Süddeutsche Zeitung

Übergrößen in der Mode:Kurvendiskussion

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Spätestens seit dem Erfolg des "Plus-Size"-Models Robyn Lawley wird diskutiert, wann man eigentlich von Übergröße sprechen darf. Die Bezeichnung an sich empfinden viele Frauen als diskriminierend - eine Modelagentur verzichtet nun auf klare Unterscheidungen.

Von Sonja Salzburger

Die junge Frau räkelt sich auf den Laken und schenkt ihrem Betrachter ein entspanntes Lächeln. Sie trägt ein hellblaues Höschen und ein offenes Hemd, das aussieht, als hätte sie es von ihrem Freund geborgt. Die Frau auf dem Werbeplakat für Unterwäsche ist schön - aber bereits auf den ersten Blick ist zu erkennen, dass etwas an ihr anders ist als gewohnt. Da sind die leichten Schatten unter ihren Augen, die trotz Abdeckstift nicht ganz verschwinden. Da ist der Bauch, der so aussieht, als würde sie regelmäßig und ausreichend essen, anstatt penibel Kalorien zu zählen und jeden Tag Sit-ups zu machen. Auf dem Werbeplakat steht: "Das Mädchen auf dem Bild wurde nicht mit Photoshop bearbeitet. Das wahre Du ist sexy."

Das Bild ist Teil einer Kampagne der US-Modemarke American Eagle, die für ihre neue Unterwäschekollektion "Aerie real" junge Frauen mit ganz unterschiedlichen Figuren fotografiert und dabei auf die übliche optische Schönheits-OP mittels Photoshop verzichtet hat. Die Bilder zeigen schöne Frauen mit Pigmentflecken, Augenringen und kleinen Röllchen am Bauch.

Auch andere Firmen engagieren sich

American Eagle ist nicht der erste Akteur in der Branche, der versucht, ein Zeichen gegen den Schlankheitswahn zu setzen. Seit 2005 zum Beispiel präsentiert sich der Kosmetikhersteller Dove mit der "Initiative für wahre Schönheit" als Unternehmen, das Frauen dazu ermutigen will, positiver mit ihrem Äußeren umzugehen. In den Werbespots und auf den Plakaten der Firma werden ausschließlich Frauen mit durchschnittlichen Körpermaßen präsentiert.

2010 startete die Frauenzeitschrift Brigitte die Initiative "Ohne Models". Obwohl die Kampagne viel positive Rückmeldung erhielt, wurde sie nach zwei Jahren eingestellt. Offiziell erklärte das Blatt die Entscheidung damit, dass Bilder von scheinbar perfekten Alltagsfrauen noch stärker am Selbstbewusstsein mancher Leserin kratzen würden als Fotos professioneller Models. Skeptiker vermuteten dagegen, die Fotoshootings mit Laien könnten auf die Dauer schlicht zu aufwändig gewesen sein.

"Plus-Size" ab Konfektionsgröße 38?

Auf der Fashion Week in Berlin gab es in diesem Jahr Models, die mit Größe 38 und aufwärts eher der deutschen Durchschnittsfrau entsprachen als die Models, die bei solchen Veranstaltungen üblicherweise über den Laufsteg geschickt werden. Allerdings durften die Frauen nicht mit ihren hageren Kolleginnen im Zelt am Brandenburger Tor auftreten, sondern nur auf einer gesonderten "Curvy is sexy"-Messe für Fachbesucher. Von einem gleichberechtigen Miteinander kann hier noch keine Rede sein - zumal sich die Frage stellt, ab wann eine Konfektionsgröße als Übergröße gilt.

So hat nach H&M und Forever21 nun auch die spanische Modekette Mango eine Modelinie auf den Markt gebracht, die sich an Frauen richtet, die keine klassischen Modelmaße haben. Die "Violeta"-Kollektion wird in den Größen 40 bis 52 angeboten und hängt seit Ende Januar auch in deutschen Läden. Obwohl Mango den Begriff "Übergrößenkollektion" nie selbst verwendet hat, sondern von "bequemer" und "femininer" Mode spricht, wird "Violeta" von vielen Kundinnen eindeutig als "Plus-Size" empfunden. Dafür erntet Mango derzeit viel Kritik.

Mehr als 62.000 Frauen haben auf der Internetplattform Change.org eine Online-Petition der Spanierin Arantxa Calvera aus Barcelona unterzeichnet, die Mango auffordert, die Werbekampagne für "Violeta" zu stoppen. Jungen Frauen werde durch eine Übergrößenkollektion, die bereits mit Größe 40 beginnt, ein ungesundes Körperbild vermittelt. Das Gesicht der Kollektion ist das 24-jährige Supermodel Robyn Lawley. Die Australierin ist zwar alles andere als füllig, gilt aber aufgrund einer Konfektionsgröße jenseits der 38 bereits als Plus-Size-Model.

Professor Philipp Hammelstein, leitender Psychotherapeut der Christoph-Dornier-Klinik in Münster, betreut seit Jahren Frauen, die unter Essstörungen leiden. Er findet die Kampagne von Mango ebenfalls problematisch. "Kleidergröße 40 wird von normalgewichtigen Frauen getragen", sagt der Experte. "Wenn Mango diesen Frauen bereits Kleidung aus einer Übergrößenkollektion anbietet, vermittelt die Firma ihnen das Gefühl, sie seien zu dick", sagt Hammelstein. Das sei bedenklich, weil sich viele Frauen, die unter Essstörungen leiden, an einem von der Mode und Werbung verkörperten Ideal orientieren würden.

Den Begriff "Übergröße" abschaffen?

Statistiken zeigen, dass hierzulande gerade einmal 15 Prozent aller Frauen Kleidergröße 36 oder kleiner tragen. Die durchschnittliche Konfektionsgröße für Frauen liegt heute bei 42. Vielleicht ist es an der Zeit, nicht nur darüber zu diskutieren, ab wann eine Konfektionsgröße als "Plus-Size" eingestuft wird, sondern den Begriff der Übergröße insgesamt zu überdenken oder womöglich ganz aus dem Wortschatz zu streichen. Einen Schritt in diese Richtung hat die Modelagentur IMG Models gewagt. Ende Januar nahm sie mit Ashley Graham, Danielle Redman, Julie Henderson, Inga Eiriksdottir und Marquita Pring fünf normalgewichtige Models mit Kleidergröße 38 und aufwärts unter Vertrag, ohne sie unter der sonst im Modebusiness üblichen Bezeichnung "Plus Size" zu führen. "Wir wollen Grenzen niederreißen und den typischen Vorurteilen trotzen, die seit Jahren in der Modebranche existieren", sagte IMG-Chef Ivan Bart.

Die stigmatisierende Kategorisierung Übergröße nicht mehr zu verwenden, könnte ein Anfang sein, meint Psychotherapeut Hammelstein. Noch besser wäre es, wenn die Modebranche aufhören würde, fast ausschließlich extrem dünne Models zu zeigen und stattdessen auf eine gesunde Mischung von Frauen mit unterschiedlichen Figurtypen setzen würde.

Dass sehr dünne Körper als besonders attraktiv wahrgenommen werden, ist historisch gesehen ein relativ junges Phänomen, welches vor allem in westlichen Gesellschaften seit Beginn des 20. Jahrhunderts an Bedeutung gewonnen hat. Um diesem Schönheitsideal beizukommen, reicht es nicht aus, wenn einzelne Firmen umdenken - aber es ist zumindest ein Anfang.

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