Süddeutsche Zeitung

Trockenblumen:Gekommen, um zu bleiben

Online-Shops und hippe Blumen-Boutiquen spezialisieren sich neuerdings auf Trockenblumen. "Dried Flowers" sind nachhaltig, auf lange Sicht günstiger als Schnittblumen - und ihr staubiges Image haben sie längst abgelegt.

Von Kathrin Hollmer

Der Laden von Jamila Maute leuchtet schon von Weitem an diesem vernieselten Novemberdienstag. Im Stadtteil Obergiesing eröffnet sie am kommenden Samstag Münchens erstes auf Trockenblumen spezialisiertes Geschäft: "Münchner Blumenmadl'n". Durchs Schaufenster sieht man ein Regal mit gelben, orangefarbenen und roten Blüten; Blätter in dunklem Blau und sattem Pink reichen bis zur Decke. An einem großen Holztisch - offene Werkstatt, eh klar - binden Mautes Mitarbeiterin Sarah Remböck und Praktikant Martin Weigl Kränze: An einem Loop, einem Reifen, in diesem Fall für einen Tischkranz, befestigt Remböck roten Farn, helles Pampasgras und "Hasenschwänzchen". Das Samtgras mit den charakteristisch weichen Rispen wird bunny tail, Hasenschwänzchen, genannt.

Trockenblumen erleben seit ein paar Jahren ein Comeback. "Dried flowers" heißen sie auch hierzulande, oft muss man Dinge nur anders nennen, um sie neu zu betrachten. Mittlerweile gibt es Dutzende Shops für Trockenblumen und hippe Dried-Flower-Boutiquen wie "Madame Fleurs" in Berlin oder "Lalovliy" in Köln. Besonders online sind sie beliebt, denn im Gegensatz zu frischen Blumen kann man sie verschicken, ohne sich über die Wasserversorgung Gedanken machen zu müssen.

Auch Jamila Maute, 31, verschickt ihre Sträuße, in den vergangenen zwei Jahren verkaufte sie sie außerdem in einem Laden in Brunnthal im Landkreis München; in der Stadt hofft sie nun auf mehr Laufkundschaft. Die Gestecke in ihrem Laden sind in natürlichen Farben gehalten. Viel Grün, Weiß, Creme und Rosé sind verarbeitet. Pampasgras, Eukalyptus, Federgras und Schleierkraut, das man bei Trockenblumensträußen als Füller zwischen den Blüten benutzt. Dazu Weizenhalme, Disteln, orangefarbene Hortensien. Mit den traurigen Strandfliedergebinden aus den Achtzigerjahren, gern in Violett oder Weiß, oder den quietschig bunten Arrangements aus den Ratgebern von damals hat das nicht mehr viel zu tun.

Wer die Welt der Trockenblumen betritt, lernt neues Botanik-Vokabular. Dass Phalaris ein Gras mit buschigen Rispen ist und Ruscus, auch Stechender Mäusedorn genannt, ein Strauch mit feinen Blättern. Und natürlich die Hasenschwänzchen, Profis sagen "Lagurus". "Sie sind mit Abstand am beliebtesten und müssen in fast jeden Strauß und jedes Gesteck. Ob das am Aussehen liegt oder am Namen, weiß ich nicht", sagt Maute und lacht. 400 bis 500 verschiedene Sorten Blumen und Gräser hat sie vorrätig, sie werden bereits getrocknet angekauft, manche sind gefärbt. Eukalyptus oder Rosen werden gefriergetrocknet, damit sie Farbe und Flexibilität behalten. "Als Kunde merkt man gar nicht mehr, dass es keine frischen Pflanzen sind", sagt Maute. "Eukalyptus kann man auch klassisch trocknen, dann fängt er aber irgendwann an zu bröseln."

Gesucht: 200 000 Trockenblumen - für eine Kunstausstellung

Auf Instagram findet man unter dem Hashtag #driedflowers mehr als drei Millionen Fotos. Von Brautsträußen aus getrockneten Wildblüten über Advents- bis zu Haarkränzen. Auch in der Kunst sind Trockenblumen angesagt. Die Künstlerin Rebecca Louise Law arbeitet ausschließlich mit Pflanzen und lässt in spektakulären Ausstellungen Trockenblumen von der Decke schweben. Für ihre Installation im Rahmen des "Flower Power Festivals" ab 3. Februar 2023 in der Kunsthalle München richtete sie einen Aufruf an die Münchnerinnen und Münchner, 200 000 getrocknete Blumen zu sammeln. Und die Grafikdesignerin Olga Prinku ist bekannt für ihre Stickereien, in die sie Trockenblumen einarbeitet, sie schreibt Bücher dazu und gibt Online-Kurse.

