Süddeutsche Zeitung

Untergrundbewegung:Zurück in die Zukunft

Weil Züge fehlen, hat die Stadt Berlin alte U-Bahnen aus dem Museum reaktiviert. Die Oldtimer-Bahnen aus den 50er-Jahren erfreuen Nostalgiker, sind aber auch der rollende Beweis, dass früher nicht alles besser war.

Von Verena Mayer

Jede Stadt hat die Verkehrsmittel, die sie verdient. In London sind gediegene rote Doppeldeckerbusse unterwegs, in Bangkok rauscht man im modernen Sky Train über die Stadt hinweg, und die Moskauer Metrostationen gehören mit ihrem Stuck und den Kronleuchtern zu den protzigsten ihrer Art. Die Berliner U-Bahn wiederum ist eine Art soziales Netzwerk auf Rädern. Wo der eine lautstark seine Lebensgeschichte erzählt, der nächste die Fahrgäste "segnen" will, und von acht Uhr abends an alle eine Bierflasche in der Hand haben.

Das kann man natürlich als Ausdruck einer lebendigen und angesagten Stadt feiern, so wie es die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) in einem ihrer Werbespots tun. Da spielt der Comedian Kazim Akboga einen BVG-Kontrolleur, der auf Fahrgäste trifft, die entweder in Lack und Leder knutschen, an der Stange tanzen oder Zwiebeln schneiden, die ein Pony, ihre Umzugskisten oder eine ganze Band dabeihaben. Und alles, was ihm dazu einfällt, ist: "Is' mir egal."

Aber meistens gehen Berliner U-Bahn-Szenen so: "Nehmen Sie mal Ihren Hund von der Bank?" - "Mein Hund hat auch ein Recht auf einen Sitzplatz, du Fotze." Dazwischen werden Drogen verkauft, wird schlechte Straßenmusik gemacht, betrunkene Fußball-Fans gehen aufeinander los, und der Fahrer brüllt an jeder Station: "Mit dem Fahrrad nich' in ersten Wagen!" Mit einem Wort: Die Berliner U-Bahn ist nicht nur Nahverkehr, sondern immer auch Nahkampfzone.

Doch es kann auch anders zugehen in den Verkehrsmitteln der Hauptstadt. Fast schon weltläufig. So werden demnächst in Berlin richtige Oldtimer-Züge unterwegs sein. Das Modell Dora aus den 50er- und 60er-Jahren nämlich, mit grünen Sitzpolstern aus Kunstleder, schönen alten Lampen und Holzfurnier-Anmutung. Drei Garnituren davon sollen die Kanzler-U-Bahn entlangfahren, wie die kurze Strecke zwischen Brandenburger Tor, Bundestag und Hauptbahnhof in Berlin nur genannt wird. Wenn man in einen der Waggons einsteigt, hat man das Gefühl, hier wird gleich wieder mit Tageszeitungen geraschelt, und Männer in Trenchcoats lüften ihre Hüte. Eine Reise in die Vergangenheit, selbst die Schilder sind noch original. "Fahren ohne Fahrausweis kostet mindestens 60 D-Mark", steht da.

Viele alte Züge wurden nach Nordkorea verkauft. In Pjöngjang fahren sie bis heute

Oldtimer-Verkehrsmittel gibt es inzwischen in vielen Städten, in San Francisco sind die offenen Cable Cars von einst sogar zum Wahrzeichen geworden, mit dem sich die ganze Stadt identifiziert. In Berlin hat es allerdings nichts mit Nostalgie zu tun, dass man sich in den rumpelnden Zügen von einst bald wieder durch die Stadt bewegen kann. Auch nicht mit den vielen Berlin-Besuchern, denen man auf der touristischen Stammstrecke etwas bieten will. Es ist einfach so, dass das Berliner Verkehrsnetz aus allen Nähten platzt. Jedes Jahr ziehen Zehntausende neu in die Stadt, eine halbe Milliarde Fahrgäste musste man allein 2015 transportieren. Geld ist nicht viel da, und die neuen U-Bahn-Züge sind noch nicht geliefert. Also schaut man, ob die alten Sachen von früher noch taugen. Zumindest jene drei fahrfähigen Triebwagen, die noch im Depot oder im Museum waren, wo sie die "Pufferküsser" genannten Eisenbahn-Freaks erfreuten. Den Rest hat man irgendwann an die DDR verscherbelt, danach gingen sie weiter nach Pjöngjang in Nordkorea. Dort fahren die Leute bis heute damit.

Und wie bringt man eine alte U-Bahn in die Gegenwart? Das sei gar nicht so schwer gewesen, sagt Markus Falkner von der BVG. Die Technik sei nicht schlecht, und das Design habe sich ebenfalls bewährt: der Großraum-Waggon, die einander gegenüberliegenden Sitzreihen. Aus Sicherheitsgründen mussten lediglich Türklinken gegen Druckknöpfe ausgetauscht werden, man baute Videokameras ein, dazu Lautsprecher und Blinklampen, die anzeigen, wenn der Zug abfährt.

Das ist einerseits schön, weil man sich plötzlich in einem schlichten Mid-Century-Modern-Ambiente der frühen Mobilität befindet. Keine Bildschirme, keine LED-Anzeigen, schon gar kein U-Bahn-Fernsehen, die Manufactum-Atmosphäre ist überschaubar und wenig komplex. Andererseits gibt es eben auch nichts, was einen ablenken könnte von U-Bahnschächten, vollgestopften Bahnhöfen und den gestressten Mitmenschen rundherum.

Die kurzen Sitzreihen, die Stehplätze, die dürftige Beleuchtung - kein Vergnügen

Alte Flugzeuge stehen ja immer für etwas ganz Besonderes. Für die Zeit, als Fliegen noch glamourös war und Fortbewegung etwas für einige wenige. Was sich dann im Design der Flugzeugkabinen niederschlug, dem vielen Platz und einer Ausstattung, die mehr von einem Wohnzimmer hatte als von einem Verkehrsmittel. Eine Oldtimer-U-Bahn wie die Dora hingegen erzählt von den Zeiten, als die U-Bahn zum wichtigsten Transportmittel für die arbeitende Bevölkerung wurde. Die kurzen Sitzreihen, die Stehplätze, die dürftige Beleuchtung - in einem solchen Vehikel kann man gar nicht zum Vergnügen unterwegs sein. Es gibt keinen Stellraum für Kinderwagen, keine Sitze für Alte oder Behinderte. Und ein Fahrrad kriegt man hier erst recht nicht unter, schon gar nicht im ersten Wagen.

"Das Publikum, das die Strecke benutzt, sieht freilich nicht eben illusionsfähig aus", schrieb der Journalist und Soziologe Siegfried Kracauer 1930, als er mit einer neuen Linie der Berliner Untergrundbahn unterwegs war. Damals ermöglichte die U-Bahn, dass die Stadt, die ein Konglomerat aus vielen kleinen Orten war, zu einer Metropole zusammenwuchs, in der Hunderttausende Arbeiter von A nach B kommen konnten. Die U-Bahn war für Kracauer dann auch das Symbol für triste und schlecht gelaunte Werktätigkeit, das es in den meisten Metropolen bis heute ist. In "viele müde Gesichter" blickte er auf seiner Fahrt, "zum Glück kräht mitunter ein ahnungsloses Kind." Da sind einem vielleicht dann doch die neuen Züge lieber, mit dem prallen Leben und Leuten, denen alles irgendwie egal ist.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2016
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