Süddeutsche Zeitung

Dessous für Krebspatientinnen:Bitte nicht fleischfarben

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Lange war es für Frauen nach einer Brustkrebsoperation schwierig, schöne Unterwäsche zu finden. Doch das ändert sich gerade.

Von Laura Krzikalla

Ziemliche Ernüchterung, die fühlt Jana Wagner, als sie vor zwölf Jahren das erste Mal mit ihrer Mutter in ein Sanitätshaus geht, um nach deren Brustkrebs-OP einen geeigneten BH zu kaufen. Ein weiterer Schreck nach vielen, der Diagnose, der OP. "Vor zwölf Jahren gab es da Modell A in weiß, und wenn man Glück hatte, Modell B in schwarz", sagt sie heute. Ihrer Mutter habe das damals zu schaffen gemacht. "Plötzlich hat man nicht mehr das Gefühl, die Wahl zu haben. Man kann nicht mehr wie andere Frauen in jede Boutique oder jedes Kaufhaus gehen. Der Wunsch, schöne Wäsche zu tragen, hört doch mit einer OP nicht auf."

Weil Jana Wagner das nicht loslässt, eröffnet sie 2014 "Le Néné" in ihrer Heimat Stuttgart, ein Wäsche- und Bademodengeschäft speziell für Frauen nach einer Brustkrebserkrankung. "Ein Sanitätshaus getarnt als französische Boutique", so beschreibt sie es.

Heute kommen Frauen von überall zu der 36-Jährigen, sie berät sie, passt Modelle individuell an, sucht sich ihre Kollektionen auf der ganzen Welt zusammen. "Die Kundinnen sehnen sich danach, auf der Suche nach einem BH nicht erst an Rollatoren und anderen Produkten vorbeilaufen zu müssen, die Krankheit! schreien."

Jährlich erkranken rund 69 000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs, damit ist er bei Frauen mit Abstand die häufigste Krebsart. Bei rund 30 Prozent der Erkrankten wird eine Mastektomie durchgeführt, die Entfernung einer oder beider Brüste. Bei einer brusterhaltenden Therapie hingegen wird versucht, so viel Brustgewebe wie möglich zu erhalten, aber auch hier brauchen Frauen im Nachhinein spezielle Wäsche.

Nach schöner Unterwäsche und Weiblichkeit klingt das Wort "Hilfsmittel" nicht gerade

Nach einer Operation muss ein BH besondere Anforderungen erfüllen: Nähte dürfen nicht auf den Narben reiben, der BH soll den Lymphfluss begünstigen, weil bei der Operation üblicherweise die Lymphknoten in der Brust entfernt werden. Prothesen-BHs sollen den Einlagen Halt und den Brüsten eine möglichst natürliche Form geben.

Die Krankenkassen bezuschussen den Kauf: zwei BHs im Jahr, alle zwei Jahre neue Prothesen, alle zwei bis drei Jahre Bademode. Für den Kauf benötigt man ein Rezept, und die lassen sich eben nur in Sanitätshäusern einlösen, nicht in gängigen Dessousabteilungen.

Deshalb bleibt den Frauen oft nichts anderes übrig, als den BH-Kauf in ein Sanitätshaus zu verlegen. "Um eine fehlende Brust optisch auszugleichen, gibt es verschiedene Hilfsmittel. Einige Sanitätshäuser bieten Epithesen und spezielle Büstenhalter an", schreibt etwa der Deutsche Krebsinformationsdienst auf seiner Homepage.

Nach schöner Unterwäsche und Weiblichkeit klingt das Wort Hilfsmittel nicht gerade. Dennoch: Seit ihre Mutter an Brustkrebs erkrankte, habe sich in der Branche viel getan, sagt Jana Wagner. Die meisten Sanitätshäuser seien heute besser ausgestattet. Marken wie Anita Care oder Amoena zählen auf dem Gebiet zu den Marktführern.

Die Modedesignerin Stella McCartney brachte 2018 einen spitzenbesetzten Mastektomie-BH heraus. Die Marken bemühen sich um Modelle, die statt fleischfarbener Funktionalität farbig sind, mit Mustern oder Stickereien. Eine schöne Verpackung für die Prothesen, den Umständen entsprechend.

Doch den Bedürfnissen aller an Brustkrebs erkrankter Frauen gerecht zu werden, ist schwierig. Rebecca Marold wurden 2015 beide Brüste entfernt. Sie entschied sich bewusst dazu, ohne Prothesen durchs Leben zu gehen. Prothesen und die entsprechende Wäsche bekam sie im Krankenhaus trotzdem. Dann kam der erste Urlaub, die Aussicht, im Bikini am Pool zu liegen, und ein Koffer, der mit den beiden Schachteln für die Prothesen schon fast voll war. "Die Dinger mussten zu Hause bleiben", erzählt Marold. In den nächsten Urlaub nahm sie dann einen schwarzen Sportbadeanzug mit, der die Narben verdecken sollte - und fürchterlich scheuerte.

Noch im selben Urlaub wird sie auf Heike Fangrat aufmerksam, auch sie hat amputierte Brüste, auch sie stand vor der Herausforderung, die passende Bedeckung für den Strand zu finden. Und kreierte kurzerhand einen eigenen Bikini, speziell für Frauen, die sich gegen Prothesen entscheiden. "Für die großen Hersteller ist unsere Zielgruppe uninteressant", sagt Fangrat. Dass Frauen nach einer OP weder Implantate noch Prothesen wollen, werde nicht wirklich wahrgenommen.

Rebecca Marold ist heute eines von fünf Models, die die Bademode für brustlose Frauen von Heike Fangrats Label Eikii präsentieren. Der Stoff verdeckt die Narben, Volants umspielen den Brustbereich. "Es ist ein bisschen Illusion, ohne auf Pads zurückzugreifen", erklärt Fangrat. Flach, rekonstruiert, mit Prothesen, wenn es um Unterwäsche und Bademode geht, "soll sich niemand zu irgendwas genötigt fühlen, aber gleichzeitig alle Möglichkeiten haben", sagt die Designerin. Mittlerweile hängt auch ein Eikii-Bikini in zwei Farben, blau und rot, im Stuttgarter Laden von Jana Wagner.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2019
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