Statt auf Fast Flowers und Wegwerfkultur setzt die Branche schon seit einiger Zeit auf Nachhaltigkeit, ganz im Sinne der globalen Slow-Flower-Bewegung. Das ist einerseits erfreuliches Umdenken, andererseits ein lukratives Geschäft. Trockenblumen sind zusätzliche Einnahmequellen für Blumengeschäfte und Interior-Läden, die erkannt haben, dass ihre Kundschaft zunehmend auf ihren ökologischen Fußabdruck achtet.

Frische Schnittblumen werden oft aus Afrika oder Holland importiert, mit energieaufwendigen Kühlketten und einem hohen CO₂-Ausstoß. Nach ein paar Tagen lassen sie meistens die Köpfe hängen, nach einer, maximal zwei Wochen landet der Strauß im Müll. Trockenblumen sind zwar etwas teurer als frische, dafür halten sie viel länger. In Jamila Mautes Laden achtet man auch im Detail auf Nachhaltigkeit. Auf dem Arbeitstisch liegen Reste von Eukalyptus- und Schleierkrautzweigen, die ebenso weiterverarbeitet werden wie Retouren oder Leih-Gebinde. Maute verleiht Sträuße und Gestecke an Restaurants oder für Feste wie Hochzeiten. Einen Strauß für 30 Euro kann man für zehn Euro im Monat "mieten", ein großes Gesteck für eine Feier kostet dann statt 300 Euro nur 100 Euro.

Ihr Angebot beschränkt sich nicht auf klassische Bouquets. Maute oder Cecilia Capri, 31, von "We Are Flowergirls" in Wien fertigen auch Haarschmuck, Hochzeitsdeko und Interior-Objekte. Capri und ihr Team verstehen sich als Kunsthandwerkerinnen. "Blumenschmuck geht heute weit über Sträuße und Gestecke hinaus", erklärt sie. Im Sortiment sind unter anderem Taschen und Geschenkschachteln, in die Trockenblumen gesteckt sind, und mit getrockneten Blüten gefüllte Weihnachtskugeln aus Glas.

Staub auf dem Gesteck? Einfach mit dem Fön wegpusten

Capri glaubt, dass Trockenblumen kein vorübergehender Trend sind. "In Europa wachsen eben nicht das ganze Jahr Blumen auf dem Feld. Getrocknete Blumen sind eine natürliche und schöne Alternative - endlich muss niemand mehr Plastikrosen in eine Vase stecken!", sagt sie. Trockenblumen sind genauso pflegeleicht. Nur in der Sonne sollten sie nicht stehen, weil sie dort Farbe und Struktur verlieren. Wenn sich Staub ansetzt, lasse er sich mit dem Fön auf schwächster Stufe wegpusten. Trockenblumen können Monate, sogar Jahre halten.

Besonders nachhaltig sind regional kultivierte Blumen, die keine langen Transportwege hinter sich haben. Das Schweizer Start-up "Arui" zum Beispiel lässt von Bio-Betrieben in der Schweiz anbauen. Einen Teil von Jamila Mautes Blumen pflanzt ihre Familie in Schleswig-Holstein, darunter Pampasgras und Mohn. Die meisten Blumen kommen aus Holland, ein Teil aus Frankreich und Italien. "We Are Flowergirls" bezieht aus Österreich, Italien, der Türkei - und das Pampasgras aus Südafrika. "Wir bestellen extra nur einmal fürs ganze Jahr", betont Capri.

Wer selbst Blumen haltbar machen möchte, dem empfiehlt Jamila Maute: "Kopfüber aufhängen, so bleiben sie in Form." Allerdings ließen sich nicht alle Blumen gut zu Hause trocknen. Wenn die Blätter rascheln und sich zwischen den Fingern zerreiben lassen, ist der Trockenprozess abgeschlossen.

Getrocknet erinnern Blumen an die Vergänglichkeit und stehen doch auch für Beständigkeit, für etwas Dauerhaftes. Cecilia Capri geht es in ihrer Arbeit auch um Wertschätzung. "Es ist traurig, wenn man den liebevoll angefertigten Blumenschmuck für ein Fest am nächsten Tag wegwerfen muss, weil er verwelkt ist", sagt sie. "Trockenblumen kann man nach der Feier an die Gäste verschenken oder selbst mit nach Hause nehmen, als Erinnerung für die Ewigkeit."

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