Kim Kardashians Mutter verheiratet).

"Obama konnte ich gerade mal fragen, ob er einen anderen Schlips anziehen würde."

Bei der schwangeren Serena Williams ging es am Set ähnlich emotional zu. "Serena ist eine Top-Athletin, eine Powerfrau, stark und wuchtig", sagt Diehl. "Ich wollte sie superfeminin und zart zeigen." Was am Ende dazu führte, dass die Tennisspielerin fast nackt zu sehen war - und das Bild um die Welt ging. Das Vertrauen sei sofort da gewesen, weil sich die beiden schon länger kennen.

Natürlich lässt sich nicht jeder Star so fallen wie Williams oder Jenner. Manche brauchen eine Rolle zum Reinschlüpfen. "Emma Watson ist zum Beispiel eine völlig kontrollierte Person, die alles hinterfragt. Jemandem wir ihr musst du ein konkretes Thema geben, zum Beispiel Surrealismus, und dann legt sie los." Am Ende ließ sie sich so fotografieren, als wäre sie in einem Spiegel gefangen und zeigte sogar ein bisschen Brust. Skandal!

Seit fast zehn Jahren arbeitet Diehl nun bei Vanity Fair, in der Zwischenzeit ist sie zur Kreativchefin befördert worden, zuständig für Mode und Styling. Einen Wunschkandidaten, den sie gerne mal fotografieren würde, hat sie nicht mehr. "Ich habe ja alle vor der Kamera gehabt, sogar die Präsidenten." Wegen des engen Zeitplans und den hohen Sicherheitsauflagen sind sie die größte Herausforderung. "George W. Bush haben wir in weniger als zehn Minuten gemacht. Obama konnte ich gerade mal fragen, ob er noch einen anderen Schlips anziehen würde."

Und was ist mit Donald Trump? Anfang des Jahres hatte er schließlich ein Meeting mit Vanity Fair-Chefredakteur Graydon Carter und Anna Wintour. Diehl sagt immerhin so viel: "Ich persönlich hätte ein Problem damit, jemanden wie ihn besser aussehen zu lassen. Aber ist das professionell? Ich bin mir nicht sicher, ob man hier nicht die private Haltung vom Beruf trennen sollte."

Im Café Antonia haben die meisten Gäste inzwischen ihre Taschen gepackt und Tische geräumt. Sie warten draußen vorm Hotel auf der Straße auf ihre Chauffeure, die sie den kurzen Weg zum Grand Palais kutschieren sollen. Jessica Diehl sagt: "Komm! Die paar Meter laufen wir schnell zu Fuß."

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Quelle:
SZ vom 22.07.2017/vs
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