Süddeutsche Zeitung

Übergrößen:Mit Plus-Size-Mode dick im Geschäft

Weil immer mehr Frauen Übergrößen tragen, ist Plus-Size-Mode gefragter denn je. Sie darf nur nicht nach Übergröße aussehen. Und erst recht nicht so heißen.

Von Dennis Braatz

Welche Assoziation dürfte den meisten Menschen beim Begriff "Übergrößen für Frauen" als Erstes in den Sinn kommen? Die knielange Zebra-Tunika mit Flügelärmeln und Goldborte aus dem "Mode für Mollige"-Fachgeschäft Ulla Popken? Oder das drapierte Krepp-Kleid von Lanvin? Die meisten Menschen denken bei Mode für etwas dickere Menschen wohl immer noch an die komplettverhüllende Überwurfkleidung, die jahrzehntelang das Bild bestimmte - und oft so aussah, als habe man sich in der Garderobe nicht umgezogen, sondern sie gleich angezogen.

Dabei ist diese Vorstellung nicht mehr zeitgemäß. Längst haben in den sozialen Medien Plus-Size-Bloggerinnen das Publikum mit ihrem selbstbewussten Auftreten für ein anderes Frauenbild empfänglich gemacht. Im Fernsehen feiert Guido Maria Kretschmer mit seiner Sendung "Shopping Queen" und dem Satz "Übergröße ist kein böses Wort" ungeahnte Erfolge. Und selbst in den höchsten Kreisen der Modebranche redet man nur noch mit Staunen über die Gagen der Plus-Size-Models, zum Beispiel Ashley Graham, Robyn Lawley, Tara Lynn oder Chloe Marshall, die mit einer Konfektionsgröße von über 42 mittlerweile oft mehr verdienen als Kolleginnen mit Größe 34 oder 32.

Sie sind überall zu sehen: schon vor drei Jahren auf der italienischen Vogue, auf dem Titel der Sports Illustrated Swimsuit Issue erst im Februar, in den Dove-Kampagnen, dem Pirelli-Kalender oder den Imagebroschüren der amerikanischen Modekette Lane Bryant. Interessant ist nur, dass sie dabei jedes Mal nackt sind oder allenfalls Unterwäsche anhaben, um für ihren Auftraggeber eine derzeit sehr werbewirksame Botschaft in die Welt zu tragen: Seht her, ich bin mit Kurven genauso schön wie das Model ohne! Wann immer nämlich gerade Frauen ihren Körper vor der Kamera präsentieren, die nicht superdünn sind, werden sie bejubelt und beklatscht. Aber das wirft gleichzeitig auch die Frage auf: Ist es als dicker Mensch gerade leichter, in Unterwäsche gut auszusehen, als angezogen?

Anscheinend, wenn man den enttäuschenden Ergebnissen einer aktuellen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) glauben darf. Das Umsatzvolumen in Deutschland mit Damenmode in den Größen ab 46 beläuft sich demnach auf 3,2 Milliarden Euro im Jahr. Nur die Minderheit der Frauen ist derzeit aber mit dem Angebot der großen Größen zufrieden. "Daraus lässt sich ableiten, dass die Kundin mehr für Bekleidung ausgeben würde, wenn das Angebot besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten wäre", sagt die GfK-Mitarbeiterin Agnese Galvina-Dimkonidis.

42

...ist die durchschnittliche Konfektionsgröße der deutschen Frauen. Das war nicht immer so: Noch vor 20 Jahren war Kleidergröße 40 der Standard. Dass die Deutschen immer mehr zunehmen, zeigen auch Langzeitstudien des Robert-KochInstituts. So wiegen hierzulande mittlerweile zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen zu viel. Stark übergewichtig sind 24 Prozent der Frauen und 23 Prozent der Männer - Tendenz steigend.

Der Markt will genau das längst getan haben, mit neuen und frischen Marken, die zum Beispiel "Lovely Size" oder "Lucky Brand Plus" heißen, oder einer Online-Boutique namens "Happy Size". Mal ganz davon abgesehen, dass sie auch nur die altbekannten Überwürfe nach Ulla-Popken-Vorbild anbieten, suggerieren allein schon ihre Namen genau das, worum es auf keinen Fall noch gehen darf, nämlich Plus-Size-Mode mit extra Plus-Size-Stempel.

Gut zu beobachten zum Beispiel an der Idee von "Curves in Style". Dieses deutsche Onlinemagazin filtert seit Anfang des Jahres auf Instagram und Facebook das Angebot für Plus-Size-Mode. Das Interesse ist so hoch, dass aktuell an einer gedruckten Ausgabe gearbeitet wird. Der Onlineshop Navabi vertreibt erfolgreich Plus-Size-Marken ohne "Plus" im Namen, wie Anna Scholz oder Elena Miro. Erst kürzlich konnten bei Investoren noch einmal 25 Millionen Euro eingesammelt werden.

Und zuletzt natürlich Marina Rinaldi. Die Marke, die es schon seit 1980 gibt, ist zwar auf Frauen mit Konfektionsgrößen ab 42 spezialisiert, schneidert und entwirft sie jedoch unter den gleichen stilistischen Ansprüchen wie jeder andere Luxusdesigner auch. Die Zielgruppe wird nicht mit aggressivem Marketing auf ihre Figur angesprochen - weshalb sich mittlerweile auch immer wieder Frauen unter Größe 42 in die Geschäfte verirren, die letztlich gar nicht bedient werden können.

Einen ähnlichen Weg geht das Magazin Myself. Für Modestrecken werden immer häufiger Plus-Size-Models oder Frauen mit sogenannten Zwischengrößen fotografiert. "Wir greifen dabei bewusst auch auf Kleidungsstücke von Marken zurück, die eigentlich gar keine Übergrößenmode im herkömmlichen Sinne machen, sondern größere Größen einfach so anbieten", sagt Modechefin Julia Zirpel.

Damit spricht sie den wichtigsten Punkt der aktuellen Entwicklung an. Auch Luxuslabels haben ihren Größenspiegel nämlich immer wieder nach oben korrigiert. Hosenanzüge von Stella McCartney in 48 zu bekommen, ist kein Problem, was darüber liegt, ist selten, aber nicht unmöglich. Das gilt auch für Oscar de la Rentas Roben und erst recht für die Krepp-Kleider von Lanvin. Das Haus hat schon vor drei Saisons in seinen Schaufenstern mit zwei Puppen geworben; die eine herkömmlich dünn, die andere dick. Beide trugen dasselbe Kleid.

Eine immer wiederkehrende Frage von Kritikern lautet jetzt: Wieso zeigt ihr diese Größen nicht auch auf dem Laufsteg? Ganz einfach: weil auf dem Laufsteg nicht einmal Models mit einer 38 oder 36 laufen. Die Bilder von dort gehen um die Welt, um Träume zu verkaufen - und nicht die Realität. Luxusdesigner können dafür nicht auf die Norm zurückgreifen, weil niemand nach ihr strebt. Sie haben schon immer mit körperlichen Extremen gearbeitet, übrigens mit allen und nicht nur extrem dünnen, sondern etwa auch mit einem Model wie der Sängerin Beth Ditto, die sich selbst "fett" nennt und gerade eine eigene Kollektion entwirft.

Das heißt aber nicht, dass die Designer die breite Masse ausschließen - im Gegenteil. "Eine Erweiterung der Angebotspalette seitens der Designer hat auch zu einer steigenden Nachfrage bei uns geführt", erklärt Mario Eimuth, Gründer von Stylebop, einem der führenden Onlineshops für Luxusmode. Von einem eigenen Plus-Size-Bereich will er aber nichts wissen: "Wir verstehen diese Größen als integralen Bestandteil unserer Auswahl." Das Imageproblem von Übergrößen lässt sich nur lösen, wenn sie so selbstverständlich wie jede andere Mode auch behandelt werden - und zwar von allen: den Kundinnen, Designern und Marketingexperten.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2015/vs
